Politische Fastnacht in Mainz Wie der Politik eingeschenkt wird
Rosenmontag: höchster Feiertag im närrischen Mainz. Tausende Teilnehmende im Festzug, Hunderttausende schauen zu. Ob Regierung oder Opposition - alle bekommen ihr Fett ab, wenn die Motivwagen rollen.
Punkt elf Uhr elf knallt die Konfettikanone, endlich geht es los: Der Mainzer Rosenmontagszug setzt sich in Bewegung. Monatelang haben die Mitwirkenden auf diesen Moment hin gefiebert, Umzugswagen gebaut, Kostüme genäht, Tänze einstudiert und gebibbert, dass am Ende alles klappt. Zum 121. Mal kommt der Zug dieses Jahr, ein besonders Jubiläum - 11 mal 11, die Glückszahl der Narren.
Langsam fällt die Anspannung von Dieter Wenger ab. Der 84 Jahre alte Wagenbauer des Mainzer Carnevalvereins (MCV) ist sozusagen der Motor der Motivwagen der "Mainzer Fassenacht" - und das seit 62 Jahren. Über die Motive, die heute durch die Stadt rollen, haben er und seine Mitstreiter sich seit September vergangenen Jahres die Köpfe zerbrochen: "Ich habe den Baubeginn so lange wie möglich rausgezögert, bis Anfang November. Es war ja nicht klar, ob das Schiff Ampel-Koalition nicht bis Februar abgesoffen ist!" Und das hätte bedeutet: Die aufwändig konstruierten Gefährte, die die aktuelle Politik persiflieren, wären schon vor dem Stapellauf zu Wracks geworden.
"Fliegender Robert" und "Master of Desaster"
Die Mainzer Fastnacht ist traditionell die politische Fastnacht. Die Regierenden bekommen von den Narren ordentlich einen eingeschenkt - und das spiegelt sich auch in den Motivwagen wider: Robert Habeck als "Fliegender Robert", der am Schirm hängend mit viel heißer Luft von einer Wärmepumpe in die Atmosphäre geblasen wird.
Mainzer Fastnacht: Der Wirtschaftsminister als strauchelnder "Fliegender Robert" auf einem Wagen
Oder Bundeskanzler Scholz als Pirat mit Augenklappe im Ausguck eines fast schon versunkenen Schiffes mit zerrissener Flagge in den Ampelfarben. Gesundheitsminister Karl Lauterbach erschrickt als "Master of Desaster" vor einem explodierenden Experimentierkasten namens Gesundheitswesen.
Motivwagen: Kein Land in Sicht für Kapitän Scholz.
Aber auch die Opposition bekommt ihr Fett ab: CDU-Chef Friedrich Merz stemmt sich gegen ein Brandmäuerchen, über das ihn eine zupackende AfD-Frau am Schlips zerren will. Alice Weidel und Sahra Wagenknecht lassen sich im pinkfarbenen Barbie-Cabrio von Wladimir Putin mit blutverschmierten Händen kutschieren.
CDU-Chef wehrt sich gegen tatkräftige Avancen der AfD.
Vor allem aber eine überdimensionale traurige Friedenstaube, gefangen in einem Käfig aus Stacheldraht - beschriftet mit "Gier", "Hass", "Fanatismus" und "Intoleranz", ist für die Wagenbauer das Symbol für die Konflikte und Kriege der Welt.
Motivwagen: Schwere Zeiten für Friedenstauben.
Schunkeln, aber mit Sicherheit
Neun Motivwagen sind es am Ende geworden, geplant waren eigentlich elf. Grund sind die Kosten, erklärt Dieter Wenger. Die überlebensgroßen Karikaturen rollen verteilt auf verschiedene Positionen durch Mainz mit. Insgesamt ist der Zug mit 138 Nummern fast neun Kilometer lang, die Strecke beträgt aber nur sieben. Wenn die ersten Gruppen durch sind, stehen die letzten also noch in den Startlöchern.
