Prozess wegen Landesverrats Das Jetset-Leben des Arthur E.
Er könnte der wichtigste Zeuge im Prozess gegen BND-Agent Carsten L. sein - der Mitangeklagte Arthur E. Über sein Vorleben will er nicht sprechen, einige Hinweise geben seine Aussagen aber dennoch.
Arthur E. sitzt zurückgelehnt auf dem Zeugenstuhl im Gerichtssaal 145a. "Dann erzähle ich, wie es angefangen hat", sagt der 32-Jährige und schaut den Vorsitzenden Richter Detlev Schmidt an, während er seine Arme ausbreitet.
An drei Terminen im Januar und Februar trug Arthur E. dem 6. Strafsenat des Berliner Kammergerichts seine Sicht auf den wohl größten Spionagefall der vergangenen Jahre in der Bundesrepublik vor.
Schwarz gekleidet in Turnschuhen, Trainingshose und Sweatshirt mit dem Schriftzug BOSS, beschrieb der Geschäftsmann mit kahlgeschorenem Kopf aus dem Gedächtnis die Stationen seiner Bekanntschaft mit dem leitenden BND-Mitarbeiter Carsten L. Dieser sitzt in dunkelblauem Sakko und mit akkurat geschnittenem Haar hinter seinen Anwälten in einer Glasbox für die Angeklagten.
Der 53-Jährige schreibt gewissenhaft mit - und schweigt. Beide sind des schweren Landesverrats in zwei Fällen angeklagt, weil sie geheime Dokumente und Informationen aus dem BND an den russischen Inlandsgeheimdienst FSB gegeben haben sollen.
Arthur E. lässt keine Nervosität erkennen, er wirkt selbstsicher, bespricht sich mit seinen beiden Anwälten. Bei den Zeugenaussagen von BKA-Ermittlern und einer Richterin vom Bundesgerichtshof (BGH) nickt er zustimmend oder schüttelt den Kopf. Bisweilen sucht er Blickkontakt zum Publikum.
Carsten L. und Arthur E. stehen seit Dezember vor Gericht. Der BND-Mitarbeiter Carsten L. war ein Jahr zuvor in Berlin festgenommen worden. Er soll laut Anklage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 Informationen, die er im Zuge seiner Arbeit beim BND erlangt hat, an den russischen Geheimdienst FSB übermittelt haben.
Bei den ausspionierten Informationen handelt es sich nach Angaben der Bundesanwaltschaft um ein Staatsgeheimnis im Sinne des Strafgesetzbuchs. Den beiden Angeklagten wird Landesverrat vorgeworfen. Sie sollen laut Anklage einen "Agentenlohn" von 450.000 Euro beziehungsweise 400.000 Euro bekommen haben. Beide sind deutsche Staatsbürger und sitzen in Untersuchungshaft.
Belastende Aussagen über Carsten L.
Arthur E. hatte bereits mehrfach seine Version der Ereignisse berichtet - während seines Aufenthalts in den USA bei einer Befragung durch das FBI, bei einer Vernehmung durch das BKA nach seinem Rückflug am 22. Januar 2023 am Flughafen München und am folgenden Tag am BGH in Karlsruhe, als ihm der Haftbefehl vorgelegt wurde. Arthur E. habe "druckreif" gesprochen, sagte die BGH-Richterin aus. Er habe die zeitliche Abfolge der Ereignisse "mit großer Präzision" und ausführlich wiedergegeben und habe sich "unbedingt" zu den Vorwürfen äußern wollen.
Die Gründe soll Arthur E. einem BKA-Ermittler im Oktober 2023 so beschrieben haben: Er und Carsten L. hätten "Scheiß gebaut", man solle dazu stehen und das Ganze schnell abschließen. Carsten L. soll ihm hingegen in einer Nachricht, die Arthur E. über andere Häftlinge im Gefängnis Berlin-Moabit erreichen sollte, nahegelegt haben, seine bisherigen Aussagen zurückzunehmen und keine weiteren Angaben zu machen.
Doch Arthur E. hielt sich auch vor Gericht nicht daran. Während allerdings seine Aussagen beständig sind, die für eine bewusste und aktive Beteiligung von Carsten L. sprechen, variieren seine Angaben dazu, wie er bei zwei Treffen mit Carsten L. im September und Oktober 2022 die Dokumente übernommen hat - auf Papier oder abfotografiert von den Dokumenten oder von Bildschirmen.
Auch versuchte Arthur E. über seinen Anwalt Giuseppe Olivo zu erreichen, dass aus den USA übermittelte Daten zu seinen Suchanfragen bei Google nicht als Beweismittel verwendet werden - vergeblich.
Eine Befragung durch die Anwälte von Carsten L. und durch die Bundesanwaltschaft lehnt Arthur E. ebenfalls ab. Oberstaatsanwalt Lars Malskies nannte Arthur E.s Aussagen widersprüchlich und stellte dessen Aufklärungswillen infrage.
Oberstaatanwalt Lars Malskies (l.) stellt Arthur E.s Aufklärungswillen infrage.
Hotelbekanntschaft
Malskies verwies darauf, dass sich Arthur E. mehrere Jahre in Russland aufgehalten habe, wobei unklar sei, wovon er dort gelebt und ob er womöglich "Kontakte zu einem Nachrichtendienst" gehabt habe. Offen bleibt bislang, wie Arthur E. vom Bundeswehroffizier zum Geschäftsmann werden und sich ein Jetset-Leben zwischen Moskau, Dubai, Afrika, München und Miami leisten konnte, der mit Hunderttausenden Euro hantiert und nach eigenen Angaben nur mit 500-Euro-Scheinen unterwegs war.
