Oberverwaltungsgericht Münster AfD-Einstufung als Verdachtsfall ist rechtens
Der Verfassungsschutz hat die AfD zu Recht als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Das Oberverwaltungsgericht Münster bestätigte das Urteil der Vorinstanz - und wies damit die Berufung der Partei zurück.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) darf die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) im nordrhein-westfälischen Münster wies die Klage dagegen zurück. Damit bestätigte es ein vorangegangenes Urteil des Verwaltungsgerichts Köln von 2022.
Damit darf der Verfassungsschutz auch weiterhin nachrichtendienstliche Mittel zur Beobachtung der rechtspopulistischen Partei einsetzen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das OVG ließ zwar keine Revision gegen das aktuelle Urteil zu, die AfD kann aber einen Antrag auf Zulassung am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig stellen.
Anhaltspunkte für Diskriminierung und Demokratiefeindlichkeit
"Gerichte entscheiden nicht politisch, mögen ihre Entscheidungen auch Auswirkungen auf die Politik haben", hieß es dazu bei der Urteilsverkündung. Das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) gibt dem BfV die Befugnis, eine Partei zu beobachten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen.
Diese seien jedoch nicht grenzenlos, betonte der Senat. Der Verfassungsschutz müsse "hinreichend verdichtete Umstände" vorlegen können. "Die wehrhafte Demokratie ist kein zahnloser Tiger, aber - um im Bild zu bleiben - sie beißt nur im nötigsten Fall zu", so der Vorsitzende Richter des 5. Senats, Gerald Buck.
Das sah der Senat im Fall der Einstufung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall gegeben: Es gebe genügend tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Partei Bestrebungen verfolge, die sich gegen die Menschenwürde bestimmter Gruppen und gegen das Demokratieprinzip richteten, so das Gericht. Es sah den begründeten Verdacht, dass zumindest ein maßgeblicher Teil der AfD das Ziel habe, "deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen". Das sei eine unzulässige Diskriminierung und nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
Auch gebe es hinreichende Anhaltspunkte für den Verdacht, dass die AfD Bestrebungen verfolge, die mit einer Missachtung der Menschenwürde von Ausländern und Muslimen verbunden seien. Weiter konnte das Gericht Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen erkennen - "wenn auch nicht in der Häufigkeit und Dichte wie vom Bundesamt angenommen".
Verfassungsschutzpräsident sieht sich bestätigt
Der Präsident des Verfassungsschutzes Thomas Haldenwang sieht sich durch die Abweisung der Berufungsklage der AfD in seinem Kurs bestärkt. Sein Dank gehe an alle Mitarbeitenden, insbesondere auch an jene, "die wegen dieser wichtigen Arbeit aus bestimmten Kreisen öffentlich und in sozialen Medien in den vergangenen Monaten immer wieder mit Hass und Hetze überzogen wurden, denen verfassungswidriges und rechtswidriges Verhalten vorgeworfen wurde und die unerträgliche Beleidigungen aushalten mussten", so Haldenwang. Sie alle könnten sich durch das Urteil bestätigt fühlen.
Das Urteil sei "ein Erfolg für den gesamten Rechtsstaat, für die Demokratie und für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung", so Haldenwang. "Im Ergebnis hat das Gericht unsere Bewertung vollumfänglich bestätigt. Das Gericht hat auch bestätigt, dass das Bundesamt und sein Präsident berechtigt sind, die Öffentlichkeit über die Einstufung der AfD als Verdachtsfall zu informieren, da die bestehenden Anhaltspunkte hinreichend gewichtig sind." Das Bundesamt habe "zahllose Beispiele" vorgelegt, die Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Haltungen eines maßgeblichen Teils der AfD darlegten. Dazu gehörten "Hass und Hetze gegen Muslime, gegen Migranten aller Art", so Haldenwang. Zudem gebe es Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen der AfD.
Jahrelanger Rechtsstreit
In dem Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht ging es nicht nur um die Einstufung der gesamten AfD, sondern auch die des mittlerweile aufgelösten AfD-"Flügels" als Verdachtsfall und als "gesichert extremistische Bestrebung" sowie die Einordnung der Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA) als Verdachtsfall.
