AfD vor Landtagswahlen Warten auf den Durchbruch
In Thüringen, Sachsen und Brandenburg hofft die AfD, ab Herbst regieren zu können. Längst laufen Vorbereitungen dafür. Das Ziel dürfte die Partei verpassen. Ihren Einfluss könnte sie aber entscheidend ausbauen.
Was der AfD gefährlich werden könnte, greift sie an und spielt es herunter. Hans-Christoph Berndt, Fraktionschef im Brandenburger Landtag, sieht von Correctiv-Recherchen bis zu den Maßnahmen gegen Rechtsextremismus der Bundesinnenministerin eine "Eskalation des Establishments" - aus Angst vor der kommenden Landtagswahl.
Jörg Urban, Spitzenkandidat in Sachsen, nennt die Demokratie-Demonstrationen eine "Demo-Karawane" der "versammelten Asyl- und Integrationsindustrie".
Stefan Möller, Co-Landeschef in Thüringen, sagt, der AfD gelinge es, weiter Menschen zu überzeugen, "obwohl wir im Grunde täglich in eine Linie mit Massenmördern aus dem Dritten Reich gestellt werden".
Partei sieht sich im Aufwind
Tatsächlich steht die AfD in Sachsen stabil um die 35 Prozent in Umfragen, in Brandenburg um die 30. Nur in Thüringen fiel sie zuletzt etwas: Der MDR-ThüringenTrend von Infratest dimap weist die AfD bei 29 Prozent aus - noch im Sommer waren es 34 gewesen.
Bei den drei Landtagswahlen im September würde die Partei im Vergleich zu 2019 überall zulegen und stärkste Kraft werden. Vor allem aber will sie im Herbst erstmals in eine Landesregierung kommen.
Schon jetzt wächst die AfD. Der Landesverband Brandenburg etwa hat fast die Hälfte seiner rund 2.400 Mitglieder in den vergangenen beiden Jahren gewonnen. Statt Rentnern kämen nun berufstätige Ingenieure, Unternehmer und Mitarbeiter aus Verwaltungen zur AfD. Die verschärfte Beobachtung durch den Verfassungsschutz habe laut Funktionären lediglich eine Gruppe abgeschreckt: Polizisten.
Seitdem das Potsdamer Treffen im Januar bekannt wurde, hat der Andrang in die AfD nochmals zugenommen. Bürgerdialoge ziehen Hunderte Interessierte an. Die Partei erfährt Zuspruch, ohne sich zu mäßigen.
Keine Mäßigung
Sinnbildlich für diese Entwicklung steht der Thüringer AfD-Spitzenkandidat: Björn Höcke, vom Bundesamt für Verfassungsschutz schon 2020 als Rechtsextremist eingestuft, will Ministerpräsident werden. Als solcher will Höcke den Bund wegen der Flüchtlingspolitik verklagen.
Bei einer AfD-Veranstaltung Ende 2023 sagte Höcke im Zusammenhang mit der Ausweisung von Ausländern, dass Deutschland auch mit "20, 30 Prozent weniger Bevölkerung" zurechtkäme. Das entspricht in etwa dem Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung. Mehr als die Hälfte sind deutsche Staatsbürger. Am selben Abend warb Höcke auch um "Abschiebehelfer".
Allerdings: Höckes Beliebtheitswert liegt in Thüringen unter dem der AfD. Co-Landeschef Stefan Möller schreckt das nicht. Zu AfD-Veranstaltungen komme ein Drittel der Leute "wegen Björn Höcke, ein Drittel trotz Höcke - und dem Rest ist es egal", sagt Möller zu tagesschau.de.
Für Möller ist das keine Kritik am Spitzenkandidaten. Er zeigt sich überzeugt, dass dieser Anfang April im TV-Duell gegen den CDU-Landesvorsitzenden Mario Voigt bestehen wird. Höcke habe immer wieder gezeigt, "dass er mit seinen Aussagen mehr Anhänger für uns gewinnt als er verliert", so Möller. Um die AfD zu stellen und die Linkspartei ins Seitenaus zu drängen, sucht Voigt die direkte Auseinandersetzung - und wertet Höcke in den Augen seiner Kritiker auf.
Reihen schließen sich
Die AfD bemüht sich vor den Wahlen, geschlossen und professionell aufzutreten. Die Thüringer Landesliste stellte sie nach einem abgestimmten Listenvorschlag auf - eine Praxis, die in der Partei verpönt war. Auch in Sachsen gab es offensichtlich Absprachen vor der Listenaufstellung.
