Grüne wählen Habeck Als Spitzenkandidat trotz allem ohne Alternative
Die Grünen ziehen mit Robert Habeck in den Wahlkampf - trotz Kritik und schlechten Umfragewerten. Er zeigt sich beim Parteitag demütig und spricht über seine Fehler und Schwächen. Reicht das fürs Kanzleramt?
Robert Habecks große Rede startet etwas unangenehm. Zumindest empfindet er das selbst so. Der 55-Jährige steht auf der großen Bühne im Kongresszentrum von Wiesbaden. Hunderte Grünen-Mitglieder beim Parteitag warten nun auf seine Bewerbungsrede. Aber der Anführer von "Team Robert" druckst am Anfang noch etwas herum.
Es falle ihm schwer, die ganzen Lobeshymnen anzunehmen, sagt Habeck voller Demut. Kurz zuvor hatte Annalena Baerbock nochmal richtig Stimmung gemacht für den "Kanzlerkandidaten". Doch nun macht sie bereitwillig Platz für Habeck und überlässt ihm den großen Auftritt.
"... nicht aus persönlicher Eitelkeit"
Habeck spricht frei, ohne Manuskript und Rednerpult. Die rechte Hand gestikuliert wild, die linke bleibt auch mal locker in der Hosentasche. "Der Anspruch auf Führung erwächst nicht aus persönlicher Eitelkeit", sagt Habeck.
Die Kanzlerkandidatur sei für ihn keine einfache Entscheidung gewesen. "Die Frage, ob ich noch der Richtige bin, war keine theoretische." Denn die letzten drei Jahre in der Ampel hätten ja auch etwas mit ihm gemacht. Trotzdem wolle er seiner Partei und auch den Menschen in Deutschland nun ein Angebot machen.
Parteiinterne Kritik und miese Umfragewerte
Habeck weiß, dass nicht alle in seiner Partei ihn bejubeln. Vor allem der linke Flügel und die Grüne Jugend hadern mit ihrem Kanzlerkandidaten. "Also mit einem 'Kanzler Era'-Bändchen werde ich sicher nicht rumlaufen", sagt eine junge Grüne aus Berlin und spielt damit auf ein Armband an, das Habeck selbst jüngst in einem Video getragen hatte.
Bei vielen ist die Enttäuschung groß, dass Habeck in der Ampel immer wieder schmerzhafte Kompromisse mitgetragen hat: Asylrechtsverschärfungen, neue Gaskraftwerke, das Aus der Kindergrundsicherung. Auch beim Klimaschutz hatten sich viele mehr erhofft von einem grünen Vizekanzler.
Hinzu kommt, dass Habecks Image in der Bevölkerung ausbaufähig ist. Spätestens seit dem Debakel um das "Heizungsgesetz" sind seine Beliebtheitswerte im Keller. Laut DeutschlandTrend sind nur noch 20 Prozent der Befragten mit Habeck zufrieden - weniger als bei Boris Pistorius (55 Prozent), Friedrich Merz (30 Prozent) oder Sarah Wagenknecht (24 Prozent).
"Wen hätten wir denn sonst nehmen sollen?"
Habeck kennt seine Schwächen. Immer wieder sprechen ihn Journalisten und Parteifreunde auf die maue Wirtschaft an, oder das vermurkste "Heizungsgesetz". "Das Gebäudeenergiegesetz schwebt wie ein Damoklesschwert über dem ganzen Wahlkampf" räumt Habeck ein. Und auch seine Rolle als Wirtschaftsminister, unter dem die Wirtschaft nicht mehr läuft, thematisiert er offen in seiner Rede. Klar, es waren "ganz schwierige Jahre" für die Wirtschaft und die Menschen.
Warum also nochmal antreten? Warum gerade Habeck? "Naja, wen hätten wir denn sonst nehmen sollen?", sagt eine Delegierte aus der Parteispitze. Die Kandidatur Habecks ist für viele Delegierte alternativlos. Gegenkandidaten gibt es seit dem Verzicht Baerbocks ohnehin nicht.
Habeck will sich "bewegen"
Habeck erklärt seine Kandidatur vor allem mit den Worten "Verantwortung" und "Angebot". Ausschlaggebend sei aber ein Erlebnis mit einem seiner Söhne gewesen. Im Schwimmbad habe Habeck ihm mal gesagt: "Wenn du dich nicht bewegst, gehst du unter." Und es gebe jetzt ja viel, wofür er sich bewegen will. Soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz, Energiesicherheit, Frieden und Vernunft - mit diesen Themen will Habeck die Grünen in den Wahlkampf führen.
Die Grünen werden ihm dabei folgen. Trotz aller Kritik stimmen am Ende 96,48 Prozent für Habeck. Für wen auch sonst?