Bundesregierung Zerbricht die Ampelkoalition am Haushalt?
Die Regierung reißt den Termin für den Haushaltsentwurf, die SPD setzt den Kanzler unter Druck, junge Liberale drohen mit einem Ampel-Bruch: Was für ein Ende der Ampel spricht - und was dagegen.
Finanzminister Christian Lindner greift in der vollen Halle von Wirtschaftsbossen beim Tag der Industrie in die rhetorische Trickkiste: Er sei Rheinländer, kenne den Karneval gut - da mache man sich beliebt, wenn man viele Kamellen werfe. Unbeliebt, oder auch "unpopulär", wenn man nicht so viele oder gar keine Kamellen werfen könne.
Unpopulär dürften viele Entscheidungen sein, die der FDP-Politiker gemeinsam mit Kanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck gerade vorbereitet. Für den Haushalt 2025 ist ein Milliardenloch zu stopfen.
Dafür kommen Lindner, Scholz und Habeck immer wieder in Dreierrunden zusammen, um Posten für Posten durchzugehen, um hier Millionenbeträge, da Milliardenbeträge einzusparen. Wobei Lindner lieber von Umschichtungen als von Sparen spricht.
Lindner gibt sich zuversichtlich - und erntet Gelächter
Beim Tag der Industrie gibt sich Lindner selbstbewusst, als die Frage kommt, ob die Ampel nun an den Haushaltsverhandlungen zerbrechen könnte. "Ich habe keine Anzeichen dafür, dass man sich Sorgen machen sollte hinsichtlich der Regierungsstabilität in unserem Land", sagt Lindner - wobei er für diese Antwort Gelächter im Saal erntet.
Tatsächlich steht die Frage im Raum, wie lange die Ampelkoalition wohl noch hält. Das bedeutet Unsicherheit. Und das ist Gift für die Wirtschaft, da sind sich viele Unternehmer einig.
Keine Ampel-Partei hätte etwas vom Bruch der Koalition
Schaut man sich die schlechten bis desaströsen Ergebnisse der Ampel-Partner bei der Europawahl an, wäre für die drei Parteien ein Bruch der Koalition mit nachfolgenden Neuwahlen keine gute Lösung. Denn damit würden sie eher noch mehr Vertrauen bei den Wählerinnen und Wählern verlieren, als womöglich noch als Gewinner herauszugehen.
"Unser verdammter Job als Regierung ist es, auch in schwierigen Zeiten Probleme miteinander zu lösen", wetterte die grüne Außenministerin Annalena Baerbock erst Mitte Juni im Bundestag. Die Coronakrise, der russische Angriffskrieg in der Ukraine, der Gaza-Konflikt - will man angesichts dieser Krisen nun an Haushaltsverhandlungen scheitern?
Eigentlich ist die Lage zu ernst, die Demokratiefeinde gerade auf dem Vormarsch, um nun mit einem großen Knall diese Koalition zu beenden, hört man aus der Koalition. Die Menschen befürchten, dass Kontrolle verloren geht.
Lindner muss liefern und einen Haushalt aufstellen
Die Demokratie müsse daher liefern, sagt FDP-Chef Linder beim Tag der Industrie. Er muss liefern und einen Haushalt aufstellen. Tut er das nicht, könnte das den Liberalen so schaden, dass sie bei möglichen Neuwahlen in keiner Regierung mehr mitspielen. Bei Umfragewerten um die fünf Prozent müssten sie womöglich um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen.
Die SPD würde noch mehr Vertrauen der Wählerinnen und Wähler verlieren, Probleme lösen zu können. Schon jetzt wird den Sozialdemokraten nach Umfragen nicht mehr viel in dem Bereich zugetraut. Auch die Grünen, die gerade öffentlich immer leiser im Haushaltsstreit werden, können nach den Ergebnissen bei der Europawahl kein Interesse haben, die Koalition zu sprengen.
