Aktuelles Lagebild Wieder mehr Opfer häuslicher Gewalt
Sie wurden bedroht, geschlagen und in einigen Fällen auch getötet: Erneut gibt es in Deutschland mehr Opfer häuslicher Gewalt - ein Großteil davon Frauen. Innenministerin Faeser verspricht bessere Schutzmaßnahmen.
Auch im vergangenen Jahr ist die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt in Deutschland gestiegen. Wie aus einem aktuellen Bericht zur polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) hervorgeht, waren insgesamt 256.276 Menschen im Jahr 2023 offiziell von dieser Form der Gewalt betroffen - 6,5 Prozent mehr als im vorherigen Jahr. Bereits 2022 hatte es einen Anstieg um mehr als acht Prozent gegenüber 2021 gegeben.
Innerhalb von fünf Jahren stieg die Zahl sogar um fast 20 Prozent, wie aus dem von Bundesfamilienministerin Lisa Paus, Bundesinnenministerin Nancy Faeser und dem Bundeskriminalamt vorgestellten Lagebild "Häusliche Gewalt" hervorgeht.
Wie schon in den Jahren zuvor waren die meisten Opfer - etwa 70 Prozent - weiblich. Insbesondere bei schweren Gewaltdelikten mit weiblichen Opfern wie etwa Mord und Totschlag handelt es sich häufig um Taten der häuslichen Gewalt. So geht aus der PKS hervor, dass im vergangenen Jahr unter den 903 Frauen, die Opfer von versuchtem oder vollendetem Mord und Totschlag wurden, 509 in den Bereich der häuslichen Gewalt fielen. Wie das BKA auf Anfrage präzisierte, sind 247 Frauen und Mädchen in Folge häuslicher Gewalt ums Leben gekommen. Hierzu zählen auch die Fälle von Körperverletzung mit Todesfolge.
Drei Viertel der Tatverdächtigen bei häuslicher Gewalt waren männlich.
Körperverletzung, Stalking oder Nötigung
Zwei Drittel aller Betroffenen (168.000 Fälle) erlitt die Gewalt innerhalb einer (Ex-)Partnerschaft, ein Drittel in der Familie. Hier handelt es sich um eine Form von Gewalt, die sich beispielsweise auch zwischen Großeltern und Enkelkindern oder anderen nahen Angehörigen abspielen kann. Diese Form von Gewalt betraf 2023 laut Statistik insgesamt 78.341 Menschen. Dies sind 6,7 Prozent mehr als im Vorjahr.
In den meisten Fällen handelte es sich dabei um vorsätzliche einfache Körperverletzung (59,1 Prozent), Bedrohung, Stalking oder Nötigung (24,6) sowie um gefährliche Körperverletzung (11,4).
Anti-Gewalttrainings, Kontaktverbote, Beratung
"Jeden Tag werden in Deutschland im Durchschnitt über 700 Menschen Opfer von häuslicher Gewalt", sagte Innenministerin Faeser. Man dürfe diese Taten nicht als "Beziehungstragödien oder Eifersuchtsdramen" verharmlosen. "Wir müssen als Gesellschaft sehr, sehr deutlich machen, dass wir hinschauen, eingreifen und Gewalt keineswegs akzeptieren."
Um Frauen besser vor Gewalt zu schützen, seien unter anderem ein Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung, mehr Plätze in Frauenhäusern und Hilfsangebote nötig, sagte Faeser weiter. Der Opferschutz müsse früher ansetzen, damit es gar nicht erst zu den furchtbaren Taten komme. Es sei entscheidend, die Gewaltspirale zu stoppen. Täter müssten ihr aggressives Verhalten beenden und sich selbst verändern. Dazu seien nach dem Vorbild Österreichs verpflichtende Anti-Gewalttrainings nötig, mit empfindlichen Strafen bei Nicht-Teilnahme. Kontaktverbote müssten wirkungsvoller werden.
Mit den Ländern sei sie auch in Beratungen zur Überwachung mit elektronischen Fußfesseln, so die Innenministerin. Die Bundespolizei baue zudem rund um die Uhr zugängliche Anlaufstellen vor allem an Bahnhöfen auf.
Großes Dunkelfeld
BKA-Vizepräsidentin Martina Link wies auf das Problem einer hohen Dunkelziffer hin. "Viele dieser Taten werden gar nicht angezeigt, so dass die Polizeiliche Kriminalstatistik den tatsächlichen Umfang nur bedingt widerspiegelt." Faeser kündigte daher an, es zur Aufgabe zu machen, die Betroffenen zu stärken und sie zu ermutigen, die Taten anzuzeigen. "Dann können mehr Täter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden", sagte sie.
Niemand sollte sich schämen, Opfer von Gewalt geworden zu sein. "Die Schuld liegt nie beim Opfer, sondern immer beim Täter." Als eine Maßnahme sollen bei Standorten der Bundespolizei durchgehend besetzte Schalter für von Gewalt betroffene Frauen eingerichtet werden. "Speziell geschulte Beamtinnen können dort Anzeigen aufnehmen und helfen", erläuterte Faeser.
Bundesfamilienministerin Paus äußerte sich erschüttert: "Die erneut deutlich gestiegenen Zahlen zur häuslichen Gewalt zeigen das erschreckende Ausmaß einer traurigen Realität. Gewalt ist ein alltägliches Phänomen - das ist nicht hinnehmbar." Sie forderte niedrigschwellige Unterstützungsangebote, "bestehend aus sicheren Zufluchtsorten und kompetenter Beratung". Dafür arbeite man bereits an einem Gesetz, das den Zugang zu Schutz und Beratung sichern soll.