Die Vertreter der Anklage und der Staatsanwalt stehen zusammen mit Richtern und Gerichtsmitarbeitern vor Beginn des Prozesses wegen des Vorwurfs des Landesverrats gegen einen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) und dessen mutmaßlichen Mittäter im Gerichtssaal vom 6. Strafsenat des Kammergerichts Berlin.

Aussage von BND-Agent Vertrauen in einen "Hochstapler"

Stand: 18.04.2024 17:17 Uhr

Er soll BND-Geheimnisse an Russland verraten haben, ein Mitangeklagter belastete ihn schwer. Nun äußerte sich Carsten L. erstmals selbst: Er bestritt den Verrat und gab Einblick in seine Arbeit und seine Ansichten.

"Einer, der einen Arsch in der Hose hat", der sich "ungezwungen" und "sicher" in den Ländern Afrikas oder der Ukraine und Russland bewegen kann - mit diesen Anforderungen beschreibt der langjährige BND-Mitarbeiter Carsten L., warum er den Mitangeklagten Arthur E. als Quelle für seinen Nachrichtendienst anheuern wollte, und sogar veranlasste, dass dieser den Status als "nachrichtendienstliche Verwendung" (NDV) erhielt.

Carsten L. und Arthur E. sind vor dem Kammergericht Berlin des schweren Landesverrats in zwei Fällen angeklagt. Ersterer soll geheime BND-Unterlagen an seinen mutmaßlichen Komplizen gegeben haben, die dieser in Moskau Mitarbeitern des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB übergeben haben soll. Dafür soll Carsten L. mindestens 450.000 Euro bekommen haben.

Arthur E. hatte in mehreren Vernehmungen und vor Gericht detailreich beschrieben, wie sich all dies zugetragen haben soll. Carsten L. schwieg bislang - bis zum 19. Verhandlungstag: Er stellte sich den Fragen der Richter und der Bundesanwaltschaft.

Ein "windiger" Freund und Geschäftspartner?

Mit seinem Anwalt Johannes Eisenberg stellte er Arthur E. nun als "Hochstapler", "Schwindler" und "Schwätzer" dar, dessen Angaben nicht zu trauen sei. Schon bei ihrem Kennenlernen, das Carsten L. auf den 1. August 2022 in einem Biergarten datierte, habe er Zweifel an dessen Geschäftsprojekten beim Abbau und Handel mit Gold, Diamanten und seltenen Erden in Afrika gehabt. Das Angebot zum Einstieg sei ihm zu "windig" erschienen, ein Geschäftsplan nicht mehr als eine Kostenaufstellung gewesen.

Dennoch ließ sich Carsten L. bei einem Treffen wenige Tage später auf ein Kryptowährungsgeschäft ein, das Arthur E. ihm während eines Grillabends feilbot. Er habe für 10.000 Euro Kryptowährung erworben, so der ehemalige Bundeswehroffizier und BND-Agent.

Noch bis kurz vor seiner Festnahme am 22. Dezember 2022 bat Carsten L. den Ermittlungen zufolge den 33-Jährigen um Auskunft bei Dingen, die seine Frau und seine Tochter betrafen. Dabei hätten sie Arthur E. schon lange keinen Glauben mehr geschenkt, er habe sich mit "Investitionsangeboten" an die Familien "heranwanzen" wollen.

Als Beleg für Arthur E.s "kriminelles Verhalten" stellte Anwalt Eisenberg einen Beweisantrag zum "Sachverhalt OSZE". Demnach benutzte Arthur E. einen gefälschten Diplomatenausweis der Sicherheitsorganisation. Mit einem Aufkleber "CD" habe dieser seinen Porsche Cayenne wiederholt in Parkverbotszonen abgestellt und sich als Diplomat auszuweisen versucht. Außerdem habe er Geld mit Coronatests und Impfzertifikaten gemacht.

Treffen, die es nicht gegeben haben soll

Drei Treffen, die Arthur E. als wesentlich für den Verrat beschrieben hatte, sollen Carsten L. zufolge gar nicht oder später stattgefunden haben. Zu einem Treffen der beiden zusammen mit dem Geschäftsmann Visa M. aus Russland soll es demnach nicht am 12. September 2022, sondern erst "Mitte/Ende Oktober 2022" gekommen sein.

Der Zeitpunkt ist wichtig, denn der Geschäftsmann und Carsten L. seien bei diesem Treffen übereingekommen, dass man sich "gegenseitig etwas Gutes" tun könne - wobei nach Darstellung Arthur E.s darunter sowohl die persönliche Beziehung als auch Deutschland und Russland gemeint sein könnten. Kurz darauf habe Carsten L. mitgeteilt, dass er Material für Russland habe.

Der BND-Agent bestritt all dies. Mit Visa M. habe er sich nur über dessen Herkunft aus Tschetschenien und seinen Aufenthaltsstatus in Deutschland unterhalten. Demnach wollte der Geschäftsmann einen permanenten Aufenthaltstitel für Deutschland erwerben. Er habe da nichts tun können, so Carsten L. - es sei denn, auch Visa M. werde NDV, also Informant, für den BND. Offenbar ging Visa M. darauf nicht ein.

Dennoch gab Carsten L. noch im Dezember 2022 einem Kollegen den Auftrag, den Status von Visa M. zu prüfen mit der Begründung, eine Quelle anbahnen zu wollen. Der BND sei eben keine normale Behörde, beim Nachrichtendienst arbeite man so, begründete Carsten L. das eher hemdsärmlige Vorgehen.

