Pläne für Krankenhausreform Das Ende der Fallpauschalen?
Pro Patient und Diagnose erhalten Kliniken - abhängig von Krankheitsart, Schwere der Erkrankung und der erbrachten Leistung - eine bestimmte Vergütung. Dieses System der Fallpauschalen setzt Kliniken unter hohen wirtschaftlichen Druck. Wie kann eine Reform aussehen?
Ein Kind bricht sich im Schulsport den Arm, ein älterer Patient muss wegen akuter Atemnot in ärztliche Behandlung. Es sind solche Notfälle, die Menschen ins Krankenhaus Wegscheid bringen. Die Klinik befindet sich in einer ländlichen Region in Niederbayern nahe der österreichischen Grenze. Eine wichtige Anlaufstelle, die sie hier nicht missen möchten. Pro Jahr würden etwa 2800 Notfälle in der Klinik versorgt, sagt Geschäftsführer Josef Mader. Stationär seien es etwa 3000 Patienten. Doch seit Jahren schreibt das Krankenhaus rote Zahlen. Der Landkreis sei zwar bereit, die Klinik finanziell zu unterstützen. Auf Dauer könne das aber so nicht weitergehen, sagt Mader. Auch, weil neue Vorgaben die angespannte finanzielle Situation im kommenden Jahr noch verschärfen würden.
Die Anwohner befürchten schon das Aus für das Allgemeinkrankenhaus mit stationärer Notfallversorgung. Seit Längerem machen sie mobil für den Erhalt der Klinik. "SOS - Wir brauchen das Krankenhaus Wegscheid", stand auf ihren Plakaten, als sie im November für eine Kundgebung vor das Landratsamt in Passau zogen.
Bundesgesundheitsminister Lauterbach stellt am Vormittag die Pläne für eine Reform der Krankenhausversorgung vor. Die Reformvorschläge wurden von einer im Mai eingesetzten Regierungskommission erarbeitet. Ziel ist das Ende des Finanzierungssystems über sogenannte Fallpauschalen. Die Höhe der Krankenhausvergütung hängt anders als bei der ambulanten ärztlichen Behandlung nicht davon ab, welche Leistungen im Einzelnen erbracht wurden. Sie richtet sich nach den behandelten Diagnosen. Dafür gibt es einen Katalog diagnosebezogener Fallpauschalen. Lauterbach sieht darin mehr Nachteile als Vorteile. Bereiche, in denen sich kein Profit erzielen lasse, würden benachteiligt.
Ihre Sorgen kann Dr. Willibald Prügl gut verstehen. Sie hätten ein Anrecht auf eine adäquate und schnelle Behandlung im Notfall, sagt der ärztliche Leiter des Krankenhauses. In der Region gebe es nur zwei Rettungswagen. Wenn alle beide das Krankenhaus Wegscheid nicht mehr anfahren könnten und stattdessen bis zum Klinikum nach Passau fahren müssten, könnte das zu Engpässen in der Versorgung führen, befürchtet der Arzt.
Seit 2004 gibt es Fallpauschalen
Es sind solche Beispiele, die die Defizite des aktuellen Abrechnungssystems für Krankenhäuser deutlich machen. Seit 2004 rechnen die Kliniken auf Basis sogenannter diagnosebezogener Fallpauschalen ab. Ziel der Politik war es, die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser zu erhöhen. Aber kleine Kliniken im ländlichen Raum, die Grund- und Notfallversorgung anbieten, haben es schwer, genügend Fälle zu behandeln, um wirtschaftlich tragfähig zu sein. Auch größere Häuser im städtischen Raum haben mit dem System zu kämpfen.
Der ökonomische Druck ist hoch. Wo man sich umhört in der Branche, herrscht Unzufriedenheit. Gerald Gaß von der Deutschen Krankenhausgesellschaft fordert eine Reform des Fallpauschalensystems. "Denn die Vorhaltekosten werden unzureichend abgebildet." Das habe sich nicht zuletzt in der Pandemie sehr deutlich gezeigt. Ohne eine adäquate Vorhaltefinanzierung sei eine flächendeckende Versorgung gerade in Krisenzeiten nicht möglich. Der reine Leistungsbezug des Systems komme hier an seine Grenzen, sagt Gaß.
Vorhaltekosten berücksichtigen
Auch die Politik hat das längst erkannt, sich aber jahrelang nicht getraut, das Problem anzugehen. Mit den Vorschlägen der Regierungskommission könnte sich das nun ändern. Professor Christian Karagiannidis, Mitglied der Regierungskommission, spricht sich dafür aus, die Vorhaltekosten bei der Krankenhausfinanzierung weitgehender zu berücksichtigen. Also die Kosten, die durch die Vorhaltung etwa von Personal und medizinischen Geräten entstehen. "Diese Vorhaltepauschale würde ich so ähnlich sehen wie zum Beispiel bei der Feuerwehr", sagt Intensivmediziner Karagiannidis. Einfach für die Bevölkerung rund um die Uhr da zu sein - dazu sei eine solche höhere Pauschale enorm wichtig, um den ökonomischen Druck in den Kliniken zu reduzieren.
Höheres Grundbudget?
Eine komplette Abschaffung der Fallpauschalen haben die Experten aber wohl nicht im Sinn. Die Leistungssäule solle abgeschwächt werden, sagt Professor Boris Augurzky, ebenfalls Mitglied der Regierungskommission. Für ein Krankenhaus mit Versorgungsauftrag für Kinder würde das beispielsweise bedeuten: Das Grundbudget für die Pädiatrie würde erhöht, unabhängig davon, wie viele Behandlungen durchgeführt werden. Die Finanzierung über Fallpauschalen bliebe so zwar erhalten. Der ökonomische Druck würde aber verringert. Auch kleinere Krankenhäuser im ländlichen Raum könnten profitieren, sagt Augurzky. Wenn sie einen Versorgungsauftrag haben, solle das Vorhaltebudget erhöht werden.
Die "größte Reform seit 20 Jahren"?
Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der die Fallpauschalen einst mit eingeführt hatte, verspricht die "größte Reform seit 20 Jahren", die "Überwindung des Fallpauschalensystems" und das "Ende der Ökonomisierung in den Kliniken".
Ganz so weit gehen die Vorschläge der Experten wohl nicht. Und das Risiko, dass nach Lauterbachs weitreichenden Ankündigungen Erwartungen enttäuscht werden, ist groß.
In Wegscheid sind sie längst dabei, selbst nach Lösungen zu suchen. Die Strukturen des Krankenhauses sollen überarbeitet werden. Im Gespräch ist, die ambulante Versorgung auszubauen, zum Beispiel durch das Angebot eines ambulanten OP-Zentrums. Sie hoffen so, den Fortbestand der Klinik und die Notfallversorgung vor Ort langfristig sichern zu können. Von der Politik in Berlin erwarten sie aber Unterstützung, damit die medizinische Versorgung auch abseits der Städte gewährleistet werden kann.