Ukrainischer Botschafter Verlässt Melnyk Deutschland?
Um Schimpfworte für hochrangige Politiker war der ukrainische Botschafter Melnyk nie verlegen. Doch seine Äußerungen über den Nationalistenführer Bandera gingen womöglich zu weit. Berichten zufolge soll er in das Außenministerium nach Kiew wechseln.
Es sei Kriegsdiplomatie pur, schrieb der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk Mitte März auf Twitter. Da war der Angriffskrieg auf sein Land einen Monat alt. Er bitte alle um Entschuldigung, die er beleidigt oder verletzt haben sollte. "Ich tue einfach meinen Job. Es geht um das Überleben der Ukraine, meiner Heimat."
Da hatte er Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schon scharf kritisiert, weil dieser die Gaspipeline Nord Stream II als "fast die letzte Brücke zwischen Russland und Europa" verteidigt hatte. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz war Melnyk schon angegangen. Eine "beleidigte Leberwurst" zu sein, warf er Scholz allerdings erst im Juni vor, um dann erneut um Entschuldigung zu bitten. Seine Ausfälle standen einer Verständigung zwischen Berlin und Kiew allerdings zunehmend im Weg.
Rückberufung nach Kiew?
Seine Antworten auf Fragen zum ukrainischen Nationalistenführer Stepan Bandera in der vergangenen Woche betrafen mehr als das deutsch-ukrainische Verhältnis und gingen wohl einen Schritt zu weit. Nun berichten "Bild" und "Süddeutsche Zeitung" unter Berufung auf Quellen in Kiew, Melnyk solle im Herbst in das Außenministerium in die Ukraine zurückkehren. Melnyk selbst und das Ministerium wollten sich allerdings bislang nicht öffentlich dazu äußern.
In Kiew sei man sich der Wahrnehmung Melnyks in Deutschland bewusst, erklärt der ukrainische Journalist Denis Trubetskoy im Gespräch mit tagesschau.de. Einerseits gebe es die Einschätzung, "dass ohne seinen Einsatz, ohne seine mediale Präsenz und den öffentlichen Druck etwa die deutschen Waffenlieferungen wohl noch komplizierter gelaufen wären". Melnyks mediale Präsenz werde als sehr wichtig für die Ukraine eingeschätzt. Zugleich werde es aber nicht als normale Situation gesehen, wenn ein Interview des ukrainischen Botschafters in Berlin etwa ein Telefongespräch der Außenminister der Ukraine und des wichtigen Verbündeten Polen und weitere Reaktionen auslöse.
Trubetskoy beschreibt die Außendarstellung des Außenministeriums und Melnyks so: "Dieses ukrainische Außenministerium steht für selbstbewusste Außenpolitik, Melnyk ist jedoch natürlich sehr einzigartig und sein Stil entspricht nicht wirklich dem Grundton der ukrainischen Diplomatie."
Erboster Verbündeter
Melnyks Aussagen zu Bandera im Interview mit dem Journalisten Tilo Jung in dessen Format "Jung & Naiv" zogen weite Kreise. Polens Vizeaußenminister Marcin Przydacz forderte eine Entschuldigung von der Regierung in Kiew. Entsprechend sah sich das dortige Außenministerium genötigt, sich von Melnyk zu distanzieren: Der Botschafter habe nur seine persönliche Meinung und nicht die Position des ukrainischen Außenministeriums wiedergegeben. Es schloss sich ein Dank an Polen für die "beispiellose Unterstützung im Kampf gegen die russische Aggression" an.
Danach äußerte die israelische Botschaft in Berlin Kritik. Melnyks Aussagen seien eine "Verzerrung der historischen Tatsachen, eine Verharmlosung des Holocausts und eine Beleidigung derer, die von Bandera und seinen Leuten ermordet wurden." Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, nannte die Äußerungen Melnyks "problematisch".
In einem aktuellen Tweet beteuerte Melnyk, er habe den Holocaust immer aufs Schärfste verurteilt. Das Nazi-Vebrechen der Schoa sei eine gemeinsame Tragödie, schrieb er zu den Flaggen-Symbolen Israels und der Ukraine.
"Schwer erträglich"
Im Zentrum steht der Satz Melnyks "Bandera war kein Massenmörder von Juden und Polen". Dafür gebe es keine Belege. Auch wohlmeinende Expertinnen wie die auf die Ukraine spezialisierte Historikerin Franziska Davies nahmen Abstand. Sie nannte diese Aussage "schwer erträglich" und "spitzfindig". Zwar sei Bandera keine persönliche Beteiligung an den Massenmorden an Juden, Polen und Russen durch Ukrainer in der Zeit des Zweiten Weltkrieges nachzuweisen. Er wurde kurz nach Kriegsbeginn von den Deutschen inhaftiert. Aber Bandera sei eine zentrale Figur der "Organisation Ukrainischer Nationalisten" (OUN) gewesen, die die Unabhängigkeit der Ukraine anstrebte. Mit diesem Ziel begingen ukrainische Nationalisten auch Morde an Juden, Polen und Russen.
Allerdings verweisen Davies und andere darauf, dass sich der Journalist Jung bei seinen Fragen an Melnyk zumindest missverständlich ausgedrückt habe, wenn er in Zusammenhang mit den "Bandera-Leuten" von 800.000 jüdischen Opfern der Massenmorde gesprochen habe. Diese seien vor allem von den Deutschen ermordet worden.
Sie und andere Osteuropa-Fachleute betonen, dass zu wenig vor allem über die Zeit des Zweiten Weltkrieges und den Holocaust in der Ukraine bekannt und aufgearbeitet sei. Das betreffe Deutschland, aber auch die Ukraine selbst. Dort konnte erst nach dem Ende der Sowjetunion eine Beschäftigung und entsprechende Aufarbeitung beginnen.
Gerade junge Leute seien Botschafter Melnyk voraus, so Davies: "Sie leugnen nicht, sie diskutieren." Er ist bereits seit 2015 Botschafter in Deutschland - eine lange Zeit für einen Diplomaten auf ein und demselben Posten.