Umstrittene Verfassungsänderung EU sorgt sich um Ungarns Rechtsstaatlichkeit
Bis zuletzt hatten EU-Politiker versucht, die Abstimmung zu Ungarns umstrittener Reform zu verhindern. Erfolglos. Nun wollen sie die Entscheidung prüfen und drohen Konsequenzen an. Doch die Möglichkeiten, mit denen europäische Institutionen auf Ungarn einwirken können, sind begrenzt.
Von Martin Bohne, ARD-Hörfunkstudio Brüssel
Die Reaktion aus Brüssel kam sofort: Nur wenige Minuten nach der Abstimmung in Budapest gaben Kommissionschef Jose Manuel Barroso und der Generalsekretär des Europarates, Thorbjorn Jagland, ihre Besorgnis zu Protokoll. Es gebe Zweifel, so Barroso und Jagland, ob die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, die EU-Gesetze und die Standards des Europarats gewahrt würden.
Barroso hatte noch am Freitag in einem Telefonat versucht, Ungarns Premier Viktor Orbán davon abzuhalten, die umstrittenen Verfassungsänderungen zur Abstimmung zu stellen. Diese Änderungen dürften nämlich nach Ansicht vieler Kritiker das Verfassungsgericht entmachten und die Justiz der Regierungskontrolle unterstellen.
Barroso und Jagland wollen nun die vom ungarischen Parlament verabschiedeten Texte detailliert prüfen. Und sie hoffen, dass sich die ungarische Regierung wenigstens im Nachhinein bemühen werde, im engen Kontakt mit den europäischen Institutionen die Besorgnisse auszuräumen.
"Die Unabhängigkeit der Justiz darf nicht in Frage gestellt werden"
Schon am Mittag hatte Barroso Konsequenzen angekündigt, falls man zu der Einschätzung kommen sollte, dass europäische Gesetze verletzt werden: "Wir werden nicht zögern, alle uns zur Verfügung stehenden Instrumente zu nutzen, um sicher zu stellen, dass alle EU-Staaten sich an ihre rechtlichen Verpflichtungen halten", sagte seine Sprecherin.
Auch der deutsche Außenminister Guido Westerwelle brachte am Rande eines EU-Ministertreffens in Brüssel seine Sorge über die Entwicklung in Budapest zum Ausdruck. "Ein wesentlicher Bestandteil der Wertegemeinschaft in Europa ist die Unabhängigkeit von Justiz, ist die Gewaltenteilung, und das darf von niemanden in Frage gestellt werden, weil das die Prinzipien in Europa verletzt", so der FDP-Politiker. Auch er will jetzt den Kontakt zur ungarischen Seite suchen.
Die Möglichkeiten der europäischen Institutionen auf Ungarn einzuwirken, sind jedoch begrenzt. Mit Vertragsverletzungsverfahren, die sich meist auf technische Details beziehen, hatte Brüssel auch schon vor zwei Jahren versucht, Gesetzesänderungen zu entschärfen und die rechtskonservative Orbán-Regierung auf Demokratiekurs zu halten. Mit eher bescheidenem Erfolg.
Die EU-Verträge bleiben recht vage, wenn es um die Durchsetzung der Grundwerte geht. Westerwelle hatte daher in der vergangenen Woche mit seinen Kollegen aus Finnland, Dänemark und den Niederlanden eine Initiative gestartet. Es müsse ein klarer Mechanismus zum Schutz der Grundwerte ausgearbeitet werden, so der Außenminister. "Wie können wir auch unterhalb der bisherigen Mechanismen sicherstellen, dass wir dosierter, maßgeschneiderter reagieren können als Europäer, wenn die europäische Wertegemeinschaft innen ausgehölt wird?", sagte er. Von seinen Amtskollegen habe er viel Untersützung für diese Initiative erfahren.