Europawahl 2024
Europawahl Das komplizierte Verhältnis von AfD und BSW
Zur Europawahl treten erstmals zwei große populistische Kräfte an: die in Teilen rechtsextreme AfD und die Wagenknecht-Partei BSW. Beide wollen den Ampel-Frust nutzen. Wie die Konkurrenten sich begegnen.
Sahra Wagenknecht hat Angst. So sagt sie das zumindest. Angst, dass mit der AfD eine Partei weiter stark werde, in der auch "extremistische Figuren" wie Björn Höcke und Maximilian Krah einen Platz hätten. Und dann ist Wagenknecht wieder bei der Ampel. Die hätte den Aufstieg der AfD mit ihrer "miserablen Politik" erst ermöglicht.
Wagenknecht spricht am Donnerstagabend bei einer Kundgebung des "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) in Berlin. Für die im Januar gegründete Partei ist der Europawahlkampf der erste große Kraftakt. 20 Kundgebungen gab es in den vergangenen Tagen. Nach Partei-Zahlen kamen im Schnitt mehr als 1.000 Menschen. Hier sind es mindestens doppelt so viele.
AfD-Werte gehen plötzlich zurück
Wagenknecht hat das Abenteuer auch gewagt, um der AfD nicht Ampel-Frust und Politikverdruss allein zu überlassen. Funktionäre wie die Thüringer Landesvorsitzende Katja Wolf sahen im BSW die einzige Chance, einen Durchmarsch der AfD noch aufzuhalten.
Sechs Monate später steht die AfD heute in den Wahlumfragen zwischen 14 und 16 Prozent, das BSW bei sechs bis sieben Prozent. Das entspricht fast jenen Prozentpunkten, die die AfD seit ihrem Umfragehoch Ende 2023 verloren hat.
Doch seitdem hat sich nicht nur das BSW gegründet, sondern die AfD wurde von mehreren Skandalen durchgeschüttelt. Hunderttausende Menschen demonstrierten gegen Rechtsextremismus und auch die Partei. Welche Entwicklung welchen Anteil am sinkenden Zuspruch für die Partei hat, lässt sich für Demoskopen bislang kaum bemessen.
Auch Christian Leye, Generalsekretär des BSW, reagiert vorsichtig. "Solche Entwicklungen sind nie monokausal", sagt Leye. Jedenfalls gebe es nun eine "Alternative mit Kompass". Er zeigt sich zufrieden mit dem Verlauf der vergangenen Wochen, stapelt aber tief. "Wir sind der Underdog", sagt Leye mit Blick auf die Europawahl.
Sympathien für eine "Wundertüte"
Für die AfD hingegen ist es der große Stimmungstest vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, wo die Partei endlich an die Macht will. Bei einer Wahlkampfkundgebung der Partei im brandenburgischen Oranienburg versammeln sich am Mittwoch einige Hundert Menschen. Unter ihnen ein Betreiber einer Pferdepension, die Mutter eines jungen Polizisten und eine Kita-Erzieherin aus Berlin.
Alle drei sind seit Jahren AfD-Sympathisanten und sagen, sie sorgten sich um Frieden, Meinungsfreiheit und Gewalttaten wie den Messerangriff in Mannheim. Wie sehen sie Wagenknecht?
"Bei der Migration hat sie die richtigen Thesen."
"Die einzige, die neben der AfD noch infrage kommt."
"Eine super Frau. Mich stört aber, dass sie sich von der AfD abgrenzt."
Das BSW sei eine "Wundertüte", sagt Hans-Christoph Berndt, AfD-Fraktionschef in Brandenburg, am Rande der Veranstaltung. Die Partei würde "hochgeschrieben", mit Umfragen werde "Stimmung gemacht".
Ähnlich sieht es René Aust, Listenplatz drei auf der Europawahlliste und nach den Vorwürfen gegen Maximilian Krah und Petr Bystron wohl künftiger Delegationsleiter der AfD in Brüssel. Aust sagt, bei den Kommunalwahlen in Thüringen hätte Wagenknecht eher bei SPD und Linken Stimmen gezogen. Das BSW sei keine Konkurrenz. "Die AfD wird sich am Ende durchsetzen."
