Streit um Reform des Schengen-Abkommens EU-Innenminister stimmen Weg zu Grenzkontrollen ab
Gehen in der Europäischen Union bald wieder die Schlagbäume runter? Wenn es nach den EU-Innenministern geht, sollen Grenzkontrollen für bis zu zwei Jahre wieder möglich sein. Derzeit können Passkontrollen an Landesgrenzen nur durchgeführt werden, wenn die öffentliche Sicherheit bedroht ist.
Von Martin Bohne, MDR-Hörfunkstudio Brüssel
In Europa könnten demnächst wieder öfter die Schlagbäume runtergehen. Die EU-Innenminister verständigten sich in Luxemburg auf einen neuen Notfallmechanismus, der es den Mitgliedsstaaten unter außergewöhnlichen Umständen ermöglicht, wieder Passkontrollen einzuführen. Die Entscheidung fiel einstimmig. "Wir haben mit diesem Beschluss heute die Handlungsfähigkeit Europas gestärkt", sagte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich.
Die Debatte um die Reform des Schengener Abkommens kam in Gang, als sich mit dem Arabischen Frühling immer mehr Menschen auf den Weg nach Europa machten. Besonders viele Illegale kommen zum Beispiel über die schlecht gesicherte Grenze zwischen Griechenland und der Türkei.
"Die Zustände an der griechisch-türkischen Grenze zeigen, dass wir hier einen ganz klaren Handlungsmechanismus brauchen im Schengen-Raum", erläuterte die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. "Hätten wir diesen Mechanismus vorher schon gehabt, würde es vielleicht die Situation, die derzeit in Griechenland besteht, nicht geben."
Gedacht als Ultima Ratio
So sieht der Mechanismus aus: Für den Fall, dass ein Schengen-Land seine Außengrenzen nicht ausreichend schützt und viele illegale Einwanderer in andere Länder weiterziehen können, dürfen die betroffenen Regierungen wieder Grenzkontrollen einführen. Und zwar für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren.
Befürchtungen, dass es nun mit der Reisefreiheit in Europa ein Ende hat, weist Friedrich zurück: "Der Notfallmechanismus ist etwas, was nur ganz am Schluss infrage kommt - als Ultima Ratio, wenn alle Stricke reißen. Und es ist auch jetzt kein Fall sichtbar, wo ich sagen würde: Da ist er notwendig."
Außerdem sind nach Aussage des deutschen Innenministers genügend Bremsklötze in den Mechanismus eingebaut, die eine allzu übereifrige Anwendung verhindern. Denn die EU-Kommission darf prüfen, ob Grenzkontrollen wirklich notwendig sind. Der Rat der EU-Innenminister spricht auf der Grundlage dieses Berichts eine Empfehlung aus.
"Wenn diese Beschlüsse vorliegen, liegt es letztlich in der Verantwortung der einzelnen Mitgliedsstaaten, diese Entscheidung umzusetzen", erklärte Friedrich. "Das halte ich für ein richtiges Verfahren. In Sachen der inneren Sicherheit muss das Letztverantwortungs- und Entscheidungsrecht bei den Mitgliedsstaaten liegen."
EU-Kommission will das letzte Wort bei den Grenzen haben
Die EU-Kommission sieht das etwas anders: Sie wollte das letzte Wort haben, ob die Schlagbäume wieder runtergehen dürfen. Das sei notwendig, um nationale Alleingänge zum Beispiel aus Wahlkampfgründen zu verhindern.
"Die Mitgliedsstaaten sind natürlich für ihre Grenzen zuständig. Aber Schengen ist eine europäische Errungenschaft", sagte EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström. "Und wenn eine Entscheidung über unsere gemeinsamen Grenzen ansteht, dann muss das eine europäische Entscheidung sein - um Missbrauch zu verhindern und die Reisefreiheit der vielen Millionen EU-Bürger zu verteidigen."
Schon nach den jetzigen Schengen-Regeln können Mitgliedsstaaten befristete Personenkontrollen wieder einführen. Sie dürfen sie auf eigene Faust umsetzen, aber nur wenn die öffentliche Sicherheit gefährdet ist - etwa im Umfeld eines sportlichen oder politischen Großereignisses oder wegen eines Terroranschlags.
Parlament verfolgt anderen Ansatz
Bisher war das nur für maximal 30 Tage möglich. Dieser Zeitraum soll jetzt auf bis zu sechs Monate erweitert werden. Wohlgemerkt "soll" die Erweiterung kommen, wenn es nach den EU-Innenministern geht. Sie können das aber nicht allein entscheiden. Auch das EU-Parlament redet mit, und dort gibt es deutlich größere Sympathien für Malmströms strikt europäischen Ansatz. Rat und Parlament müssen sich also erst auf eine gemeinsame Gesetzesfassung einigen.