In Brandenburg kam Mitte März eine neue Führungsspitze ohne Kampfabstimmung ins Amt. Landeschef ist nun der Bundestagsabgeordnete René Springer. Springer hatte zur Correctiv-Recherche kommentiert: "Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach." Das sei ein Versprechen.
Zu Springers zweitem Stellvertreter wurde Hans-Christoph Berndt gewählt. Er sieht Deutschland auf "dem Weg zur Parteiendiktatur", wie er in seiner Bewerbungsrede sagte.
In den Reden von Berndt und weiteren Vorstandsmitgliedern zeichnet sich bereits der Wahlkampf ab. Demnach stünden die anderen Parteien für eine Politik, die Menschen ärmer mache und entrechte: Verarmung durch Inflation, Steuern, Klimaschutzabgaben und Asylgelder, die anderswo fehlen würden - Entrechtung durch Corona-Maßnahmen, Gendersprache und Verfolgung angeblich legitimer Meinungen.
Ministerpräsidenten im Fokus
Berndt nannte die Verantwortlichen eine "Kaste selbstzufriedener, herzverfetteter Politiker" und zielte damit insbesondere auf Brandenburgs Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD).
Auch in Sachsen steht der Ministerpräsident im Fokus. "Michael Kretschmer spricht AfD, aber er liefert Grün", sagt sein AfD-Herausforderer Jörg Urban im Gespräch. Das Auftreten des CDU-Politikers, der mit Grünen und SPD regiert, sei der Hauptangriffspunkt der AfD.
Urban wirft Kretschmer etwa die Corona-Politik vor. In Sachsen galten zeitweise härtere Maßnahmen als anderswo, auch, weil das Land die höchste Todesrate deutschlandweit hatte. Urban spricht von einem "übergriffigen Staat", nennt die Impfkampagne ein "Experiment". Sollte die AfD nach der Wahl regieren, werde man eine Kommission einsetzen. Entscheidungsträger hätten sich womöglich strafbar gemacht, mutmaßt Urban.
Vorbereiten aufs Regieren
Die AfD bereitet sich aufs Regieren vor. Der Bundesvorstand hat im vergangenen Jahr eine Akademie gegründet. Die schult unter anderem Führungskräfte in den Arbeitsabläufen von Ministerien. Brandenburg und Sachsen arbeiten mit ihr zusammen.
"Wenn wir einmal drin sind, wollen wir sofort anfangen", sagt Urban. Es brauche wohl 100 bis 150 Personen - als Minister, Staatssekretäre, Referenten, Pressesprecher. Diese würden nicht nur aus Sachsen kommen. Man habe als AfD "eine gemeinsame Verantwortung, dass das gut wird", sagt Urban.
Manche Führungskraft ist jedoch skeptisch, dass der AfD-Pool groß genug ist, um mehr als eine Regierung zu bestreiten. Zumal die AfD wohl eine absolute Mehrheit bei den Wahlen bräuchte, um zu regieren, lehnen die Spitzen aller anderen Parteien eine Koalition doch kategorisch ab.
Der Stresstest
Wahrscheinlicher ist laut Umfragen ein anderes Szenario: Die AfD muss nur auf ein Drittel aller Abgeordneten kommen, um der parlamentarischen Demokratie einen Stresstest zu bereiten. Dann würde sie die anderen Parteien nicht nur zu ungewollten Koalitionen zwingen.
Ohne AfD-Stimmen könnte die Verfassung nicht mehr geändert und kein Verfassungsrichter gewählt werden. Sollte keine stabile Regierung zustande kommen, könnte ein Landtag nicht ohne die AfD aufgelöst werden.
Denn für all diese Entscheidungen braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit - in einigen Ländern auch für die Wahl der Rundfunkräte, des Rechnungshofpräsidenten, des Richterwahlausschusses und der Parlamentarischen Kontrollkommission. Letztere kontrolliert den Verfassungsschutz. Bereits jetzt scheitern solche Wahlen mitunter.
In der Partei lautet das Kalkül, dass ihre Gegner dann doch mit ihr reden müssten. Die "Totalausgrenzung", wie es der Thüringer AfD-Co-Landeschef Stefan Möller nennt, würde aufbrechen.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, in den Landtagen von Brandenburg, Sachsen und Thüringen werde eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Wahl der Rundfunkräte benötigt. Das ist in Brandenburg nicht der Fall.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen