Christian Lindner beim Sommerinterview mit Matthias Deiß
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FDP-Chef und Finanzminister Das ARD-Sommerinterview mit Lindner im Faktencheck

Stand: 28.07.2024 16:31 Uhr

Im ARD-Sommerinterview ist FDP-Chef Lindner vielen konkreten Fragen eher ausgewichen. Zu Verteidigungsausgaben, Klimageld und Missbrauch sozialer Leistungen äußerte er sich jedoch zumindest ungenau oder selektiv.

Der Haushalt, insbesondere die Verteidigungsausgaben, aber auch die Sozialpolitik und die anstehenden Wahlen standen im Zentrum des ARD-Sommerinterviews mit Bundesfinanzminister Christian Lindner. Der FDP-Chef ließ sich nur zu wenigen faktischen Aussagen verleiten, verwies immer wieder auf Klärungs- und Prüfungsbedarf.

In einigen Punkten wurde Lindner jedoch konkret. Etwa in der Frage des Verteidigungsetats, bei dem er den Einsatz Deutschlands im Vergleich zu anderen NATO-Ländern hervorhob:

Wir investieren stark in die Sicherheit. Deutschland erfüllt das NATO-Ziel von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für die äußere Sicherheit. Wann in den letzten Jahrzehnten hat es das gegeben? Wir tun mehr als Frankreich und Italien beispielsweise.

Auf dieses Jahr bezogen ist das korrekt: Nach den bisherigen Schätzungen der NATO wird Deutschland in diesem Jahr 2,12 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung ausgeben - Frankreich liegt bei 2,06 Prozent, Italien bei 1,9 Prozent.

Betrachtet man jedoch die Ausgaben aller NATO-Länder, liegt Deutschland damit nur auf dem 15. Rang von 32 Nationen. Frankreich lag in den vergangenen zehn Jahren zudem immer deutlich über der deutschen Quote.

Weiterhin gibt es Kritik an der Methode, wie die Verteidigungsausgaben berechnet wurden. So hat Lindners Finanzministerium offenbar auch Zinsen für Rentenzahlungen oder Entwicklungshilfeausgaben dazugezählt, die nicht direkt als verteidigungsrelevant gelten können. Allerdings bedienen sich auch andere NATO-Länder solcher Tricks.

Einsparpotenzial in zweistelliger Milliardenhöhe?

Im Interview kündigte Lindner die Bekämpfung des Missbrauchs sozialer Leistungen an - durch die er ein massives Einsparpotenzial sieht:

Wer bedürftig ist, wer Hilfe braucht, wer unsere Solidarität verdient, braucht auch die Sicherheit, dass sie oder er sie erhält. Auf der anderen Seite: Wer nicht arbeitet, wer vorsätzlich Angebote ausschlägt oder wer sich irregulär, illegal in Deutschland aufhält, eigentlich das Land verlassen muss - diese Menschen können nicht von unserem Sozialstaat profitieren. Und damit wir die Größenordnung verstehen: Da geht es um zweistellige Milliarden-Euro-Beträge.

Hier ist unklar, auf was sich die "zweistelligen Milliarden-Euro-Beträge" genau beziehen: auf den Missbrauch aller Sozialleistungen oder die Ausgaben für Menschen, die sich "irregulär, illegal" in Deutschland aufhalten.

Rund 486.100 Personen bezogen Ende 2022 Asylbewerberregelleistungen. 2023 wurden in Deutschland von allen Bundesländern zusammen rund 6,3 Milliarden Euro für Asylbewerberleistungen ausgegeben. Die Leistungen für anerkannte Flüchtlinge - deren Status Lindner auch nicht in Frage stellt - gehören nicht dazu.

In den 6,3 Milliarden sind auch Zahlungen für Geduldete enthalten, also Migrantinnen und Migranten, bei denen die Ausreisepflicht ausgesetzt wurde - weil eine Ausreise nicht möglich ist, aber auch, weil sie eine Ausbildung oder Beschäftigung aufgenommen haben. Ende Juni 2023 waren nach Angaben der Bundesregierung 279.098 Menschen in Deutschland ausreisepflichtig. Davon hatten 224.768 Menschen eine Duldung.