Wo AfD und BSW sich ähneln
Doch dafür, dass das BSW der AfD schadet, gibt es Hinweise. Eine Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung legt nahe, dass das BSW vor allem bisherige SPD- und Linken-Wähler anzieht - und eben jene der AfD. Wer ein geringes Einkommen hat, viele Sorgen und wenig Vertrauen in Institutionen, der neigt eher zur neuen Partei - ähnlich wie bei der AfD.
Eine weitere Untersuchung der Universität Oldenburg und der TU Darmstadt ergab, dass beide Parteien EU-Skeptiker anziehen. Allerdings sind diese beim BSW anders als bei der AfD nicht in der Mehrheit.
Das lässt sich auch auf andere Themenfelder übertragen. Ein Satz wie "Deutschland ist das Land der Deutschen und soll es auch bleiben" (Hans-Christoph Berndt) dürfte beim BSW zwar nicht fallen. Aber die Schnittmengen sind größer als zu anderen Parteien.
Sowohl die "Linkskonservativen" (Wagenknecht über Wagenknecht) als auch die in Teilen "erwiesenen Extremisten" (der Verfassungsschutz über einzelne AfD-Landesverbände) setzen auf Zuspitzungen und Frontalangriff.
Sie beklagen eine Einschränkung der Meinungsfreiheit und vermeintliche "Kriegshetze", verurteilen eher pflichtschuldig den russischen Angriff auf die Ukraine und fordern im selben Atemzug nicht nur die Aufnahme von Verhandlungen, sondern auch die von russischen Energieimporten. Geschickt flechten sie flaschensammelnde Rentner, Verspätungen bei der Bahn oder sanierungsbedürftige Schulen in ihre Argumentationen ein. Für beide sind die Grünen die Hauptgegner.
Schon jetzt steht fest: Diese Art von Politik wird nach den Europawahlen mehr Resonanz haben. Deutschland dürfte populistischer werden.
Bloß keine "Wählerbeschimpfung"
Miteinander gehen BSW und AfD hingegen vergleichsweise differenziert um. Man wolle keine "Wählerbeschimpfung" betreiben, heißt es aus beiden Parteien.
Bei der AfD in Oranienburg geht nur Hans-Christoph Berndt kurz auf das BSW ein. Dessen Haltung zur Migration sei in Wahrheit weich, sagt er. Fast schon schlimmer: In Brandenburg sei die neue Partei sogar bereit, mit CDU und Grünen zusammenarbeiten.
In Berlin erwähnt Wagenknecht noch, dass die AfD gegen einen höheren Mindestlohn 14 Euro und die Begrenzung von Mieten wäre. Das sage sie, "falls es hier noch Leute gibt, die denken, die AfD setze sich für kleine Leute ein". Rund die Hälfte ihrer Zuhörer applaudiert.
Das zentrale Argument, BSW statt AfD zu wählen, geht für Wagenknecht jedoch anders: Das BSW sei anders als die AfD koalitionsfähig - und könne so grüne Politik verhindern.
"Mit einer starken AfD ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass die Grünen in der Regierung sind, als umgekehrt", sagte Wagenknecht in einem parteieigenen Gesprächsformat über Koalitionsbildungen nach den Landtagswahlen. Der Protest an der Wahlurne würde so zum Bumerang.
Vorzeichen für Landtagswahlen
In Brandenburg, Sachsen und Thüringen, wo im September neue Landtage gewählt werden, hat das BSW ein Wählerpotenzial von rund zehn Prozent oder mehr. Damit ist nahezu ausgeschlossen, dass die AfD eine absolute Mehrheit in einem Landtag erreichen kann.
Die AfD scheint sich damit abzufinden. Man werde bei der Europawahl "das beste bundesweite Ergebnis unserer Geschichte" feiern, schwört Kandidat René Aust die Menge in Oranienburg ein. Also mehr als die 12,6 Prozent, die die AfD bei der Bundestagswahl 2017 holte.
Auch wenn Aust Recht behalten dürfte: Die Messlatte liegt damit weit unter eigenen Mehrheiten und Kanzlerkandidaturen, also weit weg von jenen Themen, mit denen sich die AfD noch vor Monaten beschäftigt hat.
Das BSW hingegen muss beweisen, dass es tatsächlich ein politischer Faktor in Deutschland ist, vor allem in Ostdeutschland. Sonst könnten die Koalitionsdebatten mit CDU, SPD und Linken von allein verstummen.