Michelle Obama beim Democratic National Convention (DNC) in Philadelphia im Juli 2016
faktenfinder

Trans- und Frauenfeindlichkeit Die Angst vor mächtigen Frauen

Stand: 27.07.2024 08:48 Uhr

Michelle Obama, Brigitte Macron oder auch Neuseelands Ex-Premierministerin Jacinda Ardern: Sie alle wurden Zielscheibe transfeindlicher Desinformation - weil sie mächtige Frauen sind.

Von Elisabeth Kagermeier und Pascal Siggelkow, Redaktion ARD-faktenfinder

Fragt man US-Amerikaner, wen sie sich als Traumkandidaten oder -kandidatin der Demokraten wünschen würden, fällt ein Name häufig: Michelle Obama. Die Frau des Ex-Präsidenten Barack Obama ist nach wie vor beliebt bei den demokratischen Wählerinnen und Wählern - obwohl sie sich in der Vergangenheit schon mehrfach klar äußerte, dass sie kein Interesse an einer politischen Karriere hat.

Doch auch wenn sie als realistische Präsidentschaftskandidatin ausscheidet: Chancen hätte sie einer Umfrage von Reuters zufolge, die nach dem ersten TV-Duell zwischen Biden und seinem Herausforderer Donald Trump durchgeführt wurde. Danach war sie die einzige abgefragte Kandidatin, die gute Chancen hätte, Trump zu schlagen, mit 50 zu 39 Prozent der Befragten.

Michelle Obama im Fokus der Desinformation

Kein Wunder also, dass unter Trump-Fans Michelle Obama als Bedrohung wahrgenommen wird. Das zeigt sich auch in den Inhalten, die seit der TV-Debatte Ende Juni über sie geteilt werden. Ein großer Teil davon ist gefälscht und transfeindlich.

Die Behauptung, Michelle Obama wäre trans, wird schon lange in Netzwerken verbreitet, die für Desinformation bekannt sind. Nun schaffte das Narrativ es allerdings weit über diese Kreise hinaus. Die Posts beispielsweise auf X wurden millionenfach gesehen, allein einzelne Beiträge je über 30 Millionen mal. Auch in Deutschland verbreiten sich Bilder und Videos.

"Im politischen Diskurs wird insbesondere das Geschlecht von Frauen oft angezweifelt, um sie zu diskreditieren und der Lüge zu bezichtigen", sagt Kerstin Thost vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD). "Dieses Säen von Misstrauen ist eine typische Strategie des Rechtspopulismus und soll negative Gefühle auslösen und sorgt teilweise unterbewusst dafür, dass die Seriosität der Person in Frage gestellt wird."

Insbesondere seien Frauen von diesen Narrativen betroffen, die in Bereichen tätig sind, welche in der Vergangenheit oft männlich dominiert waren, so zum Beispiel in der Politik und im Sport, sagt Thost. "Es ist zum einen Transfeindlichkeit, wenn davon ausgegangen wird, dass besonders starke und erfolgreiche Frauen eigentlich keine cis Frauen sein können, aber auch Frauenfeindlichkeit, weil es die Vielfalt des Frauseins unterdrücken soll."

Gefälschte Familienbilder der Obamas

Besonders stark verbreiten sich gefälschte Bilder, die Barack und Michelle Obama als junge Erwachsene zeigen. Durch Bildmanipulation wurde Michelle Obamas Kopf durch einen männlichen Kopf ersetzt, mit kurzen Haaren, kantigeren Gesichtszügen und manchmal Oberlippenbart.

Screenshot von der Plattform X

Das Bild von Barack und Michelle Obama wurde manipuliert - und Michelles Kopf ausgetauscht.

Screenshot von Instagram zeigen die Obamas

Das Originalbild postete Barack Obama auf Instagram am 17. Januar 2019 anlässlich Michelle Obamas 55. Geburtstag.

Die Originalbilder des Paars posteten die Obamas vor Jahren selbst: In einem Fall Barack Obama im Januar 2019, um seiner Frau zum 55. Geburtstag zu gratulieren, im anderen Michelle Obama zu Weihnachten 2014. Das Bild der beiden vor einem Weihnachtsbaum ist laut Bilderrückwärtssuchen bereits seit 2008 auf verschiedenen Nachrichtenwebseiten und in Fotoarchiven auffindbar.

Screenshot von der Plattform X

Auch hier wurde Michelle Obamas Kopf durch Bildmanipulation ersetzt.

Screenshot von Instagram zeigen die Obamas

Das Original postete unter anderem Michelle Obama Weihnachten 2014 auf Instagram.

"Big Mike"-Fake zu CNN

Direkt nach der ersten TV-Debatte zwischen Biden und Trump wurde auf X zehntausendfach ein Video geteilt, das den politischen Direktor von CNN, David Chalian, zeigt - unterlegt mit einer Fake-Tonspur. Das Bild zeigt die Berichterstattung von CNN nach der Debatte mit Umfrageergebnissen, wer aus Sicht von Zuschauern gewonnen hätte und wie sich ihr Eindruck der Kandidaten verändert hat.

Im Ton des Fake-Videos heißt es dazu: "An diesem Punkt ist es mir egal, ob sie Gavin Newsom, Hillary Clinton oder sogar Big Mike bringen. Ich meine, sogar Michelle Obama. Entschuldigung, ich weiß nicht, warum ich Big Mike gesagt habe."

