Debatte in Deutschland Reden vom Krieg
In Europa ist ein Krieg. Aber ist Europa im Krieg? Manche Wortwahl in der aktuellen politischen Debatte in Deutschland lässt aufhorchen - und beunruhigt.
Deutschland und der Krieg: Im Bundestag horchte kaum noch jemand auf, als Unionspolitiker Johann Wadephul Europa unwidersprochen im Krieg verortete: "Europa ist im Krieg. Darüber diskutieren wir jetzt miteinander", sagte er am Donnerstag bei der Debatte um die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine.
Europa ist im Krieg? In Europa ist ein Krieg. Aber ist Europa im Krieg? Es ist diese unscharfe Semantik, die sich schleichend, aber wahrnehmbar Richtung Krieg zu ändern scheint.
Pistorius in der Grauzone
Verteidigungsminister Boris Pistorius, der neue Mann, der helfen soll, einen Krieg Europas zu verhindern, tappte selbst am Dienstag kurz nach seiner Nominierung in die Grauzone der Kriegsrhetorik. Das Verteidigungsministerium sei schon in Friedenszeiten eine große Herausforderung, sagte er und schob nach: "In Zeiten, in denen man als Deutschland indirekt an einem Krieg beteiligt ist, noch einmal besonders."
Deutschland ist indirekt am Krieg beteiligt? Im Kanzleramt dürfte sich die Stirn des stets sorgsam formulierenden Olaf Scholz in Falten gelegt haben. Er will kein Kriegskanzler werden und wiederholt das wieder und wieder, um auch öffentlich zu beruhigen. Tag für Tag erreichten ihn Hunderte Briefe und Mails. "Überall die besorgte Frage: Wird es Krieg geben? Auch hier bei uns?", berichtet Scholz. Die Antwort des Kanzlers ist bisher stets die gleiche: "Da gibt es nur eine klare Antwort. Die NATO wird nicht Kriegspartei werden."
Verteidigungspolitiker reden von "Kriegsfähigkeit"
Aber die Worte des Kanzlers übertönen nicht, dass Verteidigungspolitiker von "Kriegsfähigkeit" der Bundeswehