Demos gegen Rechtsextremismus Wie die Proteste umgedeutet werden
Die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus gehören zu den größten Protestbewegungen seit Jahren. Betroffenen Kreisen passt das nicht. Sie versuchen, die "Correctiv"-Recherche und die Demonstranten zu diskreditieren.
"Wir sind das Volk" - so sieht sich die AfD und warb mit dem Slogan bereits vor Landtagswahlen auf Plakaten. Was dabei nicht so gut ins Weltbild passt: Die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus mit teilweise Hunderttausenden Teilnehmern in den vergangenen Wochen, ausgelöst durch "Correctiv"-Recherchen über ein geheimes Treffen mit Rechtsextremen, bei dem auch AfD-Politiker anwesend waren.
Kein Wunder also, dass in rechtspopulistischen und rechtsextremen Kreisen andere Sichtweisen zu den Massenprotesten kursieren. Drei Forschende des Institute for Strategic Dialogue (ISD) haben sich die Delegitimierungsstrategien in sogenannten Alternativmedien und diversen Telegramkanälen für eine qualitative Kurzanalyse genauer angeschaut.
"Durch den Erfolg der Demos gegen Rechtsextremismus sind diese Gruppen natürlich in Bedrängnis geraten", sagt Solveig Barth, Project Coordinator beim ISD Germany. "Deswegen ist es ihr Ziel, sich selbst wieder ins richtige Licht zu rücken und sich als die wahren Schützer der Demokratie darzustellen."
Diskreditierung von "Correctiv"
Insgesamt haben die Forschenden sieben Argumentationsmuster ausgemacht, mit denen versucht wird, die Bedeutung der Demos herunterzuspielen. Zum einen werde der Bericht von "Correctiv", die Autoren des Berichts sowie das ganze Medienunternehmen an sich diskreditiert. "Es wurde versucht, eine gewisse Unsicherheit zu schaffen, was die Glaubwürdigkeit der Recherche und 'Correctiv' betrifft", sagt Barth.
Die Inhalte der Recherche werden beispielsweise als "populistische Luftnummer" bezeichnet, von einer "Hexenjagd" ist die Rede. "Correctiv" sei staatlich alimentiert und ein "Propaganda-Instrument der Regierung". Auch die frühere finanzielle Unterstützung der Open Society Foundation wurde thematisiert. Der Grund: Gegründet wurde die Gruppe von Stiftungen vom US-Amerikaner George Soros, der bereits seit langer Zeit Ziel antisemitischer Verschwörungserzählungen ist.
Geheim waren die Zahlungen der Open Society Foundation dabei nie. "Correctiv" legt bereits seit Jahren seine Finanzen offen. Zuletzt spendete die Open Society Foundation demnach im Jahr 2021 etwa 70.000 Euro, deutlich weniger als andere Organisationen. Ein Großteil der Einnahmen von "Correctiv" stammt von privaten Unterstützerinnen und Unterstützern.
Im Zusammenhang mit den Autoren des "Correctiv"-Berichts seien unter anderem alte Zitate von ihnen wieder hervorgebracht worden, zum Teil aus dem Zusammenhang gerissen, so Barth. "Für eine generelle Diskreditierung des Berichts wurden auch oft Aussagen der Teilnehmenden an diesem Geheimtreffen verbreitet, die natürlich die Brisanz herunterspielen."
Demos angeblich vom Staat orchestriert
Nicht nur "Correctiv" selbst wird in den rechtspopulistischen und rechtsextremen "Alternativmedien" und Telegramkanälen als Instrument der Regierung dargestellt, auch die Demonstranten. Der Analyse zufolge werden die Demos als vom Staat orchestriert verunglimpft, auch die Teilnehmerzahl wird infrage gestellt.
Das wohl berühmteste Beispiel dafür ist der Manipulationsvorwurf von Thüringens AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke. Dieser hatte behauptet, dass in den Medien unter anderem ein Bild von der Demonstration in Hamburg bearbeitet worden ist, damit die Menschenmasse größer erscheint, als sie in Wahrheit war. Allerdings war dieser Vorwurf falsch, bei den von Höcke geteilten Bildern handelte es sich lediglich um Bilder aus zwei verschiedenen Perspektiven.
Zudem wurde die Teilnehmerzahl der Demonstration in Hamburg deutlich zu niedrig geschätzt, wie sich später herausstellte. Die Hamburger Innenbehörde spricht jetzt offiziell von 180.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, am Tag der Demo hatte die Polizei nur etwa 50.000 geschätzt.
In einigen Beiträgen wurde zudem behauptet, dass die Teilnehmer der Demos ein Honorar für ihre Anwesenheit erhielten. Als vermeintlicher Beweis wurde eine Anzeige in einem Stellenportal angeführt, bei der nach Statisten für eine Demonstration gesucht wurde. Allerdings stammte diese Anzeige aus dem Jahr 2022, gesucht wurden Statisten für eine Videoaufnahme. Das Stellenportal selbst stellte zudem klar, dass dieses Inserat "in keinem Zusammenhang mit den Demonstrationen in Hamburg" stehe.