Den Großteil des Videos sieht man eingeblendete Grafiken zur TV-Debatte, aber an den Stellen, wo man Newsom im Bild sieht, ist bereits klar ersichtlich, dass seine Mundbewegungen nicht zu der bearbeiteten Tonspur passen. CNN bestätigte, dass das Audio Fake war und das Originalvideo keine Statements dieser Art enthielt.

Schaut man sich den Ausschnitt an, den CNN tatsächlich gesendet hat, sagt Newsom an der betreffenden Stelle: "33 Prozent sagen, Joe Biden hat die Debatte heute gewonnen. Die Zuschauergruppe hat uns auch gesagt, was sie vorher dachten, wer die Debatte gewinnt. Lasst uns anschauen, wie sich das verändert hat."

"Big Mike" wird von Personen, die die Kampagne gegen Michelle Obama vorantreiben, schon lange als diffamierender Spitzname für sie verwendet - mit der Absicht damit zu zeigen, dass man ihr nicht glaube, dass sie eine Frau sei.

Die Familie Macron traf es ebenfalls schon

Die Geschlechtsidentität einer politischen Person zu hinterfragen, ist ein gängiges Mittel der Desinformation - auch Brigitte Macron, die Ehefrau von Emmanuel Macron traf es bereits. Sie sei in Wahrheit gar keine Frau, sondern ein Mann, so die Verschwörungserzählung. Nachdem die echte Brigitte bereits als Kind verstorben sein soll, habe ihr Bruder Jean-Michel ihre Rolle eingenommen und lebe als trans Frau unter ihrem Namen.

"Durch die Unterstellung, Michelle Obama oder Brigitte Macron seien eigentlich trans, wird Transgeschlechtlichkeit als ein negatives und 'dunkles' Geheimnis behandelt - daraus spricht eine Haltung, die trans Menschen ablehnt und als des Verschweigens wert betrachtet", sagt Thost vom LSVD. Es sei wichtig zu betonen, dass trans Menschen ihre Geschlechtlichkeit selbstverständlich wie alle anderen Menschen auch weder offenlegen noch beweisen müssten, um am öffentlichen Leben und politischen Entscheidungen teilzunehmen.

Das sieht auch Josef Holnburger, Geschäftsführer bei CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie), so. "Normalerweise sagt man: Wer eine Behauptung aufstellt, muss den Beweis liefern und nicht, wer die Behauptung aufstellt, der muss den Gegenbeweis geliefert bekommen." Zudem gebe es bei solchen Verschwörungserzählungen grundsätzlich das Problem, dass Beweise ohnehin die Menschen nicht vom Gegenteil überzeugen würden.

"Verschwörungserzählungen enthalten immer das Element eines 'allmächtiger Machtapparats'. Für jeden Beweis kann man immer eine Ausrede finden, wie dieser vermeintliche Machtappart diesen Beweis manipuliert hätte", sagt Holnburger.

Fälle werden miteinander verknüpft

Die Fälle werden auch miteinander verknüpft: Obama wäre "so schwul wie Macron" schrieb zum Beispiel ein User, der reichweitenstark die Fake-Inhalte verbreitete. Die frühere neuseeländische Ministerpräsidentin Jacinda Ardern war bereits ebenfalls Ziel dieser Verschwörungserzählung.

"Ein grundlegendes Element von ganz vielen Verschwörungserzählungen ist, dass die Bevölkerung von den Medien belogen wird", sagt Holnburger. "Alles, was die Medien sagen, ist in ihrem Weltbild eine Lüge und deswegen müsse man immer das Gegenteil annehmen." Einige gingen dann sogar so weit, dass sie sagten, die Medien lügen mit der ganzen Identität von prominenten Menschen. Zudem gebe es auch Menschen, die stets eine Antihaltung zu einem Thema einnehmen würden, wie abwegig es auch sei.

Gefahr der Entmenschlichung

In den USA gibt es sogar eine eigene transfeindliche Bewegung, die sich zur Aufgabe gemacht hat, das vermeintlich wahre Geschlecht einer meist prominenten Person vor allem durch Fotos und Videos zu bestimmen. Dahinter spielen auch sogenannte Incels eine Rolle, so Holnburger. "Incel" ist eine Abkürzung für "involuntarily celibate": Männer, die nach eigenen Angaben noch nie oder seit geraumer Zeit keine sexuelle Kontakte hatten - und unfreiwillig im Zölibat leben. "Die haben einen entwickelten Frauenhass, der sich in solchen Aktionen zeigt", sagt Holnburger.

Am Ende ginge es bei ganz vielen Verschwörungserzählungen immer um Entmenschlichung. "Wenn man den vermeintlichen Verschwörern unterstellt, unglaublich bösartiges im Sinn zu haben, dann geht es oft auch darum, ihnen Menschlichkeit abzusprechen", sagt Holnburger. Und das spiele bei der Radikalisierung eine große Rolle. "Wenn man gar nicht mehr anerkennt, dass jemand noch irgendwie ein Mensch ist, dann ist man auch eher gewillt, ihm Schaden zuzufügen und Gewalt anzutun."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 19. Juli 2024 um 12:16 Uhr.