Rassismus im Wahlkampf Bedroht und beschimpft
Wenige Wochen vor den Kommunal- und Europawahlen werden Politiker immer wieder angefeindet und brutal angegriffen. Für Politiker mit Migrationsgeschichte ist das keine neue Situation. Wie erleben sie den Wahlkampf?
Was Hass bedeutet, habe sie Anfang Mai gespürt, erzählt Nurgül Senli. Die Linken-Politikerin war unterwegs in ihrem Wahlkreis in Rostock und sah, wie ein Mann ihr Wahlplakat zerstörte. Senli stellte ihn zur Rede: "Daraufhin ist er ganz aggressiv auf mich los und hat dann gepöbelt: 'Du siehst doch auch schon aus wie eine Kanackin - euch sollte man alle an eine Wand stellen'", erinnert sie sich.
Nurgül Senli ist in Wuppertal geboren und aufgewachsen, sie ist Deutsche. Ihre kurdischen Eltern kamen aus der Türkei nach Deutschland. Seit 2019 sitzt sie für die Linken in der Rostocker Bürgerschaft und kandidiert bei dieser Kommunalwahl wieder.
Rassistische Anfeindungen seien nichts Neues für sie, daran habe sie sich gewöhnt, doch jetzt im Wahlkampf hätten die Bedrohungen eine neue Qualität erreicht: "Man denkt immer, dass man damit schon umgehen kann. Natürlich geht man dann schon nach Hause und fragt sich, was passiert, wenn diese Menschen wirklich mal irgendwann an die Macht kommen. Stellen die uns dann wirklich vor eine Wand? Oder bin ich dann hier noch sicher?" Nurgül Senli macht weiter, sie wolle gegen die Angst kämpfen - und trotzdem bliebe dieser Gedanke: "Man fragt sich: 'Tue ich mir das wieder an?'".
"Du, pass auf dich auf"
Nur wenige Kilometer weiter macht der SPD-Politiker Seyhmus Atay-Lichtermann Wahlkampf. Auch er kandidiert für die Bürgerschaft in Rostock, und auch er hat Migrationsgeschichte. Seit seiner Kandidatur schlägt ihm auf Social Media rassistischer Hass und Hetze entgegen. Er solle Deutschland verlassen, habe als Mensch mit Migrationshintergrund nichts in der deutschen Politik zu suchen.
Atay-Lichtermann sagt, es seien zwar "nur Kommentare", doch die Kommentare beschäftigten ihn - oft tagelang. Auch seine Frau mache sich Sorgen. Sie habe ihm gesagt, er solle auf sich aufpassen. "Ich habe sie angeguckt und gefragt, ob sie das ernst meint - sie meinte es ernst. Das war zum ersten Mal, dass sie mir gesagt hat: 'Du, pass auf dich auf'."
Die Stimmung von heute erinnere ihn an seine Jugend - 1999 kam er als 14-Jähriger mit seiner Familie aus der Türkei nach Rostock. Damals waren Rassismus, Hass und Gewalt auf den Straßen allgegenwärtig. Die Familie zog in den Stadtteil Lichtenhagen, in eine Wohnung nur wenige Meter entfernt vom Sonnenblumenhaus, dem Wohnblock, den ein rechter Mob im Sommer 1992 tagelang belagerte und mit Molotowcocktails in Brand setzte.
Die rechte Gewalt in Lichtenhagen prägt auch das Leben von Atay-Lichtermann. An seine eigenen Erfahrungen im Viertel, an die Tritte, die Schläge, die rassistischen Beleidigungen erinnere er sich bis heute, sagt er. "Es war wie ein Kriegsgebiet für uns. Auch wenn es das vielleicht nicht war, aber ich habe das als Kind so empfunden. Es gab keinen Tag, an dem ich nicht von Skinheads angegriffen wurde." Das Trauma von damals sei heute wieder spürbar. Ein Gefühl, mit dem er nicht alleine ist.
"Alle weg, alle erschießen - dich zuerst!"
Ahmed Bejaoui ist 2015 aus Tunesien nach Deutschland gekommen. Jetzt kandidiert er für die Grünen für den Stadtrat in Chemnitz. Im Sommer 2018, als sich in der Stadt tagelang Rechtsextreme zusammenrotteten und Migranten durch die Straßen jagten, sei auch er gejagt worden, erzählt Bejaoui. Auch danach sei er immer wieder auf der Straße verprügelt und rassistisch beleidigt worden. Erfahrungen, die für Ahmed Bejaoui auch jetzt im Wahlkampf wieder präsent sind. Beim Flyer verteilen vor einigen Tagen schreit ihm eine Frau entgegen: "Alle weg, alle erschießen - dich zuerst!" Bejaoui lächelt ungläubig, dann lacht er und schüttelt den Kopf. "Ich kann nur darüber lachen, weil: Wenn ich jetzt darüber nachdenken würde, dann sind wir ja bei 1933."
Es sind vermutlich Situationen wie diese, die auch andere Menschen mit Migrationsgeschichte davon abhalten, politisch aktiv zu werden. "Wir sprechen von doppelter Diskriminierung", sagt Seyhmus Atay-Lichtermann, der Chef des Migrantenrats Rostock und SPD-Kandidat. Als Mensch mit Migrationshintergrund sei man in bestimmten Lebensbereichen immer diskriminiert oder rassistischen Äußerungen ausgesetzt. "Und dann auch noch als Politiker, dann überlegen sich schon viele, ob es das jetzt wert ist, über sich ergehen zu lassen." Auch für diese Menschen wollen Seyhmus Atay-Lichtermann, Ahmed Bejaoui und Nurgül Senli weitermachen.
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