Klausur der CDU/CSU-Fraktion Opposition als "Opportunity"
Zwei Tage lang waren CDU und CSU im bayerischen Murnau in Klausur, die Fraktion hat sich selbst eine Erneuerung verordnet. Merz fordert von der Ampel-Koalition Klarheit darüber, wie sie das Land führen will.
Friedrich Merz ist seit Kurzem innerlich ein bisschen grüner. Geplant war das nicht, zu verhindern aber auch nicht. Jetzt hat der CDU-Parteivorsitzende also sechs grüne Schrauben in der Schulter - die Folge einer Operation. Im Urlaub hatte er sich das Schlüsselbein gebrochen.
Der Arzt in München habe sich für die Farbe entschuldigt, erzählt Merz bei der Fraktionsklausur der CSU/CSU: "Ich habe ihm gesagt, wenn Sie das ordentlich zugenäht haben, dann sehe ich es ja nicht mehr."
Regierung kritisieren, eigene Positionen entwickeln
Ein größeres grünes Problem hat er mit der Arbeit von Wirtschaftsminister Habeck - überhaupt mit der Ampel-Regierung: Kritik an der Gasumlage, an den Plänen zur Energieversorgung, zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger. Über den Bundeskanzler sagt er: "Es gibt Fehler, die in einem solchen Amt nicht passieren dürfen."
Das ist die aktuelle Rolle der Union: erstens die Regierung kritisieren und zweitens eigene Positionen entwickeln, die zunächst nur in Beschlusspapieren landen und sehr viel seltener in Gesetzen. Zwei Tage hat die größte Oppositionsfraktion sich genommen, um beiden Missionen in Bayern konzentriert und in Klausur nachzugehen.
Dampf über dem Außenpool
Ein gediegenes Hotel in Murnau ist an diesem Freitag die Kulisse für das Treffen der Fraktionsspitze der Union. Hotelgäste halten das Geschehen mit dem Handy fest. Am Morgen, als die Sonne noch nicht so hell scheint, gibt der aufsteigende Dampf über dem Außenpool ein schönes Bild ab.
Ein beheiztes Becken, während sich drinnen CSU und CSU über die Energiekrise und Gas-Sparen austauschen? Es sei Abwärme von einem Blockheizkraftwerk, erklärt die Hotelführung, wissend um die Wirkung der Bilder in diesen Zeiten.
Kurzer Austausch zu dritt
Später sitzen der Fraktionsvorsitzende Merz und der CSU-Landesgruppenvorsitzende Dobrindt mit EU-Kommissionpräsidentin von der Leyen im sonnigen Garten. Kurzer Austausch zu dritt. In den Worten von Dobrindt geht es um "Wirtschaft, Watt und Weltlage".
Zwei Tage Klausur. Auch die "Wirtschaftsweise" Veronika Grimm und der Vorstandsvorsitzende von E.ON SE, Leonhard Birnbaum, waren zum Austausch angereist. Zwei Tage Gelegenheit, das eigene Profil in der Opposition zu schärfen, Ausrufezeichen zu setzen, während die Ampel an einer Einigung über ein weiteres Entlastungspaket arbeitet.
Neblige Kulisse auf der Zugspitze
Gestern, zum Auftakt, standen sie alle in nebliger Kulisse auf der Zugspitze. Alexander Dobrindt kennt die Szenerie - nicht nur, weil es sein Wahlkreis ist. 2018 hatte er sich mit den Spitzen der Großen Koalition - mit Andrea Nahles und Volker Kauder - auch hier zur Klausur getroffen. Jetzt ist die Union in der Opposition.
Der CSU-Landesgruppenvorsitzende liefert einen Remix des Franz-Müntefering-Klassikers, wonach Opposition Mist sei: "Wir können klar sagen: Opposition ist für uns Opportunity. Das, was wir aber erleben, ist: Die Ampel ist Mist."
Die Ampel-Koalition ist kein Einheitsblock
Bei Bedarf stünde die Union an der Seite bereit, sagt Merz: "Wenn die Regierung heute scheitert, sind wir morgen bereit zu übernehmen." Aber Merz weiß auch, dass das ein mögliches, aber aktuell nicht sonderlich wahrscheinliches Szenario ist.
Die Ampel-Koalition ist bekanntlich kein Einheitsblock sondern ein Drei-Farben-Trio. Es stellt sich die Frage, ob die Union alle Parteien gleich hart angehen will. Gibt es doch in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen neue schwarz-grüne Landesregierungen, die eine neue Machtoptionen für die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl aufmachen.
Die Atom-Frage
Doch bei der Fraktionsklausur wird auch deutlich, wo Unterschiede liegen. Die Union fordert von der Bundesregierung, alle Energieformen zu nutzen. Im Zentrum steht die Atom-Frage.
Dass auch Grünen-Anhänger mit einem kurzen Streckbetrieb leben könnten, hat der ARD-DeutschlandTrend im August gezeigt. Doch der CDU/CSU geht es um mehr - um einen mehrjährigen Weiterbetrieb. Merz spricht von möglichen ein bis drei Jahren. Dobrindt will nicht streiten, ob es um vier, fünf, sechs Jahre gehe. Außerdem sollten jene Atomkraftwerke reaktiviert werden, die Ende 2021 abgeschaltet wurden. Die Grünen haben seit Kriegsbeginn viele fundamentale Positionen geräumt. Aber diese?
Selbstverordnete Erneuerung
Zunächst ist Regieren im Bund sowieso Zukunftsmusik. Die Union durchläuft eine selbstverordnete Erneuerung, die längst nicht abgeschlossen ist. Im Parlament kann sie sich voll auf die Oppositionsrolle konzentrieren. Die Ampel-Koalition braucht die Unionsstimmen aktuell nicht.
Merz erinnert bei der Klausur daran, dass er der Bundesregierung gute Zusammenarbeit angeboten habe. Gemeinsam wurde das Grundgesetz für das Bundeswehr-Sondervermögen geändert. "Seitdem macht die Bundesregierung von diesem Angebot keinen Gebrauch mehr. Ich beschwere mich darüber nicht. Ich stelle das nur fest", so der CDU-Vorsitzende in einem Interview mit BR24.
Forderung an die Ampel
Am Ende der zwei Klausurtage schickt die Fraktionsspitze der Union noch einmal eine Forderung an die Ampel: "Wir erwarten, dass jetzt die Bundesregierung endlich sagt, wie sie denn in diesen nächsten Wochen und Monaten das Land führen will", sagt Merz.
Der zehnseitige Beschluss mit dem Titel "Klarheit in unsicheren Zeiten" ist gefasst. Vor dem Tagungshotel wartet bereits ein Bus. Wer will, geht jetzt noch gemeinsam wandern.