Krieg gegen die Ukraine Russlands zerstrittene Opposition
Ein Abgang von Präsident Putin - den fordern wohl alle russischen Oppositionellen. Uneins sind sich Kritiker im In- und Ausland jedoch, wenn sie auf den Krieg in der Ukraine und nun auch in der russischen Region Kursk blicken.
"Nun, ich denke, man sollte sich natürlich an den Verhandlungstisch setzen. Natürlich würde ich die Irritation der Ukrainer verstehen, wenn das Problem auf diese Weise gelöst wird." - Das sagte der russische Oppositionelle Ilja Jaschin im Oppositionssender Doschd.
Im Dezember 2022 verurteilte ein Gericht Jaschin zu achteinhalb Jahren Gefängnis, weil er Falschinformationen über die russischen Streitkräfte verbreitet haben soll. Tatsächlich war Jaschin als Kritiker aufgetreten: An dem Blutbad, das russische Soldaten in der ukrainischen Stadt Butscha angerichtet hatten.
Überraschend kam Jaschin dann kürzlich frei - im Zuge des spektakulären Gefangenenaustausches zwischen Russland und einigen westlichen Staaten, unter ihnen Deutschland. Und dann das Interview bei Doschd zum Krieg in der Ukraine. "Wie Sie zu Recht angemerkt haben, ist die Situation in eine Sackgasse geraten, und die Sackgasse ist blutig. Auf beiden Seiten sterben Menschen", sagte Jaschin.
"Was in der Region Kursk passiert, ist schrecklich"
Ein Ende des Krieges durch sofortige Verhandlungen? Jaschin löste mit seinen Aussagen Ärger aus - bei Menschen in der Ukraine, aber auch bei russischen Oppositionellen. Viele von ihnen sagen, vor Verhandlungen müsste Russland alle besetzten Gebiete räumen. Alles andere sei Imperialismus. Kurz darauf: Der Vormarsch ukrainischer Einheiten in die Region Kursk, auf russisches Territorium.
Jaschin äußerte sich erneut - im Online-Dienst Telegram: "Was in der Region Kursk passiert, ist schrecklich. Vom ersten Kriegstag an habe ich gesagt, dass Putin auf jeden Fall Tod und Zerstörung auf das russische Territorium bringen und dass unser Land einen hohen Preis für sein blutiges Abenteuer zahlen würde. Das ist nun leider so gekommen."
Es gibt Menschen aus Russland, die das Vorgehen der ukrainischen Streitkräfte grundsätzlich richtig finden. Auch Jascha. Er ist aus Moskau nach Tiflis geflohen, weil er gegen Präsident Putin und dessen Krieg ist. Jascha sammelt Geld für UNIONTAC. Die Organisation fertigt Erste-Hilfe-Pakete und schickt sie ukrainischen Soldaten an die Front.
"Jetzt ist alles auf dem Weg zur Eskalation"
"Jeder, der Putin nicht unterstützt, der nicht die russische Aggression in der Ukraine unterstützt - egal ob aus Russland, aus der Ukraine, aus Deutschland, aus Großbritannien - jeder, der gegen Putin ist, sollte die ukrainische Armee unterstützen", sagt Jascha.
Eine Haltung, die viele Oppositionelle nicht teilen. Zum Beispiel Lew Schlossberg, ein russischer Politiker, der Moskau als "ausländischer Agent" gilt. Angesichts des ukrainischen Vormarsches in Kursk zeigte sich Schlossberg einmal mehr als überzeugter Pazifist - im oppositionellen YouTube-Kanal "Schiwoj Gwosd": "Jetzt ist alles auf dem Weg der Eskalation. Ich lehne jede Eskalation ab", sagt Schlossberg da.
"Ich will keine deutschen Panzer auf russischem Boden, genauso wie ich die Panzer unseres Landes auf dem Territorium eines anderen Landes nicht will."
Nicht alle Putin-Kritiker sind gegen den Krieg
Dabei sind nicht alle, die Putin kritisieren, auch Pazifisten. Zum Beispiel die im "Rat der Ehefrauen und Mütter". Seine Gründerin, Olga Zukanowa, wurde als "ausländische Agentin" gebrandmarkt, gilt also als Gegnerin von Präsident Putin. Aber: Der Rat hat sich nicht geschlossen gegen den Krieg in der Ukraine ausgesprochen.
Die Frauen wollen lediglich wissen, wann ihre Männer oder Söhne, die während der ersten Mobilisierungswelle im September 2022 eingezogen wurden, zurückkehren. Und: Dass die Wehrpflichtigen nicht an die Front geschickt werden. Das wiederholte Gründerin Olga Zukanowa noch einmal, nachdem Präsident Putin eine sogenannte Anti-Terror-Operation gegen die ukrainischen Einheiten in Kursk eingeleitet hatte.
Darüber hinaus klagte sie, die Menschen in Kursk seien sich selbst überlassen worden: "Es stellt sich heraus, dass sich die Einwohner selbst retten müssen. Vielleicht lassen sie sich (im Kreml) demnächst auch noch die Selbstbestattung einfallen."
Ein breiter Widerstand ist nicht zu erkennen
Weniger ironisch, dafür ganz gerade heraus kritisch, ist Olga Romanova. Romanowa leitet - inzwischen aus dem Berliner Exil - die Nichtregierungsorganisation "Russland hinter Gittern", die sich für politische Häftlinge in ihrer Heimat einsetzt.
Romanova machte Putin schwere Vorwürfe - im oppositionellen YouTube-Kanal "Ischem Wychod. "Ihm ist Kursk egal, ganz demonstrativ ist ihm Kursk egal", sagt Romanova.
Ein genereller Unmut über Putin und seine Kursk-Politik ist indes in Russland nicht festzustellen. Insbesondere nicht in der relativ gut situierten Bevölkerung von Moskau. Manche Beobachter meinen, dass es zu breiterem Widerstand gegen Putins Politik kommt, sollte es nach der ersten Mobilisierungswelle im September 2022 nun eine zweite geben.
Mit ihr rechnet Andrej Pivovarov - wegen des Vormarsches der ukrainischen Einheiten auf russisches Territorium. Pivovarov ist ein Oppositionspolitiker, der kürzlich zusammen mit Ilja Jaschin im Zuge des großen spektakulären Gefangenenaustausches frei kam.
"Je mehr sich streiten, desto besser für Putin"
"Wir sehen, dass nicht genug Soldaten da sind. Daher ist eine Mobilisierung meiner Meinung nach leider unvermeidlich", sagt er. "Und das wird sicherlich zu Unzufriedenheit in der Öffentlichkeit führen. Wird das auch zu Straßenprotesten führen, zu Massendemonstrationen? - Das glaube ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht."
Ein Abgang von Präsident Putin - den fordern wohl alle Oppositionellen. Uneins ist die russische Opposition im In- und im Ausland jedoch, wenn sie auf den Krieg in der Ukraine und nun auch auf russischem Territorium blickt. Und oft genug kommt es zu Streitereien.
Im Gespräch mit dem ARD-Studio Moskau ruft deshalb Andrej Pivovarov zu Einigkeit auf: "Die Auseinandersetzungen, die toben, sind künstlich und spielen dem Regime in vielerlei Hinsicht in die Hände. Je mehr Menschen sich streiten, desto besser ist das für Putin."