Woher kam das Verratsmaterial?

Ausführlich stellten Eisenberg und Carsten L.s zweiter Anwalt Phillipp Bruckmann in einem weiteren Beweisantrag dar, warum ihr Mandant am 23. September und 4. Oktober 2022 aus technischen und zeitlichen Gründen kein "Verratsmaterial" an Arthur E. übergeben haben könne, wie dieser es dargestellt hatte. Die Anwälte beantragten die Anhörung mehrerer BND-Mitarbeiter und BKA-Ermittler, um dies zu beweisen.

Sollte dies zutreffen, müsste geklärt werden, auf welchem Wege dann Kopien von Dateien auf das Mobiltelefon von Arthur E. und schließlich zum Geheimdienst FSB nach Russland gelangen konnten. Arthur E. war jeweils kurz nach den beiden angeblichen Treffen nach Moskau gereist, finanziert angeblich vom Geschäftsmann Visa M., der auch die Treffen mit zwei FSB-Mitarbeitern namens Pawel und Gassan organisiert haben soll.

"Agenten-Attitüde"

Was Carsten L. zugab: Er veranlasste die "Schleusung" von Arthur E. durch die Flughafenkontrolle bei dessen Rückkehr aus Russland, dies am 9. Oktober und am 11. November 2022 durch BND-Kollegen. Wobei "Schleusung" im Falle von Arthur E. Begleitung und Unterstützung bei möglichen Problemen mit dem Zoll haben soll.

Das habe den BND nichts gekostet, beteuerte Carsten L. Es sei darum gegangen, eine "Agenten-Attitüde" zu vermitteln. So etwas könne einen größeren Anreiz als finanzielle Angebote bieten. Arthur E. habe sich wichtig fühlen sollen.

Allerdings brachte Arthur E. beide Male nicht mit, was sich Carsten L. erhofft haben will: Informationen zur Überwachung westlicher Botschaften in Moskau durch die russischen Sicherheitsbehörden und womöglich gar eine Liste von Botschaftsmitarbeitern, die auf der "Payroll" russischer Dienste stehen sollten. Arthur E. hatte Carsten L. während eines Gesprächs im Berliner Bordell "Artemis" erzählt, er habe einen Kontakt bei den Sicherheitsbehörden, der ihm noch was schulde.

Mit der Aufklärung von "Unregelmäßigkeiten" an der deutschen Botschaft in Moskau - einem möglichen Abfluss von Informationen über einen kompromittierten Mitarbeiter - hatte Carsten L. das Engagement von Arthur E. begründet, dies abseits seiner offiziellen Informantentätigkeit zu Staaten in Afrika.

500-Euro-Scheine

Carsten L. gab auch zu, sich in München mit Arthur E. nach dessen Rückkehr aus Moskau am 11. November 2022 getroffen zu haben. Über die Enttäuschung des erneut nicht gelieferten Materials habe ihm hinweggeholfen, dass Arthur E. den Kontakt zur örtlichen Degussa-Filiale hergestellt habe. Dort habe man Arthur E. wie einen guten Bekannten begrüßt.

Carsten L. richtete dort auf dessen Empfehlung ein Schließfach ein. Bei der Durchsuchung fanden die Ermittler darin 400.000 Euro Bargeld in 500-Euro-Scheinen. Wie Arthur E. erklärte auch Carsten L. eine Vorliebe für die höchste Euro-Note, die schon seit Jahren nicht mehr ausgegeben wird. Er habe private Beziehungen zu einer Zahlstelle, bei der er 500-Euro-Scheine eingewechselt habe, so Carsten L.

Dass er überhaupt über so viel Bargeld verfügt habe, erklärte der einstige BND-Referatsleiter mit einem Erblass, Gewinnen aus Krypto- und Goldgeschäften sowie seinem Einkommen beim BND. Außerdem habe seine Frau durchaus "überraschend" viel "Schuhgeld" in Höhe von 210.000 Euro in einem Textilkoffer auf dem Dachboden aufbewahrt.

In die Falle gelockt?

Beide Angeklagte vermitteln den Eindruck, in eine Falle gelockt worden zu sein. Carsten L. ließ sich von den hochrangigen Kontakten Arthur E.s in Afrika beeindrucken, die dieser "sattelfest" habe belegen können. Arthur E. war schnell klar, dass Carsten L. beim BND arbeitete. Die übliche Legende einer Mitarbeit beim "Amt für Militärkunde" (AMK) habe Arthur E. gleich durchschaut.

Während Arthur E. auf Strafminderung durch weitgehende Aussagen setzt, streitet Carsten L. jeglichen Verrat ab, auch die ihm unterstellte Motivation. Er sei weder reaktionär noch AfD-Sympathisant. Auf seine neue Aufgabe am Standort Berlin fern der bayerischen Heimat habe er sich gefreut. Die Strukturreform beim BND habe er kritisch gesehen, sie aber konstruktiv begleitet. Mit seinen Nachforschungen habe er dem BND helfen wollen.

Nun wird es an Bundesanwaltschaft und Verteidigern sein, die jeweiligen Vorwürfe bis in die Details zu be- und widerlegen. Dies dürfte sich weit über den Sommer hinausziehen.