Proteste der Landwirte Droht der nächste Bauernaufstand?
Vor 500 Jahren begannen im badischen Stühlingen die Bauernkriege. Die Bauern forderten bessere Lebensbedingungen. Ausgerechnet zum Jubiläum brodelt es in der Branche so sehr wie lange nicht mehr. Gibt es Parallelen?
Gräfin Clementia aus dem Adelsgeschlecht von Lupfen im beschaulichen badischen Stühlingen wäre wohl nichts weiter als eine sehr kleine Randnotiz in der Geschichte geblieben, hätte sie nicht im Juni 1524 von ihren Leibeigenen schier Unglaubliches verlangt: Die Bauern sollten leere Schneckenhäuser im Wald sammeln, damit die Mägde auf dem Grafensitz darauf Garn rollen konnten - mitten in der Erntezeit.
Bei den Bauern brachte das das Fass zum Überlaufen. Die Dame löste mit ihrer Forderung nach Schneckenhäusern nicht weniger aus als die deutschen Bauernkriege.
Ob sich die Geschichte wirklich so zugetragen hat oder heute eher als Metapher für den allgemeinen Ärger über die damals zunehmende Last der Frondienste für die Landwirte zu verstehen ist, darüber streiten sich die Historikerinnen und Historiker.
Fest steht: Am 23. Juni 1524 zogen die Stühlinger Bauern bewaffnet vor den Sitz der Grafen, um bessere Lebensbedingungen zu fordern. Sie lösten einen Flächenbrand aus. Immer mehr Bauern griffen zu den Waffen und starteten einen Aufstand. Er gilt als erster deutscher Freiheitskampf. Schließlich wurde er blutig niedergeschlagen und kostete nach Schätzungen 70.000 bis 100.000 Menschen das Leben.
Stühlingen feiert 500-jähriges Jubiläum
In Stühlingen feiern sie das 500-jährige Jubiläum der Bauernkriege am Wochenende ausgiebig: Es gibt einen historischen Bauernmarkt am Samstag, am Sonntag einen "Tag der offenen Höfe", der Einblick in regionale Lebensmittelproduktion geben soll.
Herzstück ist heute eine Diskussionsrunde mit Vertreterinnen und Vertretern der Landwirtschaft und Agrarpolitik zum Auftakt. "Landwirtschaft woher? - Landwirtschaft wohin?" ist das Motto. Denn die Landwirte in Stühlingen sehen durchaus Parallelen zwischen der damaligen Situation der Bauern und ihrer heutigen.
"Natürlich machen wir in der heutigen Zeit keinen Krieg mehr, wir sind ja zivilisiert. Aber wie damals wächst die Unzufriedenheit der Landwirte", sagt Wilfried Kaiser. Er betreibt einen Geflügelhof in Stühlingen, ist einer der Organisatoren der 500-Jahr-Feier der Bauern und engagiert sich im Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband (BLHV), der wiederum Mitglied im Deutschen Bauernverband ist.
Der Frust über die Kürzungen beim Agrardiesel sei zwar der Ausgangspunkt für die Proteste im Winter gewesen, es habe sich aber schnell gezeigt, dass die Probleme viel tiefer lägen: in der Bürokratie etwa oder in den Vorgaben für Landwirte beim Umwelt- und Tierschutz.
Unzufrieden mit Entlastungen
Das in dieser Woche von der Bundesregierung angekündigte Entlastungspaket für Landwirte geht Kaiser nicht weit genug - damit ist er auf einer Linie mit Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied, der das Paket unter der Woche bereits als unzureichendes "Päckchen" bezeichnet und Nachbesserungen gefordert hatte.
