"Trauzeugen-Affäre" Warum Habeck weiter unter Druck steht
Aktuelle Stunde im Bundestag, Befragung im Ausschuss: In der Graichen-Affäre wächst der Druck auf Minister Habeck - aber er hält am Staatssekretär fest. Wie lange? Die Affäre ist nicht ausgestanden.
Rund sechs Minuten bevor die entscheidende Ausschusssitzung beginnt, treten sie bereits mit ernstem Gesicht und festem Schritt gemeinsam an: der Wirtschaftsminister und sein angezählter Staatssekretär, Patrick Graichen - begleitet von zwei weiteren Staatssekretären.
Die Symbolik ist beabsichtigt. Sie soll zeigen: Minister Robert Habeck steht fest an Graichens Seite.
Es wäre aus Habecks Sicht auch unlogisch gewesen, genau an diesem Tag auf neue Distanz zu seinem Staatssekretär zu gehen. Denn dieser Mittwoch ist vor allem für die Oppositionsparteien der Großkampftag im Bundestag zur "Trauzeugen-Affäre": zunächst mit einer etwa zweistündigen Befragung der beiden hinter verschlossener Tür des Wirtschaftsausschusses, der sich zu diesem Zweck mit dem Ausschuss für Klimaschutz und Energie zusammengetan hat.
Und gleich im Anschluss in einer Aktuellen Stunde im Plenum des Bundestags, in der die Opposition nochmals ganz öffentlich über das "Vertrauen in Klimaschutz-Personalpolitik unter Bundesminister Habeck" diskutierten möchte.
Nicht nur die Opposition will Aufklärung
Habeck will an Fachmann Graichen festhalten, der intern als Arbeitstier gilt, unter anderem das Gebäudeenergiegesetz mit entworfen hatte. Die Entscheidung soll er nach reiflichem Überlegen getroffen haben, als der Glaubwürdigkeitsverlust auf dem Tisch lag - Graichen hatte weder Habeck noch der hausinternen Compliance-Stelle rechtzeitig offengelegt, dass er als Mitglied der Findungskommission ausgerechnet seinen eigenen Trauzeugen als einzigen Kandidaten für den Chefposten der zum Bund gehörenden Deutschen Energie-Agentur (dena) vorgeschlagen hatte. Er hätte sich vielmehr deswegen aus der Kommission zurückziehen sollen - ein Fehler, den er einräumt. Ein klarer Verstoß gegen Compliance-Regeln, betonte Habeck im Ausschuss wie danach vor den Kameras.
Ob Graichen tatsächlich im Amt bleiben wird, ist nach dem Treueschwur des Ministers dennoch weiter offen. Denn nicht nur Opposition, sondern auch die Koalitionspartner SPD und FDP - inklusive Kanzler - erwarten weiter Aufklärung. Wie konnte so etwas passieren, ohne dass es eine Kontrollinstanz gab, der das auffallen musste?
Das müsse aufgeklärt werden, sagt auch die Geschäftsführerin von Transparency International, Anna-Maija Mertens im ARD-Morgenmagazin: "Für uns ist es nicht verständlich, dass Herr Graichen in diesem Bewerbungsverfahren beteiligt sein konnte."
Gerangel in der Ampel
Das Ampel-interne Gerangel wird auch in der Frage deutlich, ob der Ausschuss öffentlich oder nicht öffentlich tagen soll. Nach Darstellung von SPD und FDP war verabredet, dass er nicht öffentlich tagt - die FDP erhoffte sich dadurch mehr Erkenntnisse. Auch das spricht schon Bände über die Ampel-interne Kommunikation in der Sache.
Die Grünen, inzwischen auf maximalem Transparenzkurs, warben für Öffentlichkeit. Habeck sogar in der Sitzung selbst nochmals - ohne Erfolg.
Gerade FDP-Abgeordnete mahnten am Rande der Ausschusssitzung wie im Parlament spürbar deutlich an, hier gehe es darum, Schaden von der Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt abzuwenden: "Keiner kann Interesse daran haben, dass Vertrauen in unsere Politik beschädigt wurde", sagt der FDP-Abgeordnete Olaf in der Beek im Bundestag.
Ist Graichen noch zu halten?
Ob hierfür reine Aufklärung reichen wird, bleibt als eine der offenen Fragen an diesem Tag übrig. Ist Graichen politisch zu halten oder doch dauerhaft geschwächt durch seine Fehleinschätzung, durch mangelndes Gespür an einer sensiblen Stelle?
Für die Grünen bedeutet das eigentlich den Super-Gau: Die Schlüsselfigur in der Umsetzung des zentralen Ampelprojekts der Wärmewende im grünen Schlüsselministerium Wirtschaft und Klimaschutz dauerhaft geschwächt? Und damit könnte auch der Minister zunehmend angreifbar werden.
Denn die Oppositionsparteien nutzen den Vorfall nicht nur, um Habeck "Vetternwirtschaft", sondern im Zusammenhang mit den beim Öko-Institut arbeitenden Graichen-Geschwistern dem Ministerium ein weit über das eigene Haus interagierendes grünes "In Group"-Netzwerk vorzuwerfen.
"Kampagne gegen Klimaschutz"?
Es fragt sich natürlich, ob diese Kritik überhaupt wegfiele, wenn Habeck sich von Graichen trennte. Noch steht er zu Graichen, sieht ihm den Compliance-Fehler politisch nach.
Allerdings kündigt er eine beamtenrechtliche Prüfung des Falles an. Daran hängt dann auch möglicherweise ein Disziplinarverfahren wegen des Anscheins einer möglichen Befangenheit, das Verwaltungsverfahrensgesetz kennt einen solchen Paragraphen.
In der aktuellen Stunde stellt sich der grüne Fraktionsvize Andreas Audretsch kämpferisch hinter Habeck und sieht in den Angriffen der Opposition vor allem "Kampagnen gegen Klimaschutz". Doch die Zeit fossiler CDU-Lobbyisten in Staatsämtern sei abgelaufen, wettert er kämpferisch - und man könne froh über Habeck in diesem Amt sein: Dieser habe "das Land gut durch den Winter gebracht".
Die Grünen im Plenum klatschen, in den Reihen der FDP und SPD heben sich in diesem Moment kaum Hände. Echte Loyalität sieht anders aus.