Lindner über Bundeshaushalt "Die Notlage nicht zur Normalität erklären"
Der Staat habe genug Geld, müsse es aber besser ausgeben, sagt Finanzminister Lindner im ARD-Interview. Er will bei Sozialleistungen und Klimapolitik streichen - an der Ampel aber festhalten.
Seit Wochen sind alle Augen auf Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner gerichtet. Sie ringen in Marathonverhandlungen um den Haushalt 2024. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Finanzierungsgrundlage vieler Vorhaben der Ampelkoalition gekippt hat, geht es darum, vor dem Jahreswechsel doch noch einen Haushalt aufzustellen.
Im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio sagt Finanzminister Lindner, die Verhandlungen mit Scholz und Habeck liefen "konstruktiv". Es werde sehr zeitnah Vorschläge geben.
Aus Lindners Sicht gibt es keine Haushaltskrise. Der Staat könne alle Verpflichtungen erfüllen und finanzieren. Der FDP-Chef zeigt sich zuversichtlich: Es sei möglich, den Haushalt 2024 in diesem Jahr zu verabschieden. Und selbst wenn nicht - vorläufige Haushaltsführung habe es schon oft gegeben. Etwa nach der vergangenen Bundestagswahl 2021. Damals dauerte es bis Mai des darauffolgenden Jahres, bis der Haushalt endgültig beschlossen wurde.
Rote Linie bei Steuererhöhungen
Lindner hatte die nötigen Einsparungen für 2024 mit 17 Milliarden Euro beziffert. Wo soll das Geld herkommen? Zu einzelnen Maßnahmen will sich Lindner mit Blick auf die laufenden Gespräche nicht äußern.
Rote Linien steckt er trotzdem ab: Steuererhöhungen, wie sie zuletzt aus Reihen der SPD gefordert wurden? "Müssen ausgeschlossen bleiben." Die Lasten seien bereits hoch genug, wenn die Zeichen im kommenden Jahr auf Rezession stünden. "Da wäre es töricht, die wirtschaftliche Entwicklung mit Steuererhöhungen zu belasten", so Lindner.
Klares Nein zur Änderung der Schuldenbremse
Auch von einer Änderung der Schuldenbremse, wie sie Grüne und sogar einige CDU-Ministerpräsidenten gefordert hatten, hält Lindner nichts. Das kurble die Inflation an und wäre nicht gerecht gegenüber der jungen Generation, die die neuen Schulden tragen müsste. Außerdem gebe es dafür keine Mehrheit im Bundestag, weil bisher auch die Unionsfraktion, deren Stimmen für eine Schuldenbremsenänderung nötig wären, dagegen ist.
Lindner stellt klar: In Notlagen, wenn etwa Familien um ihre Existenz fürchten müssten, habe der Staat gehandelt. Zum Beispiel durch die Strom- und Gaspreisbremsen. "Aber man kann die Notlage nicht zur Normalität erklären."
Trotzdem fällt das Nein des Bundesfinanzministers weniger deutlich aus, wenn es um die Frage geht, ob auch für 2024 eine Notlage beschlossen werden könnte. Sie würde der Bundesregierung finanzielle Spielräume geben, hat allerdings hohe Anforderungen, um nicht beim Verfassungsgericht durchzufallen. Lindner sagt mit Blick auf einen Notlagebeschluss fürs kommende Jahr: "Ich kenne noch keine Argumente, die mich überzeugen würden."
Einsparmöglichkeiten bei Sozialausgaben
Und dann geht Lindner in die Offensive gegen SPD und Grüne, obwohl er die nicht direkt adressiert: Der "Appetit" nach immer mehr Geld sei für ihn verstörend. "Wir haben genug Geld. Wir müssen mit dem Geld, das wir haben, nur besser umgehen."
Kritik übt Lindner an der geplanten Anhebung des Bürgergelds zum 1. Januar, die sechs Milliarden Euro koste. Es sei ursprünglich mit einer viel höheren Inflationsrate gerechnet worden, nun sei es eine Erhöhung "über die Maßen".
Zwar glaubt auch der Finanzminister nicht, dass das noch gestoppt werden kann. Aber bei den Sozialausgaben, die 45 Prozent des Bundeshaushaltes ausmachten, sieht Lindner Einsparpotenzial. Es müsse um Gerechtigkeit gehen: Für die, die auf die Leistung angewiesen seien, ebenso wie für die, die sie bezahlten und nicht solche Erhöhungen erhalten hätten.
Für die SPD, deren Arbeitsminister Hubertus Heil am Montag CDU und CSU dafür kritisiert hatte, Arbeitnehmer gegen bedürftige Menschen auszuspielen, dürften diese Aussagen vom Finanzminister ärgerlich sein.
Lindner kritisiert "planwirtschaftliche Klimapolitik"
Auch die Grünen dürften sich wenig über Lindners Ausführungen freuen. Über die derzeitige Klimapolitik sagt er im Interview: "Wir machen das sehr planwirtschaftlich. Die Politik gibt im Einzelnen für Branchen und Sektoren vor, was zu tun ist. Wir machen uns jetzt daran, das zu überwinden."
Ziel sei es, durch marktwirtschaftlichen Ideenwettbewerb und Unternehmergeist die Kosten für die Vermeidung von CO2 zu reduzieren. Beispiel: CO2-Speicherung im Boden. Für viele Grüne nach wie vor ein rotes Tuch. Adressat der Botschaft dürfte in erster Linie Wirtschafts- und Klimaminister Habeck sein.
Rettet der Zweck das Bündnis?
Lindner steht aber auch selbst unter Druck. Nicht nur beim Stopfen von Löchern im Haushalt, sondern auch mit Blick auf das Rumoren in der FDP. Eine Initiative an der Parteibasis setzt sich für eine Mitgliederbefragung mit dem Ziel ein, die Ampel zu verlassen.
Lindner gibt sich pragmatisch: Die FDP müsse in der Regierung Kompromisse machen. Dennoch fahre das Land mit der Ampel besser als mit einer neuerlichen Großen Koalition unter SPD-Führung oder einer rot-grünen Minderheitsregierung. "Ich glaube, dass wir an diesem Kurs festhalten sollten."
Es ist das Bekenntnis zu einem Zweckbündnis - nicht mehr. In der Hoffnung, dass das reicht, um die vielleicht größte Krise der Ampelkoalition zu überstehen.