Überhaupt: Logistisch ist der Rosenmontagszug ein Meisterwerk. Morgens um fünf Uhr fährt die Polizei die Strecke mit Lautsprecherwagen ab, um letzte Anwohnerinnen und Anwohner zu wecken, die ihre Wagen noch nicht weggefahren haben - sonst wird abgeschleppt. Autofahrer im Schlafanzug, zu ihren Autos sprintend, auch das ist Rosenmontag. Die Aufstellung der Motivwagen, Fußgruppen, Kapellen und Reiterstaffeln gleicht dann einem riesigen Tetrisspiel: Jeder muss auf seine Position, damit nachher alles gut geht.
Für Zugleiter Thorsten Hartel jedes Mal eine Herausforderung: "Irgendwas ist immer, heute haben wir ein Rad am Wagen der Zugleitung verloren. Wir haben das aber gecheckt – es geht auch so, wir haben ausreichend Doppelräder." Alle Fahrzeuge, die sich auf die Strecke begeben, müssen TÜV-Abnahmen haben, ein ausgefeiltes Sicherheitskonzept gilt für die gesamte Stadt.
Etwa 1.000 Polizistinnen und Polizisten sind an diesem Tag im Einsatz, mehr als eine halbe Million Menschen auf den Straßen unterwegs. Vor den Ehrentribünen am Theater in der Innenstadt gibt es keine Absperrungen, trotzdem drängen die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht auf die Straße. Ausgelassen feiern, singen und tanzen die Menschen. Und als sich am frühen Nachmittag ein paar Sonnenstrahlen durch die graue Wolkendecke schieben, sind sich viele sicher: "Der liebe Gott ist ein Määnzer!"
Neuer Wind für den Traditionsumzug
Neben den vielen traditionellen Tanz- und Gardegruppen gibt es auch ein paar Neuerungen. Die acht Jahre alte Luise ist die erste allein regierende Kinderprinzessin. Jahrzehntelang wurde die Kinderfastnacht in Mainz von Prinzen oder Prinzenpaaren regiert. "Jetzt muss e mo e Meedsche ran!" (Jetzt muss mal ein Mädchen ran!) fand der Mainzer Verkehrsverein, Ausrichter der Jugendmaskenzugs. Und so fährt Luise, die natürlich einer Fastnachterfamilie entstammt, heute im Zug mit - eben nicht mehr im Wagen des Kinderprinzen, sondern der Kindermajestät.
Und noch eine Premiere: Die Hochschule Mainz nimmt zum ersten Mal teil. Sie steuert einen interaktiven Wagen bei, der auf die Lautstärke der Menge reagiert, indem er sie auf LED-Bildschirme in Balkendiagramme umsetzt und dann eine überdimensionale Narrenkappe aufbläst. Ein "Helau-o-meter" sozusagen. Ob die Idee im kommenden Jahr wieder auf die Straße gebracht wird? "Wir bringen jetzt erst mal diesen Tag zu Ende, dann sehen wir weiter", winkt Kati, Mitinitiatorin der digitalen Aufblaskappe, ab.
Dieter Wenger baut seit 62 Jahren Motivwagen. (Archiv)
Endspurt für die fünfte Jahreszeit
Den Tag erst mal zu Ende bringen, das will auch Dieter Wenger: "Wenn ich heute Abend die Wagen in die Halle fahre und wir anfangen, die Figuren auseinander zu sägen, dann kann auch ich ganz runterfahren." Teile der aufwändigen Pappkameraden werden nämlich recycelt: "Ich hab auch schon mal aus einem Politiker im nächsten Jahr einen Clown gemacht."
Das wird er in der nächsten Session nicht machen, Wenger hört auf, es ist sein letzter Rosenmontagszug als Wagenbauer. So ganz könne er es aber dann doch nicht lassen: Er bleibe im Kreativkreis, der die Ideen für die politische Straßenfastnacht entwickelt. Apropos: Im Lager, wie er verrät, liegt auch noch eine Trump-Figur - wer weiß, ob die in der nächsten Session nicht wieder angesagt ist.