Bangen um Hamas-Geiseln Wie umfassend ist die Vermittlerrolle der Türkei?
Der Westen setzt auf die Türkei als Vermittler - für die Befreiung der von der Hamas entführten Geiseln. Denn die Türkei hat Kontakte zu beiden Seiten. Einiges erinnert an die Vermittlerrolle im Krieg Russlands gegen die Ukraine.
Hakan Fidan in Ägypten, im Libanon, in Saudi-Arabien: So eine Tour durch den Nahen Osten ist für ihn nicht neu. Nur, dass ihn Kameras auf Schritt und Tritt verfolgen. Dass er plötzlich selbst als türkischer Außenminister bei Pressekonferenzen am Mikrofon steht, ist ungewohnt. Aber man merkt es dem 55-Jährigen nicht an, wenn er ruhig Sätze sagt wie jetzt im Libanon: "Dieser Krieg kann zu größeren Kriegen führen, aber er kann auch zu einem historischen Frieden führen. Unser Präsident glaubt, dass ein historischer Frieden möglich ist und unternimmt, was dafür nötig ist."
"Viel diplomatischere Wortwahl"
Vor fünf Monaten war Fidan noch der Mann im Hintergrund - als türkischer Geheimdienstchef. In der Funktion soll er aber schon maßgeblich dazu beigetragen haben, dass sich die Türkei und Israel in den vergangenen Jahren wieder angenähert haben. Früher nannte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Israel auch schon mal einen Terrorstaat. Dem Politikwissenschaftler Hakan Günes von der Istanbul Universität ist an Erdogans Wortwahl insgesamt aufgefallen: "Die ist jetzt viel diplomatischer, weniger von Propaganda geprägt, sondern mehr von der Realität."
Pro-Hamas Demonstrationen in der Türkei
Zur Realität zu Hause in der Türkei gehören aber auch pro-Hamas Demonstrationen von islamistischen Gruppen, wie beispielsweise am Dienstagabend vor dem israelischen Konsulat in Istanbul. Solche Aktionen organisiert unter anderem eine islamistische Partei aus Erdogans Regierungsallianz. Günes glaubt allerdings nicht, dass das die Türkei als Vermittler ausbremsen kann.
"Diese Demonstrationen bedeuten nicht, dass diese Leute nicht bei den nächsten Wahlen wieder für Erdogan stimmen. Die große Mehrheit unter ihnen findet Erdogan sehr charismatisch. Und sie werden ihm folgen. Kurz gesagt, Erdogan hat das unter Kontrolle, so dass er nie den öffentlichen Rückhalt verliert", sagt Günes. Da werde es keine signifikante Opposition gegen diese neue Politik geben.
Beste Drähte zur Hamas
Berlin schaut von der anderen Seite auf die Thematik. Man setzt auf die Türkei als Vermittler, wenn es um die Geiseln geht, die die Hamas in den Gazastreifen verschleppt hat. Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Türkei-Kenner, sagte bei einem Besuch in Istanbul: "Die Türkei beherbergt Hamas-Anführer und hat deshalb beste Drähte zur Hamas. Und selbstverständlich wollen wir die nutzen. Jetzt ist diese Vermittlung im wahrsten Sinn des Wortes lebensnotwendig."
Wieder Gastgeber für Gespräche?
Vergangenes Wochenende traf die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock ihren türkischen Amtskollegen Fidan in Kairo. Der ist angekommen auf der politischen Bühne: "Die Türkei ist von verschiedenen Ländern gebeten worden, sich für die Freilassung ihrer verschleppten Bürger einzusetzen. Deshalb haben wir Gespräche insbesondere mit dem politischen Flügel der Hamas aufgenommen. Unsere Bemühungen zur Freilassung vor allem von ausländischen Staatsangehörigen, von Zivilisten und Kindern gehen weiter."
Der Istanbuler Politikwissenschaftler Günes sieht Parallelen zur Rolle der Türkei als Vermittler beim Krieg gegen die Ukraine. Hier war sie Gastgeber für Verhandlungen zwischen beiden Ländern und hatte das wichtige Getreideabkommen mitvermittelt.
"Die Türkei hat nicht die Kapazität für eine umfassende Vermittlerrolle", so Günes. "Es geht ja hier um mehr als nur zwei Akteure mit dem Iran beispielsweise. Das ist also komplexer." Aber die Türkei könnte wieder, wie bei der Vermittlung zwischen der Ukraine und Russland, Gastgeber für Gespräche sein - irgendwann. Denn im Moment sieht auch Günes nicht annähernd eine Chance für grundsätzliche Verhandlungen über die Geiseln hinaus - mit welchem Vermittler auch immer.