Reportage aus dem indischen "Ravi Das" Der Slum, aus dem die Täter kamen
Vier der mutmaßlichen Vergewaltiger lebten in der Slumsiedlung "Ravi Das". Dort fühlen sich die Menschen an den Pranger gestellt. Denn auch sie verurteilen die Tat. Vor einer Wiederholung wollen sie die Frauen durch züchtige Kleidung schützen.
Für Asha spielt das Alter keine Rolle. "Ich bin ungefähr 40", sagt sie. Sie kann nicht verstehen, dass das Jugendstrafrecht den jungen Mann schützt, der zum Tatzeitpunkt erst siebzehneinhalb Jahre alt war: "Er hat ein unvorstellbar grausames Verbrechen begangen. Er sollte vor dem gleichen Gericht stehen und die gleiche Strafe bekommen wie die erwachsenen Angeklagten. Er hat genauso viel Schuld auf sich geladen wie die anderen."
"Es gibt überall Vergewaltigung und Mord"
Asha ist der Meinung, dass alle Angeklagten hängen sollten. Sie lebt in der "Ravi Das"-Siedlung im Süden der indischen Hauptstadt. Die brutale Gruppenvergewaltigung im fahrenden Bus vom 16. Dezember 2012 hat den kleinen Slum in die Weltpresse gebracht. Vier der sechs mutmaßlichen Vergewaltiger haben hier gelebt. In den Schlagzeilen war nach dem Verbrechen von der "Höhle der Vergewaltiger" und von der "Unterwelt Neu-Delhis" die Rede. Asha findet das unfair: "Schauen Sie doch einfach mal in die Zeitungen", sagt sie, "es gibt überall Vergewaltigungen und Mord."
Keine Elendssiedlung wie aus "Slumdog Millionär"
Indische Frauen sind ihrer Meinung nach nirgendwo absolut sicher - nicht in Mumbai, nicht in Delhi, nicht auf dem Land. "Wir müssen uns selber schützen, uns züchtig kleiden und zu Hause sein, sobald es dunkel ist. Ich weiß nicht, wer verantwortlich ist. Die Polizei, die nichts tut? Vielleicht sind wir als Gesellschaft aber auch selber schuld", grübelt die Mutter von zwei Söhnen. Und fügt an: "Unsere Sicherheit liegt nur in unseren Händen, aber für uns Frauen gibt es keine vollständige Sicherheit." Ihren Söhnen bringt sie bei, Respekt vor Frauen zu haben. Das betont sie mehrfach.
"Ravi Das" ist keine Elendssiedlung aus zusammengezimmerten Wellblechhütten. Die rund 300 winzigen Ein-Zimmer-Häuschen sind bunt angestrichen und aus Backstein. Es gibt eine Wasserstelle, ein paar Stromkabel und Gemeinschaftslatrinen. Die engen Gassen zwischen den Häusern sind sauber gefegt. Die meisten, die hier leben, sind Tagelöhner: Rikschafahrer, Bauarbeiter, Gemüseverkäufer.
"Schande über unsere Siedlung gebracht"
Inzwischen hat sich eine kleine, lebhaft diskutierende Frauengruppe versammelt. Ashas Nachbarin, die ihren Namen nicht nennen will, erzählt von ihren drei Töchtern, die alle die Schule beendet haben. "Diese Vergewaltigung hat Schande über unsere Siedlung gebracht. Die Polizei alleine ist machtlos. Uns Frauen sagen sie, dass wir uns bedecken sollen, aber es werden auch 5-jährige Kinder missbraucht", so die Frau.
"Das ist eine Sünde in unserer Gesellschaft. Die Täter aus unserer Mitte werden ihre Strafe bekommen. Aber ich glaube nicht, dass die Polizei oder die Regierung die Geisteshaltung eines Einzelnen kontrollieren können. Wir müssen uns selber korrigieren und hinterfragen."
"Ravi Das" ist voll mit Menschen, die hart arbeiten und vom Aufstieg in die indische Mittelklasse träumen - so wie das verstorbene Opfer der Gruppenvergewaltigung. Die 23-jährige Physiotherapiestudentin lebte mit ihren Eltern und ihren zwei Brüdern in einer ganz ähnlichen Slum-Siedlung wie "Ravi Das", bis sechs Männer ihren Traum brutal beendeten.