Chinas Außenminister in Berlin Qin Gang besucht die "Lehrmeisterin"
Es ist ein Überraschungsbesuch: Chinas Außenminister Qin Gang trifft heute in Berlin Außenministerin Baerbock. Wie stark die Differenzen sind, hatte sich kürzlich bei ihrem Besuch in Peking gezeigt.
Mit Tempo 330 rasten die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und ihr chinesischer Amtskollege Qin Gang Mitte April durch die Volksrepublik - im chinesischen Hochgeschwindigkeitszug. Was nicht bedeutete, dass man bei diesem Besuch in Spitzengeschwindigkeit die Meinungsverschiedenheiten ausgeräumt hätte. Dafür ist die Beziehung zu dem Land, das "systemischer Rivale" und "Partner" in einem ist, zu kompliziert.
Das gilt auch und gerade für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, den man in Peking noch immer verharmlosend als "Krise" bezeichnet:
Ich muss offen sagen, dass ich mich frage, warum die chinesische Positionierung bisher nicht die Aufforderung an den Aggressor Russland beinhaltet, den Krieg zu stoppen.
Qin Gang waren die von der deutschen Außenministerin gewohnt offenen Worte denn doch an mancher Stelle zu offen, auch beim Thema Menschenrechte:
Was China am wenigsten braucht, sind Lehrmeister aus dem Westen.
Regierungskonsultationen im Ukraine-Krieg
Trotz der Hakelei vor laufenden Kameras Mitte April hält es Chinas Chefdiplomat zumindest nicht davon ab, die "Lehrmeisterin" nun in Berlin zu besuchen. Genug zu besprechen gibt es natürlich: Im Juni sollen deutsch-chinesische Regierungskonsultationen stattfinden, die der Vorbereitung bedürfen. Zudem dürfte erneut der Krieg Russlands gegen die Ukraine eine Rolle bei den Gesprächen spielen: "Weil Deutschland, weil Europa ein enormes Interesse an jedem Schritt und jeder Maßnahme hat, die dazu beitragen kann, diese Aggression endlich zu beenden," betonte Außenamtssprecher Christofer Burger.
Nun versucht sich zwar Peking gerade in letzter Zeit als Vermittler, als Friedensstifter, in diesem Krieg in Szene zu setzen. Gleichzeitig ist jedoch die Nähe zu Russland schwer zu übersehen. Zwar telefonierte Staatschef Xi unlängst erstmalig mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, er zeigt sich jedoch lieber an der Seite des russischen Machthabers Wladimir Putin. Er macht ähnlich wie Moskau die NATO und die USA für den Krieg verantwortlich.
Jüngste Überlegungen in der EU, chinesische Firmen mit Sanktionen zu belegen, die Güter an Russland liefern, die auch der Waffenherstellung dienen können, verurteilte Peking scharf.
"Meine Botschaft an Peking ist klar: Nutzen Sie Ihren Einfluss in Moskau, um auf den Rückzug russischer Truppen zu drängen. Und liefern Sie keine Waffen an den Aggressor Russland." Bundeskanzler Olaf Scholz versuchte dies der Führung in China bei seiner Regierungserklärung Anfang März einzuschärfen. Dass Peking massiven Einfluss auf Moskau hat, steht außer Frage. Fraglich ist hingegen schon, ob es den wirklich im deutsch-europäischen Sinne nutzt.
Keine Einigkeit in der EU
Was den Umgang mit Peking nicht einfacher gestaltet: Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hatte in einem Interview Europa nahegelegt, sich im Taiwan-Konflikt nicht an die Seite der USA zu stellen, während gleichzeitig aber EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen für mehr "Widerstandsfähigkeit" gegenüber China eintrat. Wie wenig die EU hier mit einer Stimme spricht, ist offenkundig.
Und auch in Deutschland kann von einem "Einklang" innerhalb der Ampel keine Rede sein. Beispiele gibt es zuhauf: Jüngst warf der konservative Flügel der SPD den von den Grünen Baerbock und Habeck geführten Ministerien eine "Anti-China-Politik" vor.
Zuvor hatte schon der koalitionsinterne Streit um den Einstieg des chinesischen Staatskonzerns Cosco im Hamburger Hafen für Aufsehen gesorgt; oder auch der eher unübliche Entschluss von Seiten der Außenministerin, die erste und umstrittene China-Reise von Scholz mit Ratschlägen zu begleiten.
"De-Risking" statt "De-Coupling"
"Wir unterstützen es, wenn deutsche und europäische Unternehmen ihre Lieferketten breiter absichern und ihre Rohstoffversorgung diversifizieren", kündigte der Kanzler auf seiner Reise im November an. Das immerhin ist eine Position, die innerhalb der Ampel unstrittig ist: Ein "De-Coupling", ein Kappen der Wirtschaftsbeziehungen zum Giganten China, wird es sicher nicht geben.
Wohl aber ein "De-Risking", also den Versuch, sich weniger abhängig von dem autoritär geführten Staat bei kritischer Infrastruktur zu machen. Schließlich gelte es, betont Baerbock immer wieder, bei China nicht denselben Fehler zu begehen wie jahrelang mit Russland.
Doch, dass man innerhalb der Ampel zu sehr unterschiedlichen Bewertungen kommt, wie das in der Praxis ausgestaltet werden soll, ist schwer zu übersehen. Sehen die einen China immer mehr als "systemischen Rivalen", gerät den anderen zu sehr in Vergessenheit, dass Peking durchaus ja noch "Partner" sei. Es ist also höchste Zeit für die längst angekündigte "China-Strategie" - die aber noch ein paar Wochen auf sich warten lassen wird.