Jugendorganisation der SPD Wie die Jusos wieder lauter werden wollen
Nachdem Kevin Kühnert zum SPD-Generalsekretär aufstieg, schien es fast so, als würden die Jusos verstummen. Nun will seine Nachfolgerin aufhören. Zwei Bewerber konkurrieren um ihre Nachfolge.
Wer war nicht schon alles Juso-Chef oder Juso-Chefin? Andrea Nahles, Gerhard Schröder, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Kevin Kühnert. Vor allem der Letztgenannte hat sehr deutlich gezeigt, wozu die Jusos in der Lage sind: eine Partei vor sich herzutreiben.
Als die SPD 2021 den Kanzler stellte und viele junge SPD-Abgeordnete in den Bundestag zogen, ging bei so manchen älteren Abgeordneten des konservativeren Parteiflügels die Angst um: Die jungen wilden Jusos ziehen nun ins Parlament und mischen alles auf. Wer kommt da nur, hörte man es in Berlin raunen. 49 der 206 SPD-Abgeordneten waren tatsächlich unter 35 Jahre und zählten allein wegen ihres Alters als Jusos.
Tatsächlich blieb aber die linke Revolution in Parlament aus. Auch die neu gewählte Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal fiel nicht weiter auf angesichts der gewaltigen Herausforderungen: Debatten über das Impfen in der Pandemie und vor allem der Krieg in der Ukraine und das vom Kanzler verkündete 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr brachten zwar so manchen Juso ins Grübeln - aber mehr auch nicht.
Rosenthal als gewählte Abgeordnete und Juso-Vorsitzende schien oft gefangen zwischen ihren Ämtern, und auch Kühnerts Fußstapfen erwiesen sich als zu groß. Der konnte gegen seine Partei in der Großen Koalition wettern, gegen die unionsgeführte Regierung. Rosenthal hatte diesen Luxus in ihrer Kanzlerpartei nicht. Für Rebellion blieb kaum Platz, und so wurden die Jusos immer leiser.
"Rechte und konservative Narrative zurückdrängen"
Nun wollen die Jusos wieder lauter werden - das eint die zwei, die sich für die Nachfolge von Rosenthal in Stellung bringen. Laut und forsch jedenfalls tritt Philipp Türmer auf. Er ist 27 Jahre alt, kommt aus dem Bezirk Hessen-Süd, hat erst Wirtschaft studiert, dann Jura und promoviert gerade in Strafrecht. Er platziert in den Medien Sätze, wie er den Kanzler "wachrütteln" will und kritisiert offen den asylpolitischen Kurs von Innenministerin Nancy Faeser. Dass sie SPD-Ministerpräsidentin in Hessen werden will und mitten im Wahlkampf steckt, scheint ihm dabei egal zu sein. Es geht nun darum, das Profil der Jusos zu schärfen.
Philipp Türmer will den Kanzler "wachrütteln".
Lauter werden heißt für Türmer, eigenständiger, von der Partei unabhängiger und kritischer zu werden, erklärt er im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Aber es gehe auch nicht nur um die Partei oder die Ampel. "Es geht darum, wieder als linke gesellschaftliche Kraft in der gesellschaftlichen Debatte wahrgenommen zu werden und da insbesondere die rechten und konservativen Narrative zurückzudrängen", sagt Türmer.
Der Kandidat für den Juso-Vorsitz sitzt bereits seit sechs Jahren im Vorstand der Jusos. Er hat seine Netzwerke geknüpft, aber: Wie glaubwürdig sind seine Aussagen, die Jusos schärfer zu profilieren, hin zu mehr Verteilungsgerechtigkeit, wenn er bereits sechs Jahre im Führungsgremium saß?
"Jusos wieder auf die Straße bringen"
Seine Kontrahentin, Sarah Mohamed, will die Jusos ebenfalls lauter machen. Laut sein heißt für sie, die Jusos wieder auf die Straße zu bringen, als aktiven Teil einer linken Bewegung, wie sie dem ARD-Hauptstadtstudio erzählt. Mohamed ist im Ruhrgebiet aufgewachsen, sie ist 31 Jahre alt und hat in Bonn Geschichte und Philosophie studiert. Eine Zeit lang arbeitete sie für Rosenthal, beide kommen aus dem gleichen SPD-Landesverband.
Anders als ihr Kontrahent hat sie keine langjährige SPD-Gremienerfahrung, sondern ihre Wurzeln in der Antifa und der Flüchtlingshilfe. Erst 2017 trat sie in die SPD ein, als Reaktion darauf, dass die AfD in den Bundestag einzog. Parteiarbeit erscheint ihr weniger wichtig, sie will lieber die Graswurzelkraft der Jusos anzapfen und ausbauen.
Sarah Mohamed will die Graswurzelkraft der Jusos anzapfen und ausbauen.
Mehr Reibung und mehr Debatte verspricht Mohamed auch dem SPD-Kanzler Olaf Scholz. Vor allem das Thema Kindergrundsicherung macht sie wütend. Dass überhaupt darüber diskutiert wird, dass Geld für arme Kinder zur Verfügung gestellt werden muss. Sie selbst hat als Kind Armut erlebt. Ihre Mutter war alleinerziehend, Mohamed und ihre fünf Geschwister lebten von Hartz IV.
Was sie ebenfalls aufregt: der Umgang mit Geflüchteten. Die Migrations- und Asylpolitik von Innenministerin Faeser, Stichwort "Clankriminelle und die rigide Abschieberhetorik" - hier brauche es die Jusos, um zu zeigen, "dass es so nicht geht".
In der Ablehnung der SPD-Innenministerin sind sich Türmer und Mohamed sehr einig - auch wenn sie nicht so forsch auftritt wie er. Ihren eigenen Landesverband in Nordrhein-Westfalen konnte sie überzeugen. Mohamed wurde heute zur Kandidatin gewählt und ins Rennen geschickt, um als Nachfolgerin von Rosenthal den Jusos wieder eine laute Stimme zu geben.