"Uns Landwirten wurden von der Politik immer wieder Versprechungen gemacht, passiert ist wenig", sagt Kaiser. Als Beispiel nennt er Programme zur freiwilligen Stilllegung von Ackerflächen bei gleichzeitiger Einrichtung so genannter Blühstreifen, die die Biodiversität auf ehemaligen Äckern fördern sollen. "Wer sich dazu in Baden-Württemberg verpflichtet hat, hat sich gleich für fünf Jahre verpflichtet", sagt Kaiser. Viele Landwirte hätten von den versprochenen Ausgleichszahlungen aber immer noch keinen Cent gesehen. "Da kommt Unmut hoch." Wie damals, 1524.
Vergleich ist weit hergeholt
Elisabeth Waizenegger ist Milchbäuerin in Bayern und im Bundesvorstand der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Der Verband sieht sich im Vergleich zum Deutschen Bauernverband als die progressivere Vertretung der Landwirte, vertritt viele kleinere Höfe und hat sich auch gegen die Bauernproteste im Winter positioniert, weil die Proteste an der eigentlichen Diskussion vorbeigegangen seien.
"Es gibt viele Punkte, die geändert werden müssten", sagt Waizenegger und nennt unter anderem die schlechte Marktstellung von Landwirten in der Wertschöpfungskette, in der der Lebensmitteleinzelhandel nach wie vor die Preise diktiere, sowie die fehlende Planungssicherheit beim Umbau der Tierhaltung. "Der immer wieder zitierte Agrardiesel ist aber sicher nicht unser dringendstes Problem."
Der Vergleich der heutigen Situation mit den Bauernkriegen vor 500 Jahren hinkt für sie. "Die Lebensumstände sind ja ganz andere", sagt Waizenegger. Heute lebten die Landwirte in einem Land, in dem man frei protestieren dürfe - ganz anders als damals. "Damals war es lebensgefährlich, viele Bauern haben mit ihrem Leben bezahlt, dafür, dass sie sich eingesetzt haben für eine Verbesserung der Lebensumstände", sagt sie.
Hoffnung auf konstruktiveren Austausch
Auch gebe es aus großen Teilen der Bauernschaft oftmals Ablehnung von Veränderungen, vor allem vonseiten des Deutschen Bauernverbands, sagt Waizenegger. Die aktuelle Bundesregierung habe nach den Protesten im Winter durchaus vieles angepackt - etwa in der Milchwirtschaft, wo die Umsetzung der gemeinsamen Marktordnung der EU die Marktposition der Landwirte stärken könnte, indem Verträge zwischen Molkereien und Landwirten verpflichtend würden. Preis, Menge, Qualität und Laufzeit würden vorab festgelegt. Momentan wird die gelieferte Milch rückwirkend bezahlt. Dies würde gleichzeitig die Planungssicherheit erhöhen, so Waizenegger.
Auch das kürzlich verabschiedete europäische Renaturierungsgesetz, das die EU-Mitgliedsländer verpflichten soll, einen bestimmten Prozentsatz der Land- und Meeresfläche wieder in einen natürlichen Zustand zurückzuversetzen, biete durchaus Chancen. "Leider bekommen viele Landwirte diese von der Politik nur unzureichend aufgezeigt, sodass der Eindruck entsteht: Was wir bisher gemacht haben, war falsch", sagt Waizenegger. Sie erhofft sich in Zukunft einen konstruktiveren Austausch.
Neue Proteste im Winter?
Ob es dazu kommt, ist aber fraglich. Es gibt Stimmen im Deutschen Bauernverband, die für den Winter am liebsten neue Proteste sehen würden, wenn es keine Nachbesserungen an den Entlastungspaketen der Politik gibt.
"Wir haben eine breite Unterstützung aus Handwerk und Mittelstand", sagt Landwirt Kaiser aus Stühlingen. Ein neuer Protest könne das Land "lahmlegen", glaubt er. Wichtig ist ihm aber zu betonen: Es gehe bei allen Protesten nicht gegen die Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern am Ende auch um sie. Die Corona-Pandemie etwa habe gezeigt, wie wichtig eine funktionierende regionale Landwirtschaft für die Versorgung sei. "Aber wir sind auch einfach an einem Punkt, an dem wir sagen: Das Fass ist voll."