Rauschgiftschmuggel Wie Kokain Kurs auf deutsche Häfen nimmt
Kokainschmuggler entdecken deutsche Häfen als Umschlagplätze, die Mengen beschlagnahmten Rauschgifts steigen. Drohen in Bremen und Hamburg Verhältnisse wie in Belgien, wo Drogenhändler vor Erpressung und Mord nicht zurückschrecken?
In Bremerhaven haben sich kriminelle Strukturen verfestigt - so sieht es Bremens Häfensenatorin Claudia Schilling, wenn sie die Aktivitäten der Drogenmafia in Deutschlands zweitgrößtem Seehafen beschreibt. "Hafenmitarbeiter werden angesprochen und etwa aufgefordert, eine Tasche mit Drogen nach draußen zu nehmen oder einen Container woanders hinzustellen", berichtet die SPD-Politikerin. Es seien auch Fälle bekannt, in denen Menschen mittels Waffengewalt bedroht oder erpresst worden seien.
Nordseehäfen sind dem jüngsten Bericht des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) zufolge mittlerweile die wichtigsten Import-Drehscheiben für Kokain nach Westeuropa. "Europa ist für lateinamerikanische Kokain-Produzenten in den vergangenen Jahren ein deutlich interessanterer Markt geworden", sagt Soziologin Zora Hauser, die an der Oxford University Entwicklungen des Kokainhandels erforscht. Das liege einerseits daran, dass in Europa mehr Kokain konsumiert werde als früher.
Hinzu komme allerdings auch, dass es viele lateinamerikanische Produzenten und Händler als risikoarm einstuften, die Droge nach Europa zu schmuggeln. Strafverfolgung, wie sie etwa die USA in produzierenden Ländern betreibe, drohe den Kokainschmugglern durch europäische Behörden kaum. Sie müssten ihre Heimat meist gar nicht verlassen. Es reiche, europäische Partner zu haben - und an denen mangele es nicht. "Das sind häufig lokale Gruppierungen, die das nötige Netzwerk und die Mittel haben, um etwa Hafenpersonal zu korrumpieren", sagt die Wissenschaftlerin.
Nach Deutschland verlagert?
Unter diesen Voraussetzungen wachsen die transatlantischen Drogenexporte Richtung Europa seit Jahren. Hamburgs Zöllner etwa vermeldeten 2021 die Rekordmenge von 19 Tonnen an beschlagnahmtem Kokain. Vergleichsweise wenig angesichts der 110 Tonnen, die der belgische Zoll im vergangenen Jahr in Antwerpen entdeckt hat.
Am Beispiel des größten Hafen Belgiens zeigt sich, welchen Preis ein Gemeinwesen unter Umständen zahlen muss, wenn es zum Hotspot des Organisierten Verbrechens wird. "Die Kriminellen bedrohen Richter, Staatsanwälte und Reederei-Manager", berichtete der belgische Justizminister Vincent van Quickenborne in einem Gespräch mit dem "Stern". "Die Drogenmafia will Entscheidungsträger angreifen", so der Minister. Er und seine Familie leben nach einem vereitelten Entführungsversuch unter Polizeischutz.
Van Quickenborne geht davon aus, dass sich der Kokainschmuggel künftig stärker Richtung Deutschland verlagert. Die belgischen und niederländischen Behörden hätten technisch und personell aufgerüstet, um den Aktivitäten der Kartelle etwas entgegenzusetzen. "Wie Wasser nimmt Kokain den Weg des geringsten Widerstands. Da wir den Hafen von Antwerpen besser sichern, ist sehr gut möglich, dass sich diese Hauptversorgungslinien nach Hamburg oder Bremerhaven verlagern", glaubt der Minister.
Bremische Behörden alarmiert
Die Hamburger Wirtschaftsbehörde will "Ausweichbewegungen krimineller Aktivitäten" nicht ausschließen, die Behörden in Bremen sind regelrecht alarmiert. In einem gemeinsamen Brief an das zuständige Bundesfinanzministerium fordern Häfensenatorin und Innensenator unter anderem Verstärkung für den Zoll in Bremerhaven. "Wir müssen unsere Bemühungen um eine Stärkung der Sicherheit jetzt intensivieren, bevor es schlimmstenfalls zu ersten Todesopfern kommt", heißt es in dem Brief. In seinem Antwortschreiben lässt das Ministerium wissen, dass es den Zoll bereits für gut aufgestellt hält. Zusagen für eine etwaige Verstärkung gibt es nicht.
Die Haltung des Bundesfinanzministeriums stößt bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf Unverständnis. "Der Zoll ist in Deutschland die Schmuggel-Bekämpfungsbehörde schlechthin, für diese Aufgabe allerdings denkbar schlecht aufgestellt", sagt Frank Buckenhofer, Vorsitzender von GdP-Zoll.
Angesichts der Herausforderungen, vor die der Kokain-Schmuggel die deutschen Seehäfen schon heute stelle, habe der Zoll weder genug Personal noch die angemessene technische Ausstattung. Auch hätten sich die Führungsstrukturen der Behörde in der Vergangenheit als äußerst träge erwiesen. "Der Zoll muss dringend schlagkräftiger aufgestellt werden, wenn wir den Aktivitäten der Drogenkartelle wirkungsvoll begegnen wollen", so Buckenhofer.
"Es ist vor allem Korruption, die den Kokainimport in europäischen Häfen überhaupt erst möglich macht", betont Soziologin Zora Hauser. In Bremen setzt der Senat deshalb seit knapp einem Jahr auf ein Meldeportal, über das die Hafenbelegschaft den Behörden anonyme Hinweise auf Schmuggelaktivitäten geben kann. Bisher sind allerdings keine eingegangen.