Ampelstreit über EU-Pläne Leise Absage an die Chatkontrolle
Die EU arbeitet an Plänen zur Überwachung privater Chats. Die Bundesinnenministerin schien die Pläne zu unterstützen - zum Ärger von FDP und Grünen. Der Streit scheint nun beigelegt.
Beim Ziel sind sich alle einig: Der Staat muss Maßnahmen ergreifen zur Prävention und Bekämpfung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder. So will es Brüssel, so will es Berlin. In der Frage, wie dieses Ziel erreicht werden kann, ist die Bundesinnenministerin allerdings in die Schusslinie geraten.
Derzeit arbeitet die EU-Kommission an einer Verordnung mit der Abkürzung CSA, also eine Verordnung gegen "child sexual abuse". Darin ist von einem sogenannten Client Side Scanner die Rede. Linus Neumann vom Chaos Computer Club erklärt: Diese Scanner könnten für Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Signal verpflichtend werden, um auf den mobilen Endgeräten aller Nutzer alle Texte und alle Bilder zu scannen. So sollen Chats vor und nach der Verschlüsselung abgegriffen werden.
Erneut ist von einer anlasslosen und massenhaften Überwachung durch den Staat die Rede, die im Rahmen der NSA-Affäre US-Diensten unterstellt wurde. Jetzt also auch durch die EU? Innerhalb der Ampel ist hinter den Kulissen ein ungewöhnlicher Streit entbrannt, wie auf so eine Verordnung noch Einfluss genommen werden und dann in nationales Recht umgesetzt werden könnte.
Ein Bruch des Koalitionsvertrags?
Zum Verständnis: Derzeit laufen Ressortberatungen. Die Ampelparteien und ihre zuständigen Minister Nancy Faeser, Volker Wissing und Marco Buschmann müssen eine gemeinsame Haltung finden, die sie dann im Europäischen Rat in Brüssel vertreten. Die deutsche Regierung kann nur mit einer Stimme sprechen oder sich enthalten.
Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP steht - vereinfacht ausgedrückt - , dass private Kommunikation nicht vom Staat anlasslos und massenhaft gescannt werden soll, vielmehr solle es ein Recht auf verschlüsselte Kommunikation geben.
Bei einigen Abgeordneten der Ampelkoalition wuchs in den vergangenen Wochen die Sorge, dass sich das Bundesinnenministerium bei den Verhandlungen in Brüssel nicht an den Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP halten würde.
Klare Ablehnung bei Grünen und FDP
Die Digital- und Innenexperten von Grünen und FDP hatten daher einen Plan. Sie wollten - gemeinsam mit den SPD-Innenexperten - eine Stellungnahme abgeben, um so Einfluss auf die Verhandlungen der Bundesregierung in Brüssel zu nehmen. Der Artikel 23 Absatz 3 im Grundgesetz mache dies möglich, betonen die Abgeordneten von Grünen und FDP. So wollten sie der Bundesinnenministerin eine Position vorgeben, die sie dann auf EU-Ebene vertreten sollte. Grüne und FDP konnten sich nach eigenen Angaben damit nicht durchsetzen, weil die Innen-Kollegen der SPD die Stellungnahme nicht mittragen wollten.
"Wir lehnen die sogenannte Chatkontrolle weiterhin sehr klar ab. Hinweise, dass das Innenministerium auf EU-Ebene seit langem anders verhandelt, nehmen wir sehr ernst", so Konstantin von Notz von den Grünen. Obwohl man vor Wochen auf die Koalitionspartner SPD zugegangen sei, blockierten Teile der SPD eine solche gemeinsame Stellungnahme. "Dass ein solches Vorgehen nötig ist, bedauern wir."
Punktsieg für die FDP?
Zwar betont auch die Bundesinnenministerin seit Anfang des Jahres, sie sei gegen eine Chatkontrolle. Gestern allerdings verwirrte sie die Öffentlichkeit, als sie in der Bundespressekonferenz sagte, sie wolle sich dem Client Side Scanning "nähern". Sie fügte hinzu: Es gehe aber nicht darum, diese Technik auf privaten Endgeräten zu installieren. Die Stimmung wirkte schon zu diesem Zeitpunkt gereizt: "Bitte interpretieren Sie nicht etwas rein, was nicht drinsteht", warf sie grimmig einem der fragenden Journalisten zu.
Doch damit war die Affäre nicht vom Tisch, ganz im Gegenteil. Es folgten Beschwichtigungen auf Twitter, die eher aufhorchen ließen. FDP-Justizminister Buschmann verkündete, es habe ein "gutes Gespräch" mit seiner Kollegin Faeser gegeben. Die Regierung sei sich einig, sie sei klar gegen eine Chatkontrolle. Eine anlasslose Überwachung privater Kommunikation habe im Rechtsstaat nichts zu suchen, so Buschmann. Klang freundlich, wirkte aber wie ein Punktsieg der FDP gegenüber der SPD.
Absage für Client Side Scanner
Doch dann auch noch ein Post beim Twitter-Konkurrenten Mastodon von SPD-Chefin Saskia Esken: Sie sei sich mit Faeser einig, dass sie eine Chatkontrolle auch in der Version des Client Side Scanners rundheraus ablehne. Bitter. Genau dem wollte sich Faeser ja annähern, wie sie in der Bundespressekonferenz gesagt hatte.
Aus dem Bundesinnenministerium heißt es nun: Eine abgestimmte Position der Bundesregierung existiere noch nicht. Das erste vorläufige Positionspapier zeige aber bereits, dass aus Sicht der Bundesregierung der Verordnungsentwurf an einigen Stellen deutlich nachgeschärft werden müsse.
Die Forderung der Bundesregierung laute, den "Einsatz von Maßnahmen, die zu einem Bruch, einer Schwächung, Modifikation oder einer Umgehung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung führen, durch konkretere technische Anforderungen im Verordnungsentwurf auszuschließen".
Anbietern sollten hohe rechtliche und technische Anforderungen an die einzusetzenden Technologien vorgeschrieben werden. Dazu zähle die Wahrung einer durchgängigen Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Das heißt: Die Bundesregierung und das Innenministerium erteilen dem Client Side Scanner nun eine Absage.
Irritationen beseitigt
Dass das Bundesinnenministerium bis gestern am Begriff Client Side Scanner festgehalten hat - und das in der Bundespressekonferenz auch auf Nachfrage, obwohl der Koalitionsvertrag dies praktisch ausschließt - wird hinter den Kulissen auf das Eigenleben in der zuständigen Fachabteilung des Innenministeriums zurückgeführt. Die habe sich weniger an den aktuellen Koalitionsvertrag als an die vorige Agenda gehalten.
"Es ist gut, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser heute Morgen in einem Gespräch mit Bundesjustizminister Marco Buschmann die Irritationen der letzten Tage beseitigt hat", so der Parlamentarische Staatssekretär Benjamin Strasser, FDP, gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio. "Dieses sogenannte Client Side Scanning untergräbt die Vertraulichkeit privater Kommunikation und ist ein schwerwiegender Eingriff in Freiheitsrecht von 82 Millionen unbescholtener Bundesbürger. Diese Haltung werden wir auch auf europäischer Ebene deutlich machen."