Netzausbau kommt nicht voran Verzögerung bei der Energiewende kostet Milliarden
Im Süden wird zu wenig Ökostrom produziert, im Norden zu viel. Doch wegen des schleppenden Netzausbaus fehlen Leitungen für den Transport von überschüssigem Strom. Die Folge: Milliardenkosten - die sich auch auf die Strompreise auswirken.
Die deutsche Energiebranche rechnet für die nächsten Jahre mit weiteren Milliardenkosten für die Stabilisierung des deutschen Stromnetzes. Zu den Hauptursachen zählt die Verzögerung des Netzausbaus und der gemessen am hohen Bedarf unzureichende Ausbau der erneuerbaren Energien im Süden.
Diese Faktoren machen nach Einschätzung von Verbänden, Unternehmen und Ökonomen auch in den nächsten Jahren ein aufwendiges "Netzengpassmanagement" notwendig.
Zu viel Ökostrom im Norden, zu wenig im Süden
Doch was bedeutet "Engpassmanagement"? Im Norden wird mehr Ökostrom produziert als verbraucht wird, im Süden ist es umgekehrt. Deswegen muss mehr Strom von Nord nach Süd transportiert werden. Weil der Bau der Hochspannungstrassen "SuedLink" und "SuedOstLink" sich um Jahre verzögert, reicht die Leitungskapazität häufig nicht.
Dann werden Ökostromanlagen - darunter viele Windräder im Norden - "abgeregelt", also vorübergehend abgeschaltet, damit das Netz nicht verstopft. Im Süden müssen dagegen konventionelle Kraftwerke hochfahren, die viel teureren Strom produzieren. "Es ist nicht immer möglich, den Strom von den Erzeugungsanlagen zu den Verbrauchern zu transportieren", erklärte ein Sprecher der Bundesnetzagentur. In den Kosten des Engpassmanagements enthalten ist die Vergütung für ungenutzten Ökostrom, der quasi für die Mülltonne erzeugt wird.
Kosten in Milliardenhöhe
Im Jahr 2022 zahlten die vier Übertragungsnetzbetreiber allein hierfür 900 Millionen Euro, 2021 waren es laut Bundesnetzagentur 800 Millionen. 2022 wurden nach Angaben eines Sprechers der Behörde knapp drei Prozent des Ökostroms abgeregelt - im Vergleich zur gesamten Stromerzeugung seien die Eingriffe aber gering. Doch summiert sich dies über die Jahre auf eine Milliardensumme.
Zahlen zu den Gesamtkosten des Engpassmanagements für das ganze Jahr 2023 gibt es noch nicht. Im ersten Halbjahr 2023 waren es laut Bundesnetzagentur mehr als 1,6 Milliarden Euro. Im Gesamtjahr 2022 waren es 4,2 Milliarden, in Teilen bedingt durch den Anstieg der Gaspreise. Der Netzbetreiber Tennet geht davon aus, dass es an die zehn Jahre dauern könnte, die Kosten der Netzeingriffe wieder auf ein Minimum zu senken.
Maßnahmen wirken sich auf Strompreise aus
Die Eingriffe in die Erzeugungsleistung von Kraftwerken nennt man "Redispatch"-Maßnahmen. Ob diese künftig noch weiter ansteigen könnten, ist nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) schwer vorauszusagen. "Kurzfristig ist noch nicht mit einer Entlastung der 'Redispatch'-Kosten zu rechnen", prophezeite Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung.
Die steigenden Netzentgelte infolge des großen "Redispatch"-Aufwandes wirken sich aber auf die Strompreise aus, warnen Experten. Die Engpasskosten fließen in die bundesweit einheitlichen Übertragungsnetzentgelte ein, auch der Börsenstrompreis ist ein bundesweiter. Die Netzentgelte insgesamt werden in diesem Jahr nach Berechnungen der Portale Verivox und Check24 um etwa ein Viertel teurer, für eine vierköpfige Familie etwa 100 Euro im Jahr.
"Den tatsächlichen Kosten entsprechende Marktpreise wären im Norden niedriger und im Süden höher, in Bayern und Baden-Württemberg sehr hoch", sagte Ökonom Mathias Mier vom Münchner ifo-Institut. "Der 'Redispatch' ist in dem Sinne ein umgekehrter Länderfinanzausgleich, von dem die Unternehmen in Süddeutschland sehr stark profitieren." Bei der Stromversorgung wird also ganz Deutschland an den höheren Kosten im Süden beteiligt, inklusive der politisch verursachten. "Das zahlen vor allem die Privathaushalte", so Mier.
Forderung nach Aufteilung in mehrere Strompreiszonen
Nach ursprünglicher Planung hätten die zwei großen Gleichstromtrassen (HGÜ) schon 2022 fertig gestellt werden sollen. Der frühere bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) beharrte auf der Verlegung als Erdkabel, was die Fertigstellung bis 2027/28 verzögern wird. Ein prominenter Trassengegner war Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger, der mittlerweile sogar eine dritte Leitung fordert. Die Verlegung von Erdkabeln dauert nicht nur Jahre länger, sondern ist auch etwa doppelt so teuer wie der Freileitungsbau.
Der BDEW fordert eine Beschleunigung des Netzaus- und -umbaus, insbesondere die großen Stromtrassen müssten schnell fertiggestellt werden. Doch das werde das Problem nicht lösen, meint Energieexperte Mier. Es gäbe eigentlich nur eine langfristige Lösung: "die Aufteilung Deutschlands in zwei oder mehr Strompreiszonen." Norddeutschland hätte dann einen Wettbewerbsvorteil bezüglich der Strompreise. Politik und Wirtschaft im Süden lehnen eine Aufteilung in zwei Zonen naturgemäß ab.