Absolute Mehrheit für AKP bei Türkei-Wahl Davutoglu fordert Verfassungsreform
Nach dem Erfolg seiner AKP bei der Parlamentswahl in der Türkei hat Ministerpräsident Davutoglu eine Verfassungsreform gefordert. Sie soll Präsident Erdogan mehr Macht sichern. Dafür ist die AKP jedoch trotz ihrer absoluten Mehrheit auf andere Parteien angewiesen.
Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hat nach dem Wahlsieg seiner konservativ-islamischen AKP eine Verfassungsreform gefordert. "Ich rufe alle Parteien, die in das Parlament einziehen, auf, sich auf eine neue zivile nationale Verfassung zu verständigen", sagte Davutoglu in einer Ansprache vom Balkon des Parteigebäudes in Ankara.
Für eine Verfassungsänderung ist die AKP aber auf die anderen Parteien angewiesen, weil es dazu einer Zweidrittelmehrheit bedarf. Der amtierende Präsident und Ex-Premier Recep Tayyip Erdogan strebt eine politische Aufwertung seines Amtes an, hin zu einem Präsidialsystem. Nach dem Wahldebakel im Juni hatte die AKP eine mögliche Verfassungsreform im aktuellen Wahlkampf aber nicht mehr zum Thema gemacht.
Absolute Mehrheit für den "Wunsch nach Stabilität"
Präsident Erdogan bezeichnete das Wahlergebnis in einer ersten Reaktion als Wunsch der Wähler nach Stabilität. "Unser Volk hat bei den Wahlen klar gezeigt, dass es Taten und Entwicklung dem Streit vorzieht", sagte er.
Bei der gestrigen Parlamentswahl hatte die regierende AKP überraschend die absolute Mehrheit im türkischen Parlament zurückerobert. Das berichten mehrere Medien übereinstimmend nach Auszählung von fast 99 Prozent der Stimmen. Demnach kommt die AKP auf fast 50 Prozent der Stimmen - ein Plus von fast neun Prozentpunkten gegenüber dem Urnengang vom Juni. Wegen einer Sperrklausel von zehn Prozent könnte sie aber 316 der 550 Sitze in der Nationalversammlung in Ankara gewinnen. Ein offizielles Endergebnis soll erst in elf oder zwölf Tagen vorliegen, erklärte der Wahlleiter.
Auf den zweiten Rang kommt nach Berichten der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu die Mitte-Links-Partei CHP mit unverändert rund 25 Prozent der Stimmen, gefolgt von der nationalistisch-rechten MHP, die mit rund zwölf Prozent und einem Verlust von vier Prozentpunkten zu den Verlierern der Wahl gehört. Auch die pro-kurdische HDP schaffte demnach äußerst knapp die Zehnprozenthürde und zieht damit erneut in das Parlament ein.
Kritik von HDP
Kritik wurde unterdessen aus den Reihen der Kurden-Partei HDP laut. Die Partei sprach von "unfairen Wahlbedingungen". Der Co-Vorsitzende Selahattin Demirtas bemängelte, dass die HDP durch wiederholte Anschläge und Angriffe auf die Partei nicht in der Lage gewesen sei, einen Wahlkampf zu führen.
Die türkische Regierung und die PKK hatten ihren Friedensprozess im Juli nach einem ersten Anschlag auf eine kurdische Versammlung abgebrochen. Seitdem geht das Militär verstärkt gegen Kurden auch in Syrien und dem Irak vor, während Kurden mehrfach für Anschläge auf türkische Soldaten verantwortlich gemacht wurden.
Der einflussreichste Unternehmerverband der Türkei forderte die AKP zur raschen Umsetzung von Reformen auf. Es gehe darum, Demokratie und Freiheitsrechte zu stärken, erklärte die Lobbygruppe. Auch die Beitrittsverhandlungen mit der EU sollten vorangetrieben werden.
Parteien in der Türkei müssen mindestens zehn Prozent der Stimmen erhalten, um ins Parlament einziehen zu können. Die Hürde ist damit doppelt so hoch wie in Deutschland.
Die 550 Sitze der Nationalversammlung werden je nach Bevölkerungszahl auf die 81 Provinzen der Türkei verteilt. Vergeben werden sie nach einer Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht.
Mit 276 Sitzen kann eine Partei alleine regieren. Um die Verfassung zu ändern, ist eine Zweidrittelmehrheit (367 Abgeordnete) nötig. Eine 60-Prozent-Mehrheit (330 Abgeordnete) reicht allerdings aus, um das Volk in einem Referendum über eine Verfassungsänderung abstimmen zu lassen.
Wahlergebnis ist auch für Deutschland von Bedeutung
Es war bereits die zweite Parlamentswahl in diesem Jahr für die Türken. Bei der ersten Wahl im Juni hatte die AKP ihre absolute Mehrheit erstmals seit Übernahme der Regierung im Jahr 2002 verloren. Dazu hatte wesentlich der überraschende Einzug der pro-kurdischen HDP ins Parlament beigetragen. Nach dem Scheitern von Koalitionsgesprächen hatte die Opposition dem Präsidenten vorgeworfen, dies in Kauf genommen zu haben, um Neuwahlen zu erzwingen. Eine Koalitionsbildung scheiterte, deshalb setzte Erdogan die nun erfolgte Neuwahl an.
Das Wahlergebnis in der Türkei hat auch Bedeutung für die EU und für Deutschland. Die Türkei ist das wichtigste Transitland für Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa. Die EU drängt die Regierung in Ankara, ein Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen möglichst bald in Kraft treten zu lassen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat der Türkei jüngst Finanzhilfen, Visa-Erleichterungen für türkische Bürger und Unterstützung bei den EU-Beitrittsverhandlungen in Aussicht gestellt.