Ausreisepflichtige Warum viele nicht abgeschoben werden
Die Zahl der Ausreisepflichtigen wird in 2020 wohl deutlich steigen. Grund: Die Verwaltungsgerichte müssen über viele Altfälle noch entscheiden. Eine konkrete Zahl wollen weder Regierung noch Experten nennen.
Für Experten wäre der Anstieg der Zahl nichts Ungewöhnliches - sondern Ausdruck der Auswirkung der Flüchtlingsbewegung in 2015 und 2016. Mitte des vergangenen Jahres meldeten die Verwaltungsgerichte, dass noch viele Entscheidungen getroffen werden müssten.
Viele Ausreisepflichtige schiebt der Staat allerdings nicht ab - etwa, weil Betroffene eine Ausbildung absolvieren. Seit dem ersten Januar 2020 ist auch eine Duldung aufgrund einer Beschäftigung möglich. Ein Abschiebehindernis ist aus rechtlichen Gründen zudem, wenn im Heimatland Folter oder Tod drohen. Zudem können humanitäre Duldungsgründe oder medizinische Abschiebehindernisse, zum Beispiel schwere Erkrankungen, vorliegen.
Polizisten führen einen Afghanen in ein Charterflugzeug in Leipzig.
Derzeit liegt die offizielle Zahl der ausreisepflichtigen Drittstaatsangehörigen bei rund 248.000. Doch diese Zahl ist nicht belastbar. Bis zu 50.000 könnten das Land bereits unregistriert verlassen haben. Nach Angaben der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion "Die Linke" haben rund 77.000 Menschen seit mehr als drei Jahren eine Duldung, 35.000 von ihnen seit mehr als fünf Jahren. Je länger sie in Deutschland sind, desto schwieriger gestaltet sich eine Rückführung für die Behörden.
Deshalb möchte das Bundesinnenministerium diejenigen Ausreisepflichtigen priorisiert behandeln, die noch nicht so lange in Deutschland leben. Dabei sind Abschiebungen von Ausreisepflichtigen eigentlich Angelegenheit der Länder, nicht des Bundes. Allerdings unterstützt das Bundesinnenministerium die Länder - vor allem bei der Logistik, also dem Flug in das Heimatland plus Begleitung durch die Bundespolizei.
Oft fehlen die Papiere für eine Wiedereinreise
Im vergangenen Jahr 2019 wurden rund 25.000 Ausreisepflichtige in ihre Heimatländer zurückgeführt. Zudem hat die Bundesregierung in 20.000 Fällen eine freiwillige Ausreise gefördert, die von verschiedenen Programmen von Bund und Ländern begleitet wurden. Dass die Zahl der Rückführungen nicht noch höher ist, hat mehrere Gründe.
In vielen Fällen liegen nicht alle Papiere vor, die für eine Wiedereinreise ins Heimatland nötig wären. Zwar hat die Bundesregierung ihre Anstrengungen nach eigenen Angaben deutlich erhöht und die Kommunikation mit den Herkunftsländern entsprechend verbessert. Dabei hilft das Zentrum zur Unterstützung der Rückführung (ZUR) mit Sitz in Wilmersdorf. Dennoch liegen in rund 80.000 Fällen derzeit nicht die nötigen Papiere vor.
Ist Rückführung nach Afghanistan zumutbar?
Ein weiterer Grund ist, dass die Bundesländer Bedenken haben, vor allem wenn es um das Herkunftsland Afghanistan geht. So leben derzeit rund 22.000 ausreisepflichtige Afghanen in Deutschland. Zwischen Bund und Ländern ist umstritten, ob sie wirklich in ihr Heimatland zurückgebracht werden sollen oder ob ihnen dies aus Sicherheitsgründen nicht zugemutet werden kann. Im vergangenen Jahr wurden 361 Afghanen zurückgeführt. Damit ist klar: Die Bundesländer misstrauen der Einschätzung von Auswärtigem Amt und Bundesinnenministerium, dass in bestimmte Regionen in Afghanistan zurückgeführt werden kann.
Diskussion um Abschiebehaftplätze
Ein weiterer Grund für das Scheitern der Rückführungen ist, dass Ausreisepflichtige häufig nicht anzutreffen sind. Das Asylpaket I, das 2016 unter dem damaligen Innenminister Thomas de Maizière verabschiedet wurde, sieht vor, dass Betroffene über eine Abschiebung nicht mehr vorab informiert werden sollen.
Nach Ansicht von Innenminister Horst Seehofer würden Abschiebehaftplätze helfen, dieses Problem zu lösen. Er verweist darauf, dass Frankreich rund 1600 Abschiebehaftplätze hat, Deutschland im Vergleich nur 587.
Zwar hat die Bundesregierung mit dem Gesetz "Geordnete Rückkehr" eine Möglichkeit geschaffen, Ausreisepflichtige sogar in Justizvollzugsanstalten unterzubringen. Diese Option ist allerdings sehr umstritten. Die Länder nutzen diese Möglichkeit bislang bewusst nicht. Vereinfacht ausgedrückt wollen sie nicht, dass Familien in der gleichen Einrichtung wie Straftäter untergebracht werden - selbst wenn dies nach dem Willen des Bundesinnenministeriums räumlich getrennt geschehen sollte. Dennoch werden in den Ländern derzeit Abschiebehaftplätze gebaut. Die Ziel von Bund und Ländern: 1000 Abschiebehaftplätze bis Ende des Jahres.