Kein Mutterschutz Wie selbstständige Frauen benachteiligt werden
Schätzungen zufolge werden jährlich 27.000 selbstständig arbeitende Frauen schwanger. Doch anders als für Angestellte gilt für sie der Mutterschutz nicht. Eine Tischlerin aus Osnabrück kämpft für mehr Gleichberechtigung.
Wenn Johanna Röh heute über ihre Schwangerschaft mit Tochter Mila spricht, geht es um Existenzängste. Denn die waren neben der Vorfreude auf ihr erstes Kind ein großes Thema.
Röh ist selbstständig. Und genau das ist herausfordernd: Denn während für angestellte schwangere Frauen ein Beschäftigungsverbot gilt, musste sie während ihrer Schwangerschaft weiterarbeiten. "Ganz viele Arbeiten in der Tischlerei sind für das werdende Leben einfach potenziell gefährlich", sagt sie. "Das hat mir die ganze Zeit Angst gemacht. Ich hatte eigentlich über die gesamte Schwangerschaft Sorge, dass es zu unsicher ist - gesundheitlich aber auch finanziell."
Denn selbstständige Frauen haben weder Anspruch auf Mutterschutz noch auf Mutterschaftsgeld. Selbstständige Frauen, die in Deutschland schwanger sind oder werden möchten, können sich zwar freiwillig versichern. Ein solidarisches Mutterschaftsgeld wie bei Angestellten gibt es allerdings nicht.
Schwangerschaft und Selbstständigkeit nicht vorgesehen?
Röh musste deshalb 20.000 Euro aus ihrem Ersparten bezahlen, um kürzertreten zu können. Und das zusätzlich zu den Fixkosten für die Werkstatt und der Angst, Kundinnen und Kunden zu verlieren.
Die Tischlerin sieht darin einen Wettbewerbsnachteil gegenüber ihren männlichen Mitstreitern. "Als ich schwanger wurde, hatte ich den Eindruck, dass das für selbstständige Handwerkerinnen gar nicht vorgesehen ist. Das hat mich extrem aus der Bahn geworfen."
Mit der Geburt ihrer Tochter Mila reichte sie deshalb eine Petition beim Bundestag ein - damit alle Schwangeren in Deutschland die gleichen Rechte haben. Die Petition bekam das höchste Votum. Das heißt: Alle Fraktionen halten das Thema für wichtig.
Niedersachsen erwägt Bundesratsinitiative
Seither wird viel diskutiert. Das Bundesfamilienministerium hat nach eigenen Angaben 800 selbstständige Frauen und Männer zu ihren Erfahrungen und ihrem Bedarf rund um die Geburt befragt. Ein Sprecher sagte dem NDR: "Der dringendste Handlungsbedarf besteht darin, dass die Betroffenen die entsprechenden Informationen erlangen."
Dabei verweist er auf die Versicherungsoption. Einige Frauen berichten derweil davon, dass sie diese Versicherungsleistung nicht bekommen - zum Beispiel, weil sie in früheren Schwangerschaften Beschwerden hatten. Außerdem kritisieren sie: Eine Zusatzversicherung sei wenig solidarisch.
In Niedersachsen wollen die Regierungsparteien SPD und Grüne deshalb eine Bundesratsinitaitive auf den Weg bringen, um den Mutterschutz für Selbstständige gesetzlich zu verankern.
Geringe Umlage würde helfen
Kurzfristig ließe sich das Problem ohne große Gesetzesänderungen mit einer Umlage lösen. Dafür müssten alle 3,6 Millionen Selbstständigen in Deutschland monatlich 5,30 Euro einzahlen. Das Institut für Mittelstandsforschung in Bonn hat berechnet: Damit könnte den Betroffenen in den Mutterschutzfristen das Bruttoerwerbseinkommen gezahlt werden.
"Eine Umlagefinanzierung des Verdienstausfalls stellt eine solidarische Lösung dar, die niemanden überfordert und vor allem den Wettbewerb zwischen selbstständigen Frauen und Männern nicht verzerrt", sagt die stellvertretende Geschäftsführerin Rosemarie Kay.
Aber sie macht auch deutlich: Rund um die Geburt eines Kindes bleibe es für Frauen schwierig, mit der Arbeit aufzuhören. Denn Betriebskosten laufen weiter und Kundinnen und Kunden könnten verloren gehen.
Interims-CEO für die Zeit nach der Geburt?
Und da kommt Mira Jago ins Spiel. Die Gründerin aus Hannover fordert Geld vom Staat, um eine Vertretung für die Zeit nach der Geburt zu bezahlen. "So eine Firma ist ja eine Geldmaschine für den Staat, die sollte am Laufen gehalten werden. Das sichert Arbeitsplätze und Wertschöpfung."
Jagos Agentur entwickelt Apps, unter anderem, um die Verwaltung in Deutschland zu digitalisieren. Für sie arbeiten Menschen aus ganz Europa und sogar Marokko. Doch so sehr sie die Freiheiten als Selbstständige liebt - die Schwangerschaft mit Tochter Ada war für sie mit Existenzängsten verbunden. "Ich hatte furchtbare Sorge, dass ich meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hängen lasse. Und genauso hatte ich Angst, meine Tochter hängen zu lassen."
Mira Jago fordert Geld vom Staat, um eine Vertretung für die Zeit nach der Geburt zu bezahlen.
Unterstützung bei Doppelbelastung nötig
Kind und Selbstständigkeit - für sie ein Drahtseilakt. In der Schwangerschaft arbeitet Jago so viel wie nie zuvor, schreibt sogar noch ein Buch. Eine Doppelbelastung in einer männerdominierten Branche.
Als selbstständige Frau schwanger werden? Auch aus Sicht von Gründerin Jago ein Wettbewerbsnachteil: "In den 20ern lernen wir, in den 30ern baust du deine Firma auf. Aber das ist auch genau die Zeit, in der du Kinder bekommst. Und das macht es schwierig." Deshalb brauche es die Unterstützung des Staates.
Tischlerin Johanna Röh sitzt in ihrer Werkstatt und liest ihrer Tochter vor. Mila ist inzwischen zweieinhalb - so alt wie ihre Petition. Der Wunsch nach einem weiteren Kind ist da, aber die aktuellen Möglichkeiten machen es ihr und ihrem Mann schwer.
"Bei der jetzigen Absicherung, die es für Selbstständige gibt, ist es für uns unfassbar schwierig, weil das noch mal krasse Existenzängste bedeutet", sagt Röh. Dass Frauen faktisch vor die Wahl gestellt werden - Kind oder Selbstständigkeit -, schade der Gleichberechtigung, der Geburtenrate und der Wirtschaft.