Der Umgang mit der Schuldenbremse spaltet
Andererseits sieht es gerade so aus, dass in Sachen Haushalt zwei Züge aus gegensätzlicher Richtung ungebremst aufeinander zu rollen. Und das hängt vor allem mit dem Stichwort Schuldenbremse zusammen.
Um Finanzminister Lindner und die FDP ist es in diesem Punkt einsam geworden. Nicht nur SPD und Grüne, sondern auch viele Ökonomen und Wirtschaftsvertreter fordern inzwischen, mehr Schulden zu machen als derzeit vorgesehen.
Die einen plädieren für ein neues "Sondervermögen", um Milliarden in die Infrastruktur zu stecken. Die anderen fordern, die Politik solle im Zusammenhang mit den Ausgaben für die Ukraine eine neue Notlage feststellen, was laut Grundgesetz eine höhere Neuverschuldung zulassen würde. Anders sei das Milliardenloch im Haushalt nicht zu stopfen.
Djir-Sarai spricht von "Schuldenpopulismus"
So argumentiert insbesondere die SPD. Um die Forderung nach einer Ausnahme von der Schuldenregel zu unterstreichen, haben sich die verschiedenen Parteiflügel zusammengetan und wettern nun gemeinsam gegen das "Dogma der Schwarzen Null" - und damit indirekt gegen die FDP.
SPD-Chefin Saskia Esken sagt es so: "Es ist ganz klar, dass wir als SPD nicht dazu bereit sind, unsere Solidarität mit der Ukraine gegen den Fortbestand unserer Solidarität mit der eigenen Bevölkerung ausspielen zu lassen."
Gerade weil das zeigt, dass die SPD neue Schulden nicht für Investitionen, sondern für Sozialausgaben machen will, ist man bei der FDP so empört. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai spricht von "Schuldenpopulismus der SPD".
Frust bei den Jungen der FDP-Fraktion
Jüngere Abgeordnete um Jens Teutrine sagen: "Ohne Schuldenbremse, ohne uns", drohen also mit dem Bruch der Ampel. Dabei sind sie auch recht selbstbewusst: "Die Schuldenbremse wird so oder so nicht ausgesetzt: Entweder wir verständigen uns in der Koalition nochmals genau darauf, oder die Koalition ist nicht mehr", sagt der 28-jährige Max Mordhorst.
Gerade bei den Jungen in der FDP-Fraktion hat sich Frust angestaut: Sie nehmen Parteichef Lindner das Ja zum Rentenpaket der Regierung übel, das zwar den FDP-Wunsch nach einer Aktienrente - in einer abgeschwächten Variante - enthält, aber eben auch eine teure Rentengarantie. Insofern dürften sich die Wortmeldungen sowohl aus der FDP als auch aus der SPD nicht nur an die jeweils anderen Koalitionspartner richten, sondern auch an die eigenen Spitzenpolitiker, eben Finanzminister Lindner und Bundeskanzler Scholz.
Scholz: "Mit dem Geld auskommen, das wir haben"
Beide geben sich nach wie vor vermittelnd: Lindner spricht von "lösungsorientierten" Gesprächen zu Haushalt und Wirtschaftswende, Scholz betont im ARD-Sommerinterview: "Wir müssen mit dem Geld auskommen, das wir haben. Daran führt nun mal kein Weg vorbei."
Mag also sein, dass sich die beiden zusammen mit Vizekanzler Habeck noch auf einen Haushaltsentwurf einigen könnten. Dazu gönnen sie sich auch erst einmal mehr Zeit - der Haushaltsbeschluss soll im Kabinett wohl erst am 17. Juli getroffen werden, nicht am 3. Juli wie ursprünglich geplant.
"Qualität geht vor Geschwindigkeit", heißt es dazu aus dem Kanzleramt. Doch selbst dann ist höchst ungewiss, ob die Fraktionen mit ihren diametral auseinanderliegenden Positionen mitgehen. Immerhin: Für ein paar Monate, bis zu den Haushaltsberatungen im Bundestag, hätte sich die Koalition gerettet.