54.330 Menschen waren unmittelbar ausreisepflichtig, würden also unter Lindners Kriterien fallen. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel schätzt 2022 die Kosten 2022 pro Flüchtling auf 13.000 Euro im Jahr. Demnach würde diese Gruppe jährlich gut 700 Millionen Euro an Ausgaben verursachen.

Relativ wenige Arbeitsverweigerer

Beim Missbrauch von Sozialleistungen gehen die Schätzungen weit auseinander - nicht zuletzt, weil nicht genau definiert ist, was darunter zu verstehen ist. Konkret nennt Lindner hier Leistungsempfänger, die vorsätzlich Angebote ausschlagen.

Durch dass "Gesetz zur Regelung eines Sanktionsmoratoriums in der Grundsicherung für Arbeitsuchende" wurden im Juni 2022 Sanktionen in solchen Fällen weitgehend ausgesetzt, sodass es seitdem hierfür keine verlässlichen Statistiken gibt. Im Bericht der Bundesagentur für Arbeit zur jährlichen Sanktionsverlaufsquote vom April 2020 wurden 2018 8,6 Prozent der Empfängerinnen und Empfängern von Grundleistungen zumindest für einen Monat die Leistungen reduziert oder gestrichen.

77,3 Prozent der Maßnahmen erfolgten wegen Meldeversäumnissen, lediglich 10,6 Prozent wegen der Weigerung zur Aufnahme, Abbruch oder Fortführung einer Arbeit. 8,6 Prozent wurden sanktioniert, weil sie sich weigerten, Pflichten der Eingliederungsvereinbarung zu erfülllen. In zwei Dritteln der Fälle blieb es bei einer Sanktion in einem einzigen Monat.

Ob hier tatsächlich zweistellige Milliardenbeträge einzusparen wären, ist daher fraglich - abzuwarten ist jedoch, wie sich die Einführung des Bürgergelds auf diese Quoten auswirken wird, worauf auch der FDP-Chef hinweist.

"Frag Selbst" mit Christian Lindner (FDP), Bundesfinanzminister

tagesschau24, 28.07.2024 18:00 Uhr

Fragwürdige Aussage zum Klimageld

Auf die Frage zu der im Koalitionsvertrag als Ziel festgelegten, aber immer noch nicht umgesetzten Einführung eines Klimageldes sagte Lindner beim Internetformat Frag selbst:

Der Plan ist immer: Es steht 2025 zur Verfügung, und das wird so sein. Aber: Für die Bürgerinnen und Bürger entsteht daraus kein Vor- oder Nachteil. Denn das, was Robert Habeck immer sagt, stimmt, wir haben ja die EEG-Umlage, das sind 17 Milliarden Euro, die sonst über die Stromrechnung von den Bürgerinnen und Bürgern und den kleinen Betrieben bezahlt werden müssten. Das machen wir jetzt aus dem Bundeshaushalt. Also Robert Habeck sagt, das ist ja schon so etwas wie das Klimageld. Und er hat Recht.

Das ist so nicht korrekt: Im Koalitionsvertrag wurde festgelegt, dass das Klimageld zusätzlich zur Aussetzung der Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ausgezahlt werden soll:

Um einen künftigen Preisanstieg zu kompensieren und die Akzeptanz des Marktsystems zu gewährleisten, werden wir einen sozialen Kompensationsmechanismus über die Abschaffung der EEG-Umlage hinaus entwickeln (Klimageld).

Bei der Aussetzung der EEG-Umlage fehlt zudem weitgehend die soziale Komponente, die im Koalitionsvertrag festgelegt wurde: Die Reduzierung des Strompreises pro Kilowattstunde ist für alle privaten Stromkunden und gewerblichen Abnehmer gleich - sofern sie weniger als eine Gigawattstunde pro Jahr verbrauchen. Haushalte, die nur wenig Strom nutzen, haben dadurch eine deutlich geringere Ersparnis pro Monat.

Das Klimageld dagegen soll pro Kopf an alle gleich ausgezahlt werden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 28. Juli 2024 um 16:00 Uhr.