Interview zu Kuba Wandel vermeiden durch Annäherung?
Nach 60 Jahren arbeiten die Ex-Erzfeinde USA und Kuba an besseren Beziehungen. Der kubanische Exil-Autor Amir Valle ist skeptisch: Dies stabilisiere das Castro-Regime, sagt er im Interview. Einen echten Wandel wolle die Elite auf der Insel so verhindern.
tagesschau.de: Seit Ende vergangenen Jahres wissen wir, dass Kuba und die USA Länder ihre Beziehungen verbessern wollen. Wie wird das in Kuba aufgenommen?
Amir Valle: In den offiziellen Medien wird das als Sieg über die USA gefeiert: Kuba habe ein halbes Jahrhundert lang den Sanktionen standgehalten, jetzt gäben die "Yankees" auf, die Revolution habe ein zweites Mal gewonnen. Insofern haben sich die Artikel gar nicht geändert. Die Führung hat jetzt nur das Problem, sich der Wirklichkeit stellen zu müssen, wenn die angeblichen Gründe für die Misere wegbrechen.
Der kubanische Schriftsteller und Journalist Amir Valle wurde in seiner Heimat mit Preisen ausgezeichnet. Der internationale Erfolg seiner Werke wurde jedoch kritisch gesehen. Die Behörden behinderten seine Arbeit zunehmend. Nach einer Auslandsreise im Jahr 2005 durfte er nicht mehr nach Kuba zurückkehren. Seit 2006 lebt er in Berlin.
"Viele hoffen auf einen Wandel"
tagesschau.de: Welche sind das?
Valle: Die meisten Kubaner wissen schon seit 20 oder 25 Jahren, dass nicht die US-Sanktionen für die Misswirtschaft und den Mangel verantwortlich sind. Viele hoffen auf einen Wandel, hoffen, dass sich ihre Situation verbessert. Und die meisten haben mitbekommen, dass Venezuela weniger Öl liefert und Kuba damit finanzielle Probleme bekommt. Auch von Russland, China oder Iran ist nichts zu erwarten.
Viele denken mit Schrecken an die Zeit zurück, als die Sowjetunion zusammenbrach und die Kubaner hungerten.
tagesschau.de: Gibt es trotzdem eine Aufbruchstimmung?
Valle: Vielen kann es mit dem Wandel und den Reformen nicht schnell genug gehen, das zeigen Umfragen. US-Präsident Barack Obama ist bei vielen Kubanern beliebt - auch, weil er wie viele Kubaner dunkelhäutig ist und als unkonventionell gilt. Die kubanische Regierung sagte allerdings auch klar, dass grundsätzliche Überzeugungen nicht zur Disposition stehen, dass es keinen Kapitalismus auf Kuba geben wird, sondern einen Sozialismus à la Cubana - wie auch immer der dann aussieht.
"Weiter hart gegen Kritiker"
tagesschau.de: Aber Raúl Castro hat in den vergangenen Jahren einige Reformen angestoßen, zum Beispiel die Reisefreiheit. Erleben wir nicht einen tiefgreifenden politischen Wandel in Kuba?
Valle: Nein. Mich lassen sie weiterhin nicht einreisen, etwa 600 Kritikern im Ausland geht es ebenso. Kürzlich wurde mehreren Oppositionellen der Pass abgenommen, damit sie nicht zum Gipfel nach Panama reisen. Weiterhin werden Oppositionelle verhaftet und eingesperrt. Unter Raúl Castro hat sich nur das Gesicht geändert, das man der Welt präsentiert. Das Regime geht weiter hart gegen Kritiker vor.
tagesschau.de: Allerdings gab es durchaus Wirtschaftsreformen.
Valle: Im kleinen Stil, ja. Aber wer etwa als Kleinunternehmer Süßigkeiten verkaufen will, muss diese bei einem großen Staatsbetrieb kaufen und zudem so hohe Steuern zahlen, dass am Ende nichts übrigbleibt. Wer das umgeht und etwa Rohstoffe auf dem Schwarzmarkt kauft, muss eben Staatsangestellte mit Unsummen bestechen. Das Regime kontrolliert alles, damit das so bleibt, kommt jetzt die Annäherung an die USA.
Übernehmen die Kinder der Eliten die Kontrolle?
tagesschau.de: Die Verhandlungen mit den USA stützen das Regime?
Valle: Wir erleben in Kuba gerade den Übergang vom "Castrismo" in den "Neo-Castrismo". Die alten Eliten, die einstigen Gefährten von Fidel Castro, die seit Jahrzehnten Schlüsselpositionen besetzen, bringen ihre Kinder in Stellung. Die Nachkommen der Nomenklatura haben im Ausland studiert, sind auf den Übergang vorbereitet. Sie übernehmen nun wichtige Positionen in Wirtschaft, Finanzen und Militär. Sie sind für die Transisition in eine Schein-Demokratie gewappnet, kontrollieren die großen Staatsbetriebe.
Das verläuft ähnlich wie in China, Russland oder anderen lateinamerikanischen Staaten. Die einflussreichen Familien haben den Tourismussektor, Finanzwirtschaft oder Tabakanbau unter sich aufgeteilt. Dadurch behalten sie die Kontrolle. Auch über die Kleinunternehmer, die nun ein bisschen Geld verdienen und dadurch zunächst unabhängiger vom Staat und seiner Ideologie werden.
tagesschau.de: Aber warum dann die Verhandlungen?
Valle: Die Wirtschaft ist am Boden, das Land hoch verschuldet. Wenn jetzt Venezuela als Geldgeber ausfällt, ist es mit dem Staat und damit mit dem bisherigen Kontrollsystem vorbei. Diese gelenkte Öffnung soll die harte Landung auf dem Weltmarkt verhindern. Denn da ist Kuba derzeit nicht konkurrenzfähig. Um international anerkannt zu werden und an Geld zu kommen, braucht das Land Reformen, die wenigstens den Anschein erwecken, es sei demokratisch und marktwirtschaftlich organisiert.
"Menschenrechte spielen keine Rolle"
tagesschau.de: Was können USA und EU in den Verhandlungen mit Kuba tun?
Valle: Bisher ging es bei den Gesprächen eigentlich nur um wirtschaftliche Themen, Menschenrechte spielten keine Rolle. Wenn das so bleibt, wird keine starke Zivilgesellschaft entstehen, werden die alten Eliten sich festsetzen.
tagesschau.de: Wenn Sie könnten, würden Sie zurück nach Kuba gehen?
Valle: Ich fühle mich hier in Berlin sehr wohl und bin gut integriert, habe viele Freunde hier und Arbeit. Natürlich fehlt mir das Meer, der blaue Himmel und die Wärme. Aber mein Haus zum Beispiel steht gar nicht mehr. Ich sorge mich um meine Eltern, auch weil ich fürchte, dass der einsetzende Massentourismus aus Nordamerika der Insel nicht gut tun wird. Er wird die Prostitution und den aufkeimenden Drogenhandel befördern und im schlimmsten Fall die Gewalt zurück nach Kuba bringen.
Das Interview führte Michael Stürzenhofecker, tagesschau.de