Sparvorgaben der Bundesregierung Bundesländer kritisieren Heils Pläne zu Jobcentern
Die Bundesregierung muss sparen - auch Arbeitsminister Heil. Sein Plan: Die Berufsförderung für junge Bürgergeldempfänger soll nicht mehr aus Steuermitteln finanziert werden. Die Länder laufen dagegen Sturm.
Die Wappen aller Bundesländer prangen auf dem Schreiben - ein Symbol der Einigkeit. Denn alle 16 Arbeitsministerinnen und -minister lehnen parteiübergreifend und geschlossen das Vorhaben von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ab. In einem Protestbrief, den sie an das Bundesarbeitsministerium geschickt haben und der dem NDR in Niedersachsen vorliegt, heißt es, die Pläne zeigten, "dass nicht die bestmögliche Unterstützung der Jugendlichen im Vordergrund steht, sondern allein finanzpolitische Gründe handlungsleitend sind".
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte seine Kabinettskolleginnen und -kollegen zum Sparen angehalten - auch den Bundesarbeitsminister. Heil streicht 900 Millionen Euro im Bereich der Grundsicherung (SGB II).
Geld aus Versicherung statt aus Steuermitteln
Die jungen Menschen sollen den Plänen nach ab 2025 nicht mehr von den Jobcentern betreut werden, sondern von der Agentur für Arbeit. Heißt: Die Berufsförderung für Bürgergeldempfänger unter 25 Jahren wird nicht mehr aus Steuermitteln finanziert. Das Geld dafür kommt stattdessen aus der Arbeitslosenversicherung. Kritikerinnen und Kritiker nennen das einen "Taschenspielertrick".
Um ihr Geld müssen die jungen Menschen ohne Arbeit also nicht bangen. Das erhalten sie weiter beim Jobcenter, aber Arbeitsvermittlung und Beratung liegen künftig in der Hand der Agenturen für Arbeit. "Eine grundlegende Sozialreform durch die Hintertür", nennen politische Kreise diese Entscheidung hinter vorgehaltener Hand.
Die Arbeitsministerinnen und -minister der Länder wurden über dieser Reform erst Ende Juni informiert. Bereits Anfang Juli verabschiedete die Bundesregierung genau diese Pläne.
Die Agentur für Arbeit soll von Jobcentern die Betreuung und Vermittlung junger Bürgergeldempfänger übernehmen.
Beratungskompetenz in Gefahr?
Niedersachsens Arbeitsminister Andreas Philippi, Sozialdemokrat wie Hubertus Heil, ist überzeugt: "Unser bisheriges System in Niedersachsen beweist, dass 80.000 Jugendliche hervorragend in den niedersächsischen Jobcentern betreut werden. Wir haben große Sorge darum, dass das in Zukunft nicht mehr funktioniert." Auch Schleswig-Holsteins Arbeits-Staatssekretär Tobias von der Heide (CDU) hält wenig von den Plänen. Haushaltspolitische Entscheidungen rechtfertigen aus seiner Sicht nicht, die Nachteile für die unter 25-Jährigen in Kauf zu nehmen, sagte er dem NDR.
Kritiker beschreiben die bisherige Situation so: Viele der rund 700.000 jugendlichen Bürgergeldempfänger seien den 406 Jobcentern in Deutschland schon über Jahre bekannt. Es gehe um schwierige Familienverhältnisse, Drogen, Sucht, Gewalt und Schulden. Größte Aufgabe der Jobcenter: Diese Menschen überhaupt fit für den Arbeitsmarkt zu machen. Also: Sie in sichere Bahnen zu lenken.
Auch in den Jobcentern regt sich Empörung: "Die Jobcenter haben in den vergangenen fast 18 Jahren eine Beratungskompetenz aufgebaut, sind mit ihrer sozialraumorientierten Arbeit etabliert und respektiert und stellen auch in den Jugendberufsagenturen die treibende Kraft und tragende Säule dar", heißt es in einem Brief der Personalräte der Jobcenter, der dem NDR in Niedersachsen ebenfalls vorliegt. Außerdem fehle es den Arbeitsagenturen an Personal. Die Befürchtung: Tausende junge Erwachsene zu verlieren.
Bundesarbeitsministerium sieht Vorteile in Neuordnung
Eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums teilte dem NDR auf Anfrage mit, die Neuordnung führe "perspektivisch zu Entlastungen bei den Jobcentern, die sich dann auf die Betreuung, Beratung und Vermittlung der Menschen ab 25 Jahren konzentrieren können".
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) ist überzeugt, dass die 900 Millionen Euro viel eher in eine bessere Beratung und mehr Personal investiert werden müssten, statt eine komplette Struktur zu verändern. Dirk Swinke, Landesvorsitzender in Niedersachsen, sagt: "Was jetzt passiert, ist keine Sozialpolitik, das ist auch keine Gesellschaftspolitik, das ist eine reine Einsparung zu Lasten junger Menschen."
Die Sorge ist groß. Und die Verunsicherung wächst bei den Beschäftigten, aber auch bei den Leistungsempfängern. Das liegt auch daran, dass es bisher nicht mehr gibt, als den Beschluss, das Geld zu streichen. Konkrete Pläne, wie die Struktur in Zukunft aussehen soll, liegen nicht vor.