Hochbeete statt Autos Ein Modellprojekt spaltet die Anwohner
München ist eine Autostadt. Die Wohngebiete sind voll parkender Autos. Doch die Stadt will umdenken und testet in einer Straße eine Alternative: Rollrasen statt Teer, Hochbeete statt Parkplätze. Die Folge: Erbitterter Streit.
Irgendwo muss das Umdenken beginnen, da sind sich die Anwohner der Kolumbusstraße in München einig. Das jahrzehntelang geltende Prinzip, den öffentlichen Raum in Großstädten vor allem als Abstellmöglichkeit für Autos zu nutzen, ist nicht mehr zeitgemäß, auch das würden die meisten hier im Stadtviertel Au wohl unterschreiben. Aber in ihrer Straße? Die Antwort einiger ist sehr laut und eindeutig: Um Himmels willen, nein!
Was ist hier geschehen, dass Anwohner Familien mit Kindern auf der Straße als Beweis für Lärmbelästigung filmen? Dass sie Ballspielen als Provokation begreifen, ausgeübt um sie, die Nachbarn aus der Ruhe zu bringen. Es gibt Messengerdienst-Gruppen in denen sie "Beweisvideos" austauschen. Der Ärger wird geteilt und gegenseitig verstärkt.
300 Meter, die für Streit sorgen: Das Modellprojekt in der Kolumbusstraße.
"Widerstände sind normal"
Widerstände seien normal bei solchen Projekten, sagt Oliver May-Beckmann. Der Leiter des "Münchner Clusters für die Zukunft der Mobilität in Metropolregionen - MCube" fügt aber hinzu, die Intensität habe ihn in diesem Ausmaß doch überrascht. Die Veränderungen in der Kolumbusstraße seien schließlich nicht dauerhaft.
Die Straße ist Teil eines wissenschaftlichen Forschungsprojektes. Auf 300 Metern wurden hier von Juni bis Ende Oktober 40 Parkplätze mit Rollrasen und einem Sandkasten überdeckt, Hochbeete angelegt, Sitzgelegenheiten aufgestellt, ein Teil der Straße gesperrt. Bisher habe sich hier niemand länger aufgehalten als nötig, sagt May-Beckmann, nun sei das anders.
Moderne Neubauviertel werden längst so geplant. Innen ein verkehrsberuhigter Bereich, Bänke, Grünstreifen. "Aufenthaltsqualität" nennt das der MCube-Leiter, geschaffen für die Anwohner. Wie man diese moderne Gestaltung in "Bestandsquartieren" umsetzen kann, wird in der Kolumbusstraße erforscht.
Anwohner fühlen sich übergangen
Viele in der Kolumbusstraße finden das großartig. Ein Teil allerdings nicht. Mehr als 1.000 Anwohner leben hier, 150 Unterschriften gegen das Projekt wollen die Gegner unter ihnen gesammelt haben. In ihren Ohren bedeutet die neue "Aufenthaltsqualität" vor allem Lärm.
Die Projektleiter haben den Raum in der Straße bewusst nicht "mit Programm belegt", wie May-Beckmann sagt, sondern den Anwohnern überlassen, wie sie zum Beispiel mit dem Sandkasten, dem "Beach" umgehen. In der Praxis wird der nun als Kinderspielplatz genutzt.
Wie Versuchskaninchen fühlten sie sich hier, sagt Anwohner Wilhelm Kußmaul. Ungefragt Teil eines Experimentes, das man, wenn es nach ihm geht, direkt wieder abbrechen sollte. Eine andere, Claudia Fendt fragt: "Was würden Sie sagen, wenn man ihnen unter dem Deckmantel des Klimawandels einen Vierzig-Meter-Sandkasten mit schreienden und brüllenden Kindern einen Meter vor ihr Wohnzimmer setzt?"
Anwohner klagen
Ein Schwall unterschiedlicher Argumente: Das Recht aufs Auto, Angst vor Gentrifizierung, wenn es hier schöner wird, das Übergangenwerden. Für die Gruppe der Gegner steht fest: Das Projekt muss weg. Eine Klage ist eingereicht.
Tatsächlich hat der Bezirksausschuss Au-Haidhausen das Projekt in der Kolumbusstraße genehmigt, es ist Teil eines größeren Experimentes in München, mit dem herausgefunden werden soll, wie man mit verschiedenen Eingriffen die Mobilität einer Stadt verändert. Ob der Rasen die Straße gekühlt hat, ob der Lärm zugenommen hat und wie das Projekt angenommen wurde, wird am Ende ausgewertet, sagt May-Beckmann. Ende Oktober soll die Kolumbusstraße wieder in ihren vorherigen Zustand zurückversetzt werden.
Mehr Aufenthaltsqualität oder mehr Lärm? Die Anwohner sind unterschiedlicher Meinung.
Vorübergehendes Projekt, dauerhaftes Zerwürfnis?
Ob die Nachbarschaft dann auch wieder ihren ursprünglichen Zustand erreicht? Die Videos sind ja gedreht, die Gruppen gegründet. Gerüchte machen die Runde. Die demokratische Rechtmäßigkeit des Experimentes wird in Zweifel gezogen und viele glauben nicht an ein Ende im Oktober.
Inzwischen beschäftigen die 300 Meter vorübergehende Verkehrswende in der Kolumbusstraße auch die Münchner Stadtpolitik. Die CSU will eine Bürgerbefragung, der SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter kritisiert die "ideologische" Parkplatzstreichung. Und die AfD soll in der Kolumbusstraße schon Zettel und Visitenkarten verteilt haben. Einige Wochen vor dem Ende des Experiment ist in Bayern Landtagswahl.
Am Mittwochnachmittag kommt die Sonne raus, es hat zuvor tagelang geregnet in München. Ein Anwohner steht in der Kolumbusstraße und schießt Fotos. Als Erinnerung, wenn die Parkplätze zurückkommen, sagt er. Ihm gefällt das Grün vor der Tür.
Für diejenigen, die hier lieber ihr Auto abstellen wollen, hat er kein Verständnis. Für die Lärmgeplagten schon eher, doch er hat eine Idee: Vielleicht sollte man den vorübergehend grünen Raum nutzen, um sich kennenzulernen. Denn von Leuten, die man kennt, glaubt er "stört einen der Lärm auch nicht so". Ein bisschen Zeit bliebe ja noch, ehe die Parkplätze wiederkommen.