Suche nach Atommüll-Endlager Nicht vor der eigenen Haustür
Auf der Suche nach einem Atommüll-Endlager will die Politik besser informieren und die Bürger einbeziehen. Aber es bleibt schwierig. Vor allem stehen Wahlen in drei ostdeutschen Bundesländern bevor.
"Es wäre eine Katastrophe". Der ältere Herr in der zweiten Reihe hat seine Meinung schon gefasst, bevor die Potsdamer Informationsveranstaltung zur Endlagersuche los geht. In Brandenburg, davon ist er überzeugt, gebe es kein geeignetes Gestein, um darin hoch radioaktiven Atommüll zu lagern. Auf der kleinen Bühne vor ihm aber stehen die Akteure der staatlichen Endlagersuche, und für sie steht bisher nur eines fest: Ausgeschlossen sei erst mal gar keine Region.
Das wiederholt Wolfram König an diesem Abend häufig. Er ist Präsident des Bundesamtes für kerntechnische Entsorgungssicherheit, kurz BfE, und er ist dafür zuständig, die Endlagersuche in Deutschland ganz anders als bisher zu gestalten: transparent nämlich, wissenschaftlich nüchtern, mit Bürgerbeteiligung. "Wir haben hier ein dickes Brett zu bohren", meint König, "aber wir haben die Chance zu zeigen, dass wir aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben." Die Fehler der Vergangenheit sind Gorleben, Asse und politische Willkür.
Arbeit läuft auf vollen Touren
Atommüll war und ist ein Thema, das Menschen erregt. Da ist es erst mal erstaunlich, dass nur ein paar Dutzend Menschen an einem lauen Frühsommerabend den Weg hierher, in ein Restaurant im Zentrum Potsdams, gefunden haben. Still ist es derzeit um die Endlagersuche, aber warum eigentlich? Die Arbeit daran läuft auf vollen Touren.
Stefan Studt, Vorsitzender der Bundesgesellschaft für Endlagerung, erklärt: Bis die erste Karte mit geeigneten Regionen präsentiert werden könne, dauere es noch etwa ein Jahr. Derzeit würden Daten gesammelt und analysiert. Geologische Daten und Informationen über alle Regionen Deutschlands, in denen es geeignetes Wirtsgestein gebe. Granit, Salz und Ton seien grundsätzlich für die Lagerung geeignet. 100 Meter mächtig müsse das Gestein sein und 300 Meter tief liegen. Und es gibt auch Ausschlusskriterien - vulkanische Aktivitäten etwa oder mögliche Erdbeben.
"Irgendwo muss das Zeug ja hin"
Emotionale Beben dagegen spielten an dieser Stelle keine Rolle. Doch genau die sind wohl zu erwarten, wenn im Sommer 2020 die erste Landkarte zur Endlagersuche vorliegt - mit all den Gebieten, die man dann vergleichenden Prüfungen unterziehen will. Dann wird es wohl auch mit der Stille vorbei sein. "Irgendwo muss das Zeug ja hin", seufzt eine Besucherin in Potsdam.
Immerhin weiß man in Deutschland, anders als in anderen Ländern, wie viel Atommüll bis zum endgültigen Ausstieg aus der Kernenergie anfallen wird: 1900 Castoren. Diese Planbarkeit sei aber nicht die einzige gute Nachricht, betont BfE-Präsident König. Auch die wirtschaftliche Situation in Deutschland sei gut genug, dass der Staat so eine Aufgabe stemmen könne, ohne dass aus ökonomischen Gründen oder unternehmerischen Interessen womöglich die Sicherheit aufs Spiel gesetzt würde.
Die Regierung bemüht sich um ein positives Bild, sie stellt für die betroffene Region Chancen und Perspektiven in Aussicht: Arbeitsplätze, Infrastruktur, Strukturwandel - es klingt ein bisschen wie das deutsche Modell zum Kohle-Ausstieg. Doch Politik und Bürger setzen derzeit noch mehrheitlich auf das Floriani-Prinzip: Mag ja sein, dass es ein Endlager geben müsse, aber doch bitte woanders und nicht vor der eigenen Haustüre.
Ausschlusskriterien interessieren brennend
Es sind vor allem die Ausschlusskriterien, die die Besucher brennend interessieren. Da stehe doch auch etwas von Bergbau, das hieße dann doch wohl, dass ein Endlager in der Lausitz ausgeschlossen sei? So könne man das nicht sagen, meint König. Man müsse dann in einem weiteren Schritt untersuchen, ob durch den Bergbau, der in einem Gebiet stattgefunden hat, Gesteinsschichten geschädigt worden seien.
Ähnliche Diskussionen stehen ihm wohl noch häufig bevor auf seiner Tournee durch alle deutschen Landeshauptstädte: Sollte man Gorleben nicht grundsätzlich ausschließen? Oder Ostdeutschland? Schließlich sei Atommüll mehrheitlich im Westen des Landes angefallen. Und könnte man nicht ein ganzes Bundesland für ungeeignet erklären? Letzteres versucht zum Beispiel Bayern. In ihrem Koalitionsvertrag haben CSU und Freie Wähler es schon mal so formuliert.
Wahl in drei ostdeutschen Bundesländern
Die Sorge, mit dem Thema in politische Scharmützel zu geraten oder gar Teil eines heiß geführten Wahlkampfs zu werden, sitzt tief. Und sie ist nicht unberechtigt. In drei ostdeutschen Bundesländern, etwa auch in Brandenburg, wird im Herbst gewählt. Und einige Lokalpolitiker, so wie die AfD, haben sich schon klar positioniert: Wozu überhaupt ein Endlager? Mit dieser Frage versucht man, den Prozess zurückzudrehen.
Auch der skeptische Brandenburger aus der zweiten Reihe argumentiert in diese Richtung: "Das kann man doch auch dezentral lösen. In dichten Betongebäuden, am besten grell angemalt und groß drauf schreiben. Achtung, Atommüll. Dann wissen alle, auch in hunderten von Jahren, dass sie da besonders aufpassen müssen."
Ein Argument, über das König nur gequält lächeln kann. So eine Lösung sei das Unsicherste überhaupt, man könne dann eben gar keine Sicherheit für die Zukunft garantieren. Niemand könne daran interessiert sein, einfach hoch radioaktiven Atommüll weiter in Zwischenlagern aufzubewahren, wie es derzeit der Fall ist. Da gebe es ja auch Anrainer, deren Interessen geschützt werden müssen.
Heftiger Protest oder Entgegenkommen?
Dass die Informationsveranstaltungen, mit denen man in den kommenden Wochen und Monaten durch Deutschland tourt, auch Stimmungstests sein könnten, weisen alle Beteiligten weit von sich. Keinesfalls gehe es darum herauszufinden, wo der heftigste Protest oder am ehesten Entgegenkommen zu erwarten ist.
Immer wieder heißt es, es gehe um ein transparentes, wissenschaftliches Verfahren. Und darum, Vertrauen aufzubauen. Wer weiß, vielleicht ist es ja tatsächlich möglich, ein deutsches Endlager zu bauen, ohne dass es zu neuen Protesten und politischen Zerreißproben kommt. Vielleicht ist die Hoffnung darauf aber so trügerisch wie die Stille, die derzeit um das Thema herrscht.