Koalition in Bayern steht Warum die CSU hart verhandeln musste
Den Wahlabend erlebten die Freien Wähler im Höhenflug, die CSU wirkte angeschlagen. Der Koalitionsvertrag zeigt nun: Die CSU hat hart verhandelt. Die Freien Wähler könnten ihr aber bald noch gefährlich werden.
So viel Harmonie war lange nicht zwischen CSU-Ministerpräsident Markus Söder und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger: mehrfaches Händeschütteln, ein freundschaftlicher Klaps auf die Schulter, dazu viel gegenseitiger Dank. Die Unterschrift des Koalitionsvertrags am Donnerstagnachmittag war seit Wochen der erste gemeinsame Auftritt der beiden wichtigsten bayerischen Politiker.
Die Landtagswahl im Freistaat ist noch keine drei Wochen her, und kurz nach dem Wahlabend waren die Umgangsformen noch ganz andere: Wechselseitig warfen sich die Parteichefs "mädchenhaftes" (Aiwanger) und "pubertäres" (Söder) Verhalten vor. Grund für die angespannte Stimmung war eine mögliche Machtverschiebung im Freistaat. Die CSU verlor bei der Wahl leicht und landete bei 37,0 Prozent, die Freien Wähler legten über vier Prozentpunkte zu und erreichten 15,8 Prozent.
Freie Wähler bekommen weiteres Ministerium
Beide Parteien wollten von vornherein zusammen weiterregieren. Allerdings beanspruchte der kleinere Koalitionspartner aufgrund des Ergebnisses mehr Macht für sich - ein viertes Staatsministerium sollte her. Dieses Ziel haben die Freien Wähler in den Verhandlungen erreicht: Sie leiten künftig das Digitalministerium in Person des 34-jährigen Fabian Mehring. Auf den ersten Blick ein Punktsieg für Aiwanger. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass die CSU sich für dieses Zugeständnis einiges ausbedungen hat.
Zum einen ist das Digitalministerium das mit Abstand kleinste eigenständige Ressort - gerade einmal 0,16 Prozent des Gesamthaushalts sind dafür in diesem Jahr vorgesehen. Nun verliert das Ministerium sogar weitere Befugnisse: Der schmucke Bereich Film wandert in der kommenden Legislatur zur Staatskanzlei. Zitat Söder: "Die großen Dramen und die Filme - das macht dann doch die Staatskanzlei."
Zum anderen bekommen die Freien Wähler trotz des zusätzlichen Ministeriums doch nicht mehr Plätze am Kabinettstisch. Sie müssen im Gegenzug nämlich ihren bisherigen Staatssekretärsposten im Kultusministerium an die CSU abgeben. Und das, obwohl es in der Bildung jede Menge zu tun gibt: Lehrermangel, Ganztagsbetreuung, Integration. "Das ist natürlich schwierig, die Präsenz zu haben, die wir vorher hatten", räumte die neue FW-Kultusministerin Anna Stolz ein.
CSU erweist sich als harter Verhandlungspartner
Auch die weiteren Ressortverschiebungen zeigen, dass die CSU offenbar hart verhandelt hat. Zwar darf sich Aiwanger im Wirtschaftsministerium künftig auch um die bayerischen Staatsforsten und sein Herzensthema Jagd kümmern - er ist selbst passionierter Jäger und Waldbesitzer. Dafür muss er allerdings die milliardenschweren Branchen Tourismus und Gastronomie ans CSU-geführte Landwirtschaftsministerium abgeben.
Alles in allem ein hoher Preis für ein Digitalressort, dem es neben Geld vor allem an Durchsetzungskompetenz mangelt.
Dass die CSU den Freien Wählern nicht ohne Weiteres mehr Scheinwerferlicht gönnt, hat einen Grund: Beide Parteien buhlen um eine ähnliche Wählerklientel. Sollten Aiwanger und Co. der CSU bei der Bundestagswahl 2025 Stimmen abluchsen, könnten die Christsozialen bundesweit unter die Fünf-Prozent-Hürde rutschen. Trotz vieler Direktmandate würde die CSU dann aus dem Bundestag fliegen - vorausgesetzt, die im März beschlossene Wahlrechtsreform der Ampel hält vor dem Bundesverfassungsgericht stand.
Erst einmal soll aber die Regierungsarbeit in Bayern im Vordergrund stehen. Wer sich im Vertragswerk inhaltlich mehr durchsetzen konnte, liegt im Auge des Betrachters - unüberwindbare Differenzen gab es zwischen den Koalitionären ohnehin nicht.
Es fällt jedoch auf, was nicht im Koalitionsvertrag steht. Beispielsweise ein definitives "Nein" zu einer dritten Startbahn am Münchner Flughafen, wie es sich die Freien Wähler gewünscht hatten. Stattdessen ist von "unterschiedlichen Auffassungen" die Rede, das Moratorium geht also in die Verlängerung. Auch das FW-Anliegen, das Wahlalter bei Kommunalwahlen auf 16 Jahre zu senken, findet sich nicht im Vertrag.
Vertrag greift viele Ankündigungen von Söder auf
Erreicht haben die Freien Wähler dagegen ein bayerisches Gehörlosengeld und den Führerschein ab 16 in "besonderen Ausnahmefällen". Gleich eine ganze Reihe der neuen Punkte im Koalitionsvertrag gehen aber auf Ankündigungen Söders aus den vergangenen Monaten zurück - von den verpflichtenden Sprachtests für Kita-Kinder bis hin zur staatlichen Windenergiegesellschaft "Bayern Wind". Sogar Söders Forderung an den Bund nach einer "Integrationsgrenze" für Migranten steht im Papier - genau beziffert wurde diese jedoch nicht.
Überraschend ist das Vorhaben, eine "Verfassungsviertelstunde" in Schulen einzuführen. Demnach sollen sich Bayerns Schüler 15 Minuten pro Woche mit dem Grundgesetz oder der bayerischen Verfassung beschäftigen. Die Details (in welchem Fach, ab welcher Jahrgangsstufe und in welchen Schularten) soll nun Kultusministerin Stolz erarbeiten.
Präambel zu "Prinzipien unserer Demokratie"
Und dann ist da noch die Präambel des Vertrags. Nach Aiwangers Erding-Rede ("Demokratie zurückholen") und der Flugblatt-Affäre hatte die CSU auf einem gemeinsamen Bekenntnis bestanden. Wörtlich heißt es, man trete "jeglicher Form von Antisemitismus, Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus entschlossen entgegen". Und weiter: "Im Bewusstsein unserer Geschichte und aus innerster Überzeugung bekennen wir uns zu unserer historischen Verantwortung und den Prinzipien unserer Demokratie." Dass zwei Koalitionäre diese Grundsätze verhandeln und schriftlich festhalten müssen, ist zumindest bemerkenswert.
Aiwanger versicherte jedenfalls, die Präambel sei in "beiderseitigem Einvernehmen" entstanden: "Es ist dort niemand vorgeführt oder zwischen den Zeilen irgendwo betroffen." Zwar erklärte er den Streit mit Söder für beendet - fügt dann aber hinzu: "Man weiß nie, was die Zukunft bringt. Aber wir geben uns beide Mühe."
Am kommenden Montag tritt der bayerische Landtag zur konstituierenden Sitzung zusammen, einen Tag später soll Söder als Ministerpräsident wiedergewählt werden. Die Besetzung der CSU-Ministerien will Söder erst anlässlich der Vereidigung des Kabinetts am 8. November bekanntgeben.