Corona-Tracing Bundesregierung denkt bei App um
Radikaler Kurswechsel: Die Bundesregierung setzt bei der geplanten Corona-Tracing-App nun doch auf ein anderes Konzept. Für die bisherige Wahl war sie heftig angegriffen worden.
Seit Tagen wird erbittert über die geplante Corona-Tracing-App gestritten. Nach massiver Kritik ändert die Bundesregierung nun ihre Position, wie der Chef des Bundeskanzleramts, Helge Braun, dem ARD-Hauptstadtstudio bestätigte.
Seine Worte klingen technisch und unspektakulär, aber sie markieren einen deutlichen Kurswechsel: Man werde "eine dezentrale Architektur vorantreiben, die die Kontakte nur auf den Geräten speichert und damit Vertrauen schafft". Das entscheidende Wort ist dabei dezentral.
Richtungswechsel nach Kritik
Bei der Entwicklung der App zur besseren und schnelleren Verfolgung von Corona-Infektionsketten hatte die Regierung bisher auf das Gegenmodell, die zentralisierte Variante, gesetzt. Noch am Freitag hatte eine Sprecherin die Präferenz dafür bekräftigt. Man habe "großes Vertrauen" in das System, das gerade getestet werde. Das basierte auf dem Grundgerüst der europäischen Technologie-Initiative PEPP-PT.
Die Regierung hatte sich ursprünglich für das Grundgerüst der europäischen Technologie-Initiative PEPP-PT entschieden. Doch die Kritik daran war massiv. Am Freitag hatten unter anderem der Chaos Computer Club, die Gesellschaft für Informatik sowie weitere Organisationen, die sich mit netzpolitischen Fragen beschäftigen, einen offenen Brief an die Bundesregierung veröffentlicht. Darin heißt es:
Das von Ihnen präferierte Konzept für die App ist nicht der richtige Weg.
Die Hacker-Vereinigung CCC betonte, bleibe die Regierung bei ihrer Wahl, könne kein Vertrauen bei den Nutzern aufkommen: "Ein Scheitern wäre unausweichlich."
Zusammenarbeit mit Apple und Google
Durch den Kurswechsel setzt die Bundesregierung jetzt auf denselben Ansatz wie Apple und Google. Aus technischen Gründen ist sie auf ein Entgegenkommen der beiden Unternehmen angewiesen. Die beiden Tech-Riesen hatten kürzlich überraschend eine gemeinsame Initiative für eine Tracing-App verkündet und sich dabei auf den dezentralen Ansatz festgelegt.
Die Regierung will nun eine App vorantreiben, die "die in Kürze zur Verfügung stehenden Programmierschnittstellen der wesentlichen Anbieter von mobilen Betriebssystemen nutzt und gleichzeitig die epidemiologische Qualitätssicherung bestmöglich integriert", erklärten Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Kanzleramtschef Helge Braun gegenüber der "Welt am Sonntag". In die App solle auch die Möglichkeit integriert werden, dass Bürger "freiwillig in pseudonymisierter Form Daten zur epidemiologischen Forschung und Qualitätssicherung an das RKI übermitteln können".
CCC: "Sehr gute Entscheidung"
Linus Neumann vom Chaos Computer Club begrüßt im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio den Richtungswechsel: "Ich halte das für eine sehr gute Entscheidung." Das Signal, das die Bundesregierung an mögliche Nutzer und Nutzerinnen der App aussende, sei nun: "Du kannst uns vertrauen, weil du uns nicht vertrauen musst."
Das liegt daran, dass beim dezentralen Modell die Daten auf den Handys der Nutzer gespeichert sind und nur dort ausgewertet werden können. Dass jeder zudem nun selbst entscheiden könne, ob er zusätzliche Informationen zur Verfügung stelle, etwa um dem Robert Koch-Institut zu helfen, die Pandemie besser zu verstehen oder um die App zu verbessern, sei der richtige Weg. "So geht man mit mündigen Bürgern und Bürgerinnen um", so Neumann. Aus seiner Sicht ist damit das zentrale Problem gelöst: "Jetzt muss es nur noch sauber umgesetzt werden."
Transparenz wichtigstes Kriterium
Das sieht auch Ann Cathrin Riedel, Vorsitzende von LOAD, einer der FDP nahestehenden netzpolitischen Organisation, so. Die dezentrale Variante sei die sinnvollere Lösung - auch mit Blick auf den weltweiten Einsatz solcher Apps.
Die Digitalaktivistin findet es dennoch schwierig, dass die freiwillige Bereitstellung von weiteren Daten über die Tracing-App laufen soll. "Es wäre besser, wenn man das trennen würde", sagt Riedel. Wichtig sei in jedem Fall, dass der Programmcode Open Source, also öffentlich einsehbar, gemacht werde - und damit für Experten und Zivilgesellschaft transparent und nachvollziehbar. Und dass es keinen Zwang zur App gebe. Man müsse sich sowieso immer wieder klar machen: Eine solche App sei keine Wunderwaffe.
Fehler in der Kommunikation
Das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut, das als Teil der Initiative PEPP-PT die Entwicklung des zentralen Systems in Deutschland vorangetrieben hatte, wird die App-Technologie offenbar nicht weiter betreuen. In einer E-Mail an Mitarbeiter hieß es am Abend, man werde das Projekt übergeben: "Andere werden unsere bisherigen Ergebnisse nutzen können, um die dezentrale Lösung zu bauen." Man sei aber weiter davon überzeugt, das richtige Modell verfolgt zu haben. Allerdings seien "bei PEPP-PT eine Reihe von gravierenden Fehlern hinsichtlich der Kommunikation begangen" worden, "was am Ende sehr geschadet und zu dieser Entscheidung geführt hat."