"Ablenkung vom Ursprung der Demos"
Als weiteres Narrativ zur Delegitimierung der Demos haben die Forschenden eine angeblich übergreifende staatliche Kontrolle ausgemacht, die die Proteste und deren Teilnehmer als antidemokratisch darstellt. So bringe die Regierung und die von ihr "organisierte 'Zivilgesellschaft' samt den steuerfinanzierten NGOs" mit "Unterstützung der Öffentlich-Rechtlichen und anderen braven Medien" viele Leute auf die Straße, heißt es in einem Beitrag. Ein AfD-Politiker sprach auf einer Pressekonferenz davon, dass Staatsbedienstete zu den Demonstrationen aufgerufen worden seien.
Ein AfD-Politiker teilte auf Instagram ein Bild mit den Worten, dass die nordrhein-westfälische Schulministerin Dorothee Feller (CDU) ihre "antidemokratische Fratze" zeige. Feller hatte zuvor Lehrkräfte ermuntert, an den Demonstrationen teilzunehmen.
Durch solche und andere Beiträge, bei denen beispielsweise von einer "rot-grünen Inquisition" gesprochen wird, werde versucht, die Demos als antidemokratisch darzustellen, so Barth. "So soll von der eigenen Verantwortlichkeit sowie dem eigentlichen Ursprung der Demos gegen rechts abgelenkt werden, die sich klar gegen die öffentlich gewordenen Remigrationspläne der von 'Correctiv' ausgewerteten Konferenz in Potsdam richteten."
Vergleiche mit DDR und Nationalsozialismus
Eine wichtige Rolle spielen aus Sicht der Forschenden auch die zahlreichen DDR- und NS-Vergleiche, die sie in den untersuchten Beiträgen gefunden haben. Im Zusammenhang von Schulen, die ihre Schüler zu einer Teilnahme an den Demos ermutigen, heißt es in einem Beitrag: "Das ist politische Indoktrinierung und erinnert an dunkelste Zeiten deutscher Geschichte".
In einem Post bei Telegram wurde ein Bild von einer Demo gegen Rechtsextremismus mit einem Foto von Naziaufmärschen in Berlin aus dem Jahr 1933 gegenübergestellt. Auch werden vermeintliche Parallelen zur DDR gezogen, bei denen es tatsächlich politisch verpflichtende Demonstrationen gab.
Instrumentalisierung der Bauernproteste
In den untersuchten Beiträgen wurde der Analyse zufolge auch versucht, die Bauernproteste und die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus gegeneinander auszuspielen. So sei die Verschwörungserzählung verbreitet worden, dass die Ampelregierung durch die inszenierten Demos von den Bauernprotesten ablenken wolle. Die Bauernproteste hatten bereits im Dezember 2023 begonnen und halten weiterhin an. Der "Correctiv"-Bericht erschien am 10. Januar.
"Es wird versucht, die Bauernproteste zu instrumentalisieren, um selbst besser dazustehen", sagt Barth. "Es wird beispielsweise behauptet, dass die Bauernproteste wegen der Demos gegen Rechtsextremismus vernachlässigt werden." In einem Beitrag wird etwa von einem "wie auf Bestellung" der Bundesregierung gelieferten Geheimtreffen als Vorwand geschrieben, um mit "herbeifantasierten Rechten" von den Bauernprotesten abzulenken.
In anderen Beiträgen wiederum werden die Demos als vorgeschobener Grund dafür angesehen, um davon abzulenken, "dass andere, mit fremdenfeindlichen Haltungen aufgeladene Themen größerer Aufmerksamkeit bedürfen", so Barth.
Kreml unterstützt die Desinformation
Kreml-nahe Accounts wiederum würden diesen verschiedenen Narrativen eine größere Reichweite geben, so die Analyse der Forschenden. So verbreiteten unter anderem russische Staatsmedien wie RT DE die Ansichten weiter und erhöhten dadurch die Reichweite. Ein Geben und Nehmen, sagt Barth. Denn: "Der Kreml setzt auf diese Gruppen in Deutschland zur Multiplikation von eigenen Narrativen." Russland sei zudem an einer Spaltung der Gesellschaft interessiert.
Insgesamt zielten die ganzen Delegitimierungsversuche darauf ab, die Demonstrationen sowie die "Correctiv"-Recherche in ihrer Bedeutung abzuschwächen, sagt Barth. "Die Leute, die sich sonst als Mitte der Gesellschaft darstellen, wurden von diesen riesigen Demos überrascht und können das Argument plötzlich nicht mehr so verkaufen wie vorher." Daher sei es aus deren Sicht sehr hilfreich, alles als große Inszenierung darzustellen, an denen hauptsächlich Linksextremisten beteiligt seien.