Die Erzählungen Arthur E.s setzen, soweit bekannt, im Jahr 2020 ein, als er den tschetschenischen Geschäftsmann Visa M. in Moskau kennengelernt haben will, über einen Zimmernachbarn im Hotel Ritz Carlton. Als Visa M. ihn einmal in seinem Privatflugzeug mit nach Deutschland genommen habe, sei ihm klar geworden, wer dieser sei.
Demnach sah Arthur E. in M. einen potenziellen Geschäftspartner für seine Bergbauprojekte in Afrika. Zur Bedingung für seinen Einstieg habe Visa M. gemacht, dass er einen verbesserten Status für seinen bestehenden Aufenthaltstitel in Deutschland und Kontakte zu deutschen Botschaften in afrikanischen Staaten bekomme.
Kontakte in den Führungszirkel Putins
Zu Visa M. finden sich in russischen Registern zwei Minderheitsbeteiligungen an Unternehmen seiner Frau in der südlich von Moskau gelegenen Region Lipezk, ein Lebensmittel- und ein Plastikhersteller. Russischen Medienberichten zufolge arbeitete sie sich in Lipezk von der Arbeiterin einer Konservenfabrik zur sechstreichsten Geschäftsfrau Russlands herauf, mit Babynahrung als einem wichtigen Produkt.
Ihre Fabrik war so vorbildlich geführt, dass Landwirtschaftsminister Dmitri Patruschew 2021 zu Besuch kam. Er ist der Sohn von Nikolai Patruschew, Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats und einer der Hardliner im Umfeld von Machthaber Wladimir Putin. Sie war Mitglied der "Women's Business Alliance" der BRICS-Staaten und soll über ein Anwesen in einem noblen Moskauer Vorort verfügen.
Visa M. soll über Kontakte in die Führung um Putin verfügen. Mehrmals erwähnte Arthur E. den Katastrophenschutzminister als guten Bekannten Visa M.s. Dies ist seit Mai 2022 Alexander Kurenkow. Für den Posten ausgewählt wurde Kurenkow, weil Putin ihn persönlich gute kenne und ihn als am besten geeignet für diese Tätigkeit halte, teilte Putins Pressesprecher Dmitri Peskow damals mit. Kurenkow diente beim FSB und in hoher Position bei der "Rosgwardia", der Leibgarde Putins.
Zum Geschäftsmann Visa M. findet sich sonst wenig im Internet. Auffindbar sind zwei Fotos, die einen Mann mit rundlichem Gesicht mit einem Glas Babynahrung zeigen. Der Rechercheur Christo Grozev fand heraus, dass Visa M. inzwischen vermutlich mit einer Scheinidentität verreist. Demnach nutzte Visa M. den Namen Oleg Schischkin für einen Flug von Moskau nach Indien.
Dafür spreche, dass diese Person am selben Tag wie Visa M. geboren wurde und ein Mann mit diesen Daten in den russischen Passdatenbanken nicht existiere, während für die Buchung die Passnummer von Visa M. angegeben worden sei, so Grozev.
Verhängnisvolles Treffen im Beachclub
Arthur E. wiederum gibt an, in Deutschland nach Unterstützung für seinen Bekannten Visa M. gesucht zu haben, damit dieser einen besseren Aufenthaltsstatus in Deutschland erhalte. Im BND-Mitarbeiter Carsten L. will er dafür einen Ansprechpartner gefunden haben.
Jedenfalls kam es am 12. September 2022 in "H'ugo's Beachclub" am Starnberger See zu einem Treffen mit Arthur E., Visa M. und Carsten L., bei dem es schnell um mehr gegangen sein soll. Man sei übereinkommen, dass man sich gegenseitig etwas Gutes tun könne, gab E. mehrfach an.
Carsten L. verstand der Darstellung Arthur E.s zufolge darunter, Russland geheimes Material aus dem BND bereit zu stellen. Zwei Mal soll Carsten L. seinem Bekannten Arthur E. Dokumente übergeben haben, die er sogleich auf Kosten und organisiert von Visa M. nach Moskau gebracht und zwei Männern, Gassan und Pawel, übergeben haben soll.
Die beiden verhielten sich nach Arthur E.s Beschreibung wie typisch russische Geheimagenten. Sie wussten demnach alles über seine Familie, traten aggressiv fordernd auf. Pawel habe zur Untermalung eine Pistole, eine Glock, sehen lassen.
Interessiert waren sie Arthur E. zufolge vor allem daran, wer beim BND das Material herausgerückt habe. Außerdem hätten sie darauf bestanden, Informationen zu HIMARS und anderen in der Ukraine verwendeten Waffensystemen zu erhalten. Auch wenn Arthur E. beides in Absprache mit Carsten L. nicht habe liefern wollen und können, soll es bei einem dritten Besuch zur Übergabe mehrerer Hunderttausend Euro gekommen sein.
Arthur E. will in diesem Szenario lediglich Vermittler gewesen sein, der sich noch gewundert habe, dass Visa M. den Kontakt zu den FSB-Agenten hergestellt habe, wo er doch als Tschetschene Probleme mit dem FSB gehabt habe. Was in seine Erzählung nicht passt: Dass er den Internet-Daten aus den USA zufolge schon am 26. Juli 2022 nach "FSB" und "Pawel" sowie "Pawel Michailowitsch" gegoogelt hat - am Tag eines Treffens mit Visa M. in Erding, drei Monate vor der angeblich ersten Begegnung mit Pawel in Moskau.