Ein F-16 Kampfflugzeug der US Air Force startet
analyse

"Air Defender" Ein Manöver im Zeichen der Zeitenwende 

Stand: 23.06.2023 18:50 Uhr

Neun Tage lang haben Luftstreitkräfte westlicher Verbündeter geübt, einen fiktiven Angriff abzuwehren. "Air Defender" war beides: eine Bewährungsprobe für die Bundeswehr und ein Signal an Kremlchef Putin.

Von Mario Kubina, ARD Berlin

Die Bundeswehr hat sich für die Großübung herausgeputzt. Der Tornadojet, der am Dienstag auf dem Militärflugplatz Jagel in Schleswig-Holstein zu sehen ist, fällt durch eine Sonderlackierung auf: die Heckflosse in Schwarz-Rot-Gold, darauf der Schriftzug "Air Defender 2023". Vor dem Kampfjet steht ein zufriedener Boris Pistorius. Es sei "beeindruckend zu sehen, wie die Kampfjets hier 80-mal am Tag donnernd in den Himmel aufsteigen“, sagt der Verteidigungsminister. 

Als der SPD-Politiker den Militärflugplatz in Jagel besucht, sind es noch einige Tage bis zum Ende des Manövers. Doch Pistorius zieht bereits eine erste Bilanz. Sie fällt - wenig überraschend - positiv aus. Ungeachtet einer Vielzahl von Sprachen und Herkunftsländern hätten die Soldatinnen und Soldaten "Hand in Hand" gearbeitet. Pistorius bescheinigt ihnen zudem eine "große Begeisterung" für die Sache. 

 Boris Pistorius während eines Presse-Statements zum Manöver "Air Defender 2023"

Verteidigungsminister Pistorius zieht eine positive Bilanz.

"Air Defender": Kommunikation als Herausforderung

Tatsächlich ging es bei "Air Defender" unter anderem darum, ob sich rund 10.000 Militärangehörige aus 25 Ländern pannenfrei verständigen können. Im Großen und Ganzen scheint es funktioniert zu haben. So berichtet eine US-Soldatin an einem anderen Manöverstandort, das Englisch der deutschen Gastgeber sei "amazing" - ganz toll also. 

Bei so viel Euphorie wundert es nicht, dass sich auch andere Spitzenpolitiker die Übung aus der Nähe angesehen haben. So lässt sich auch Olaf Scholz in Jagel zeigen, wie die beteiligten Luftstreitkräfte zusammenarbeiten.

Im Übrigen liefert der Besuch eines Militärmanövers genau die Bilder, die die vom Kanzler ausgerufene Zeitenwende illustrieren: Scholz auf dem Rollfeld eines Militärflugplatzes, umringt von Soldaten, im Hintergrund ein Kampfjet. Der SPD-Politiker zeigt sich froh darüber, "dass eine so große Übung gelingen kann und alles klappt" - noch dazu unter deutscher Führung. 

Ingo Gerhartz überreicht Olaf Scholz das Modell eines Airbus A400M.

Kanzler Scholz erhält vom Inspekteur der Luftwaffe, Ingo Gerhartz, das Modell eines Airbus A400M.

Luftwaffenchef zufrieden mit Verlauf

Ein Punkt, den auch Luftwaffenchef Ingo Gerhartz aufgreift. Er nennt das Manöver ein "wichtiges Zeichen auch an unsere Partner". Aus seiner Sicht hat Deutschland mit der Organisation von "Air Defender" bewiesen, dass es im NATO-Verbund Verantwortung übernehmen kann. In seiner Abschlussbilanz spricht Gerhartz von einem vollen Erfolg. Von 2000 geplanten Flügen hätten 90 Prozent stattgefunden. Für eine solche Großübung sei das ein Spitzenwert, sagt der Luftwaffenchef. 

Zur Bilanz von "Air Defender" gehört aber auch, dass es zum Teil Anlaufschwierigkeiten gab. Um verschiedene Flugzeugtypen - Kampfjets, Transportmaschinen, Aufklärungsflugzeuge - optimal zu koordinieren, ist laut Gerhartz ein gemeinsames Netzwerk für die Datenübertragung nötig. Und es sei "sehr, sehr komplex", so etwas einzurichten. Das sei nicht auf Anhieb gelungen, sondern erst nach ein, zwei Tagen.

Die Lernkurve sei enorm gewesen, so der Luftwaffenchef. Und genau das soll ein solches Manöver ja auch leisten: Es geht darum, herauszufinden, wo es noch hakt - damit die Koordination im Ernstfall funktioniert. 

NATO-Verbündete trainieren Abwehr eines Angriffs

Der Ernstfall: Das ist im "Air Defender"-Szenario ein Angriff auf die NATO. Mit dem Manöver wollten Deutschland und seine Verbündeten zeigen, dass sie in der Lage wären, das Bündnisgebiet zu verteidigen. Ein Übungsziel, das aus Sicht der Bundeswehr erreicht wurde. 

Doch es gibt auch kritische Töne. Die Linke zum Beispiel sieht in dem Manöver eine gefährliche Machtdemonstration. Co-Parteichefin Janine Wissler bezeichnet die Übung schon bei deren Auftakt als ein "militärisches Säbelrasseln, das wir für unverantwortlich halten". Russland, so die Befürchtung von NATO-Kritikern, könnte sich durch "Air Defender" provoziert fühlen. 

"Air Defender" auch ein Signal an Putin

Die Luftwaffe betont dagegen den defensiven Charakter des Manövers: Man habe den Verteidigungsfall geprobt - und keinen Angriff. Außerdem habe sich die Übung gegen keinen bestimmten Staat gerichtet. Allerdings liegt auf der Hand, welchem Akteur mit "Air Defender" die Einsatzbereitschaft der NATO vor Augen geführt werden sollte: Russland. Im Übungsszenario ist von einem "östlichen Militärbündnis" die Rede. Und die US-Botschafterin in Berlin, Amy Gutmann, erkennt im Manöver ausdrücklich auch ein Signal an Wladimir Putin. 

Ähnlich sieht es die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Sie wertet "Air Defender" als exemplarisch für die Zukunft der NATO. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag findet, dass weitere Übungen dieser Art nötig seien. Mit der Übernahme der Führungsrolle bei dem Manöver hat Deutschland nach ihren Worten bewiesen, "endlich in der Realität angekommen" zu sein. In einer Realität, in der sich die westlichen Verbündeten offenbar auf eine lange Phase der Konfrontation einstellen. 

Mario Kubina, ARD Berlin, tagesschau, 23.06.2023 17:58 Uhr