Der Rechtsstreit zwischen der Partei und dem Verfassungsschutz läuft seit mehreren Jahren. Nach einer erstmaligen Einstufung der Partei als sogenannter Prüffall im Jahr 2019 hatte der Verfassungsschutz die Partei 2021 als "extremistischen Verdachtsfall" eingestuft. Dagegen klagte die AfD. Das Verwaltungsgericht Köln bestätigte diese Einstufung jedoch im März 2022 als rechtmäßig. Gegen diesen Gerichtsentscheid klagte die AfD erneut.
AfD will vor nächste Instanz ziehen
Die AfD kündigte bereits an, den Rechtsstreit vor das nächst höhere Gericht zu tragen. "Wir werden selbstverständlich die nächste Instanz anrufen", sagte AfD-Bundesvorstandsmitglied Roman Reusch laut einer Mitteilung der Partei. AfD-Vize Peter Boehringer kritisierte mit Blick auf das Verfahren eine "ungenügende Sachverhaltsaufklärung". "Hunderten Beweisanträgen nicht nachzugehen, grenzt an Arbeitsverweigerung - wie schon in der Vorinstanz, was ja gerade der Hauptgrund für die Revision gewesen war."
Auch wenn das Oberverwaltungsgericht keine Revision gegen sein neues Urteil zuließ, bedeutet das nicht, dass die AfD gar keine Möglichkeit mehr hat, dagegen vorzugehen. In einem Revisionsverfahren wird ein gerichtliches Urteil überprüft. Das Revisionsgericht - in dem Fall wäre es das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig - untersucht, ob in der Vorinstanz Rechtsfehler gemacht wurden. Es prüft nicht die Tatsachen selbst. So erhebt es auch keine neuen Beweise und befragt beispielsweise keine Zeugen.
Da das OVG die Revision nicht zuließ, müsste die AfD gegen die Nichtzulassung Beschwerde erheben. Dazu hat sie einen Monat Zeit, nachdem das vollständige Urteil zugestellt wurde. Die Beschwerde geht in einem solchen Fall zunächst an das OVG selbst. Wenn dieses nicht abhilft, also seine eigene Entscheidung nicht ändert, kann das Bundesverwaltungsgericht die Revision trotzdem noch zulassen. Dazu müssen bestimmte Voraussetzungen vorliegen.
Entweder geht es um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung, es liegt ein entscheidender Verfahrungsmangel vor - oder das Urteil weicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung ab und beruht auf dieser Abweichung. Wenn die Revision schlussendlich doch zugelassen würde, würde das Bundesverwaltungsgericht das Urteil aus Münster prüfen.
Während der Verhandlungen in Münster seit Mitte März hatte die AfD zahlreiche Beweisanträge sowie Befangenheitsanträge gegen die Richter gestellt, die abgelehnt wurden. Ein Anwalt des Verfassungsschutzes warf der AfD vor, damit das Verfahren in die Länge ziehen zu wollen.
Das Urteil fällt mitten in den Wahlkampf für die Europawahl Anfang Juni und in die Vorbereitungen für die Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen. Die AfD ist Umfragen zufolge in den ostdeutschen Bundesländern besonders stark. Die Landesverbände Thüringen und Sachsen werden - wie auch jener in Sachsen-Anhalt - von den Verfassungsschutzbehörden dieser Bundesländer als "gesichert rechtsextrem" eingestuft.
Faeser: "Urteil zeigt, dass wir wehrhafte Demokratie sind"
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) betonte nach dem Urteil die Eigenständigkeit des Verfassungsschutzes. "Das heutige Urteil zeigt, dass wir eine wehrhafte Demokratie sind", sagte sie. Der deutsche Rechtsstaat habe Instrumente, um die Demokratie vor Bedrohungen von innen zu schützen. "Genau diese Instrumente werden auch eingesetzt - und sind jetzt erneut von einem unabhängigen Gericht bestätigt worden", fügte die Ministerin hinzu, zu deren Verantwortungsbereich das Bundesamt gehört.
AZ: 5 A 1216/22, 5 A 1217/22 und 5 A 1218/22