Aiwanger zu Vorwürfen "Das bin nicht ich"
Bayerns Vize-Ministerpräsident Aiwanger hat nach parteiübergreifender Kritik wegen eines antisemitischen Flugblatts um Entschuldigung gebeten. Zugleich erhob er den Vorwurf, Ziel einer politischen Kampagne geworden zu sein.
Der bayerische Freie-Wähler-Chef und Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger hat sich nach Vorwürfen wegen eines antisemitischen Flugblatts als Ziel einer politischen Kampagne dargestellt. "Ich habe den Eindruck, ich soll politisch und persönlich fertiggemacht werden", sagte Aiwanger im bayerischen Wirtschaftsministerium in München. Sein Statement, zu dem keine Fragen zugelassen wurden, dauerte weniger als zwei Minuten.
Es gehe um ein "abscheuliches Pamphlet", das vor 36 Jahren in seiner Schultasche gefunden worden sei, so Aiwanger. Es seien Aussagen aufgetaucht, die den Eindruck vermittelt hätten, er "wäre als Jugendlicher auf einen menschenfeindlichen Weg geraten". Er habe damals Fehler gemacht und "bereue zutiefst", wenn er Gefühle verletzt habe. Er bat explizit "alle Opfer des NS-Regimes, deren Hinterbliebene und alle Beteiligten an der wertvollen Erinnerungsarbeit" um Entschuldigung.
Es sei "jedoch nicht akzeptabel, dass diese Verfehlungen jetzt in einer politischen Kampagne gegen mich und meine Partei instrumentalisiert werden", sagte Aiwanger. "Es ist ein negatives Bild von mir in den letzten Tagen gezeichnet worden. Das bin nicht ich, das ist nicht Hubert Aiwanger."
SPD-Vizefraktionschef: Rücktritt ist einzige Konsequenz
In den vergangenen Tagen hatte es anhaltende Kritik an Bayerns Vize-Regierungschef gegeben. Auch führende Unionspolitiker forderten heute erneut vollständige Aufklärung. "Das ist eine höchst unappetitliche Geschichte", sagte CDU-Chef Friedrich Merz den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass 17- oder 18-jährige Schüler noch in den 1980er-Jahren so etwas schreiben. Das muss nun wirklich vollständig aufgeklärt werden."
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte dem Sender Welt-TV am Rande einer Klausurtagung der Unionsfraktion, bisher sei Aiwanger "sehr, sehr schmallippig geblieben". Das sei der aktuellen Situation sicher nicht angemessen. Auf die Frage, ob er aktuell noch keinen Rücktritt von Aiwanger fordere, sagte Dobrindt: "Es geht jetzt darum, dass Klarheit entsteht, und dann kann man über Weiteres reden." Es gehöre zu einem fairen Verfahren, dass Klarheit geschaffen werde, und vor allem, dass Aiwanger sich erkläre.
Der stellvertretende SPD-Fraktionschef im Bundestag, Dirk Wiese, forderte Aiwangers sofortigen Rücktritt. "Das, was täglich Stück für Stück das Licht der Welt erblickt, ist eine Geisteshaltung, die nur noch eine Konsequenz haben kann - Rücktritt", sagte er der "Rheinischen Post". Bliebe der Chef der Freien Wähler noch länger im Amt, "wird das auch für Markus Söder mehr und mehr zum Problem".
Klein: "Schlechtes Vorbild für junge Menschen"
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte, Aiwanger schade mit seinen Äußerungen der Erinnerungskultur in Deutschland. "Die Bemühungen in Schulen und Gedenkstätten, gerade jüngeren Menschen einen kritischen und verantwortungsvollen Umgang mit den nationalsozialistischen Verbrechen zu vermitteln, werden durch das Verhalten von Herrn Aiwanger torpediert", sagte Klein den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem Erbe des schlimmsten jemals von Deutschen begangenen Verbrechens wäre die proaktive und vollumfängliche Aufklärung der eigenen Rolle bei der Erstellung und Verteilung dieses judenfeindlichen Pamphlets."
