AfD und ihre Wähler Radikal ist auch egal
Die AfD steht in den Umfragen derzeit gut da. Und das, obwohl sich die Partei immer weiter radikalisiert. Der AfD scheint das egal - und den potenziellen Wählern offenbar auch.
Alice Weidel sucht die Nähe - zu einem Rechtsextremisten. In Erfurt lächelt sie mit Björn Höcke Arm in Arm in die Kameras. Weidel wirkt an diesem Tag Ende April aufgekratzt, spricht von der schlechtesten Bundesregierung aller Zeiten. Sie erzählt, die AfD habe die Impfpflicht verhindert und sie danach geweint. Die etwa 1000 Leute in Erfurt jubeln ihr und Höcke zu.
Für den Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder von der Universität Kassel ist das eine Zäsur, schließlich habe Weidel Höcke einst aus der Partei werfen wollen. Sie habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass "Höcke der starke Mann in der Partei ist, an ihm nichts wirklich vorbei geht - ohne dass er gleichzeitig die Partei wirklich ganz prägen kann". Was Weidel jetzt tue, ist für Schröder unglaublich, aber auch sehr geschickt. Sie hole Höcke damit in die Mitte der Partei. Die Botschaft: "Das ist keiner, der Rechtsextremist ist. Das ist einer von uns."
In Erfurt ist auch die Junge Alternative dabei, die Jugendorganisation der AfD. Seit Ende April gilt auch die als gesichert rechtsextremistisch. Der Verfassungsschutz hat keine Zweifel, dass die Junge Alternative verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolge. Sie propagiere ein völkisches Gesellschaftskonzept, das auf biologistischen Grundannahmen beruhe, ein ethnokulturell möglichst homogenes Staatsvolk postuliere.
Der Vorsitzende Hannes Gnauck sagt, die Einstufung sei kein Ritterschlag, er gebe aber auch nicht viel darauf. Im Interview spricht er von Migranten, die das Land "besetzen" oder einer "Überflutung mit Migrantenströmen". "Ob man das jetzt Bevölkerungsaustausch nennt: Auf jeden Fall muss man festhalten, dass Millionen fremder Menschen ins Land kommen, und die Bevölkerung möchte das nicht mehr."
Fragt man Parteichefin Weidel nach dem Verfassungsschutz, regt sie sich auf, spricht von "bananenrepublikanischen Zuständen". Es werde gegen eine politische Konkurrenzpartei durchgeladen. "Dieser Eingriff in den politischen Parteien-Wettbewerb ist aus meiner Sicht zutiefst verfassungswidrig. Der Verfassungsschutz geriert sich selbst zum Verfassungsfeind." Die Wähler würden das dem Staat nicht mehr abkaufen, deswegen steige die AfD auch in den Umfragen.
In der Tat steht die Partei so gut da wie lange nicht mehr in den Umfragen. Laut jüngstem ARD-Deutschlandtrend würde sie bei der Bundestagswahl 16 Prozent erreichen. Im Osten hat die Partei die Chance, stärkste Kraft zu werden. Und das, obwohl sie sich weiter radikalisiert hat.
Feindbild Verfassungsschutz
Für die Wähler scheint das kein Problem zu sein, meint Politikwissenschaftler Schröder. "Insofern kann die Partei nach außen sehr generös und gleichzeitig mit dem Feindbild Verfassungsschutz auch Punkte machen." Das Umfragehoch der AfD sei nicht erst seit gestern existent. Es gehe zurück auf den Sommer 2022. "Es speist sich von Unsicherheit, Inflationsangst, Energieknappheit. Die AfD ist die Speerspitze des Kampfes gegen die Grünen." Übersetzt in die Sprache der AfD heißt das: Sie sehen sich im Kampf gegen das "Clan-Ministerium", die "Graichen-Pumpe" und das "Gendergeschwafel".
Die AfD sieht sich als eine Partei, die gegen den Strom schwimmt. Auch wenn es um den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine geht. Sie klebt sich das Etikett "Friedenspartei" auf. Vorsitzender Tino Chrupalla spricht von Alleinstellungsmerkmalen, weil die AfD darauf hinweise, "dass dieser Wirtschaftskrieg, dass die Sanktionen der eigenen Bevölkerung, dem Mittelstand, der Wirtschaft, dem Handwerk am meisten schaden".
In dieser Woche war Chrupalla eingeladen in die russische Botschaft, dort wurde der "Tag des Sieges" über die Nationalsozialisten gefeiert. Eine illustre Runde kam da zusammen. Neben den AfD-Politikern Chrupalla und Alexander Gauland waren Altkanzler Gerhard Schröder, der ehemalige SED-Generalsekretär Egon Krenz und Ex-Linken-Chef Klaus Ernst dabei.
Politikwissenschaftler Schröder sagt, das Thema Russland sei auf der einen Seite ein Gewinnerthema. Auf der anderen Seite sieht er aber auch mögliche Konflikte zwischen Ost und West.
Die treten in einer AfD-internen Chatgruppe, die das ARD-Hauptstadtstudio einsehen konnte, sehr deutlich hervor. "Sind unsere Umfragewerte wieder zu gut, dass wieder so eine Aktion sein musste", regt sich ein Teilnehmer auf. "Ich brech ins Essen", schreibt ein anderer. "Langsam frage ich mich, ob ich hier noch richtig bin." Ein weiterer Bundestagsabgeordneter fragt: "Am Tag der Schande vor den Vergewaltigern zu knien, geht gar nicht." Mit dem "Tag der Schande" ist der Tag des Sieges über Hitler gemeint.