Forscher zu Ukraine-Krieg "Wir begrüßen die Waffenlieferungen"
Die führenden deutschen Friedensforschungsinstitute halten Waffenlieferungen an die Ukraine und die Sanktionen gegen Russland für richtig. Gleichzeitig warnen sie vor einer möglichen nuklearen Eskalation.
Es ist eine der am hitzigsten geführten Debatten überhaupt: Soll Deutschland es der Ukraine durch die Lieferung von Waffen ermöglichen, sich gegen den russischen Angriff zu verteidigen? Mit einem klaren "Ja" beantworten die wichtigsten Friedensforschungsinstitute diese Frage, schieben jedoch noch ein "aber" hinterher.
"Wir begrüßen die Waffenlieferungen", erklärte Professor Tobias Debiel von der Universität Duisburg Essen. Denn: Neben den verhängten Sanktionen würden Waffen für die Ukraine den Druck auf Russlands Präsident Wladimir Putin erhöhen, sich schließlich an den Verhandlungstisch zu setzen und die Ukraine in eine Verhandlungsposition der Stärke zu versetzen. "Einer der Wege dorthin sind Waffenlieferungen. Wir sagen das nicht leichtfertig als Friedensforschungseinrichtungen, dass Waffenlieferungen hier unabwendbar sind", pflichtet Professor Ursula Schröder von der Universität Hamburg bei.
Gleichzeitig aber mahnt die Wissenschaft zur Umsicht, gelte es doch, eine nukleare Eskalation zu verhindern. "Und das ist ein Auf-Sicht-Fahren", betonte Politikwissenschaftler Debiel. Schritt für Schritt gelte es zu prüfen, welche Wirkung die Lieferung bestimmter Waffensysteme hätte.
Forscher halten Doppelstrategie für richtig
Grundsätzlich bescheinigen die Forscherinnen und Forscher der Bundesregierung, hier auf einem relativ guten Weg zu sein. Die Doppelstrategie aus dem Entsenden von Waffen und parallel dazu dem Signalisieren von Dialogbereitschaft sei die richtige. An der Kommunikation jedoch hapere es, befand Professor Christopher Daase von der Goethe-Universität in Frankfurt.
Auf die beständig geäußerte Kritik, mit den Waffenlieferungen nicht offen genug umzugehen und zu viel Geheimniskrämerei zu betreiben, hat sie nun reagiert: Indem sie eine umfangreiche Liste bereits gelieferter - "letaler und nicht-letaler" - Waffen und einer in Liste mit in Vorbereitung befindlichem Gerät veröffentlichte.
"Friedensfähig in Kriegszeiten", so ist das mehr als 150 Seiten starke Gutachten betitelt, in dem die Forscherinnen und Forscher auch dafür werben, Moskau klar zu vermitteln, unter welchen Umständen die verhängten - und aus Wissenschaftssicht durchaus richtigen - Sanktionen eines Tages wieder zurückgenommen werden könnten. "Eine Voraussetzung dafür wäre zweifelsohne ein Waffenstillstand - der muss sich seinen Namen aber erst noch verdienen", betonte Tobias Debiel.
Kein Kalter Krieg 2.0
Doch die Forschung versucht, den Blick nicht auf der Gegenwart verharren zu lassen, sondern ihn auch in die Zukunft schweifen zu lassen: So müsse, lautet eine Forderung, die Europäische Union handlungsfähiger werden in Sachen Sicherheitspolitik. Etwa indem sie durch die Einführung von Mehrheitsentscheidungen ihre Verfahren beschleunigt. Und: Es gelte, bereits jetzt Strategien für eine neue europäische Friedensordnung zu entwickeln. Bei der man allerdings, dämpft Christopher Daase die Erwartungen, im Umgang mit Russland zurück am Anfang, auf "Square One", stehe: "Was in den nächsten Jahren im Vordergrund stehen wird, ist Wehrhaftigkeit, ist Abschreckung. Mit der Zeit vielleicht etwas wie friedliche Koexistenz. Und dann - vielleicht - der langsame Wiederaufbau kooperativer Strukturen."
Womit die Wissenschaft sämtliche Ideen, in Zukunft könne eine Sicherheitsarchitektur gemeinsam mit Russland möglich sein, ins Reich der Illusionen befördert. Es handle sich nicht um einen Kalten Krieg 2.0, so die Botschaft. Die Krise, vor der man heute stehe, sei sehr viel größer, sehr viel komplizierter und sehr viel schwerer zu lösen.