Augenscheinlich gehe es Aiwanger aber hauptsächlich darum, den Vorwurf abzuwehren, als Schüler Judenhass verbreitet zu haben."Seine mittlerweile erfolgte Entschuldigung bei den Opfern des NS-Regimes erfolgte erst nach Tagen auf massiven Druck von außen", kritisierte der Antisemitismusbeauftragte. "Das bisherige Vorgehen des Ministers, sich als Opfer einer gegen ihn gerichteten Kampagne zu stilisieren und sich möglichst spät, möglichst wenig und möglichst empathielos zu äußern, dient als schlechtes Vorbild der Politik für junge Menschen in Deutschland."
Freie Wähler stehen hinter ihrem Parteichef
Der Landesvorstand der Freien Wähler in Bayern, der Vorstand der Landtagsfraktion und die Kabinettsmitglieder der Freien Wähler in dem Bundesland stellten sich derweil "geschlossen" hinter Aiwanger.
Aiwanger soll laut "Süddeutscher Zeitung" als 17-Jähriger ein antisemitisches Hetzblatt verfasst haben. Er selbst hatte das bereits schriftlich zurückgewiesen. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien "ein oder wenige Exemplare" in seiner Schultasche gefunden worden. Die Schule habe daraufhin ein Disziplinarverfahren gegen ihn angestrengt. Kurz darauf gestand Aiwangers älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben. Ein früherer Mitschüler berichtete dem ARD-Magazin Report München, Aiwanger habe als jüngerer Schüler ab und zu in der Klasse "einen Hitlergruß gezeigt". Auch judenfeindliche Witze seien "definitiv gefallen".
Aiwanger sprach bereits im Onlinedienst X (vormals Twitter) von einer "Schmutzkampagne" gegen sich. Am Mittwochabend wehrte sich der Freie-Wähler-Chef zudem vehement gegen Antisemitismus-Vorwürfe. "Ich war noch nie Antisemit oder Extremist", sagte er in München. "Vorwürfe gegen mich als Jugendlicher sind mir nicht erinnerlich, aber vielleicht auf Sachen zurückzuführen, die man so oder so interpretieren kann."
Sondersitzung des Landtags in einer Woche
Raum für Interpretationen sollte Aiwanger bei der Beantwortung der 25 Fragen, die Regierungschef Markus Söder von seinem stellvertretenden Ministerpräsidenten einfordert, möglichst nicht zulassen. Söder hatte Aiwanger dafür keine Frist gesetzt.
Am Donnerstag kommender Woche befasst sich der bayerische Landtag in einer Sondersitzung mit dem Fall. Landtagspräsidentin Ilse Aigner werde auf Antrag von Grünen, SPD und FDP den sogenannten Zwischenausschuss einberufen, teilte der Landtag mit. Dieses Gremium kann nach der letzten Plenarsitzung vor einer Landtagswahl dringliche Angelegenheiten behandeln. Nur ein Teil der Landtagsabgeordneten ist dort Mitglied - aktuell sind es genau fünf.
In Bayern wird in fünfeinhalb Wochen ein neuer Landtag gewählt. Die CSU regiert derzeit gemeinsam mit den Freien Wählern. Söder will die Koalition nach eigenen Angaben trotz der Affäre fortsetzen. Zugleich deutete er am Dienstag an, dass dies auch ohne Aiwanger denkbar sei.
Schule hat keine Unterlagen mehr
Aiwangers damalige Schule - das Burkhart-Gymnasium Mallersdorf-Pfaffendorf - wird zur Wahrheitsfindung wohl nicht mehr beitragen können. Es seien "keine Unterlagen zur Behandlung des Falls Aiwanger im Schuljahr 1987/88 vorhanden", teilte das Kultusministerium auf BR-Anfrage mit. "Im Einklang mit der geltenden Rechtslage" müssten Schullaufbahnbögen von Schülern, die die jeweilige Schule verlassen haben, nur ein Jahr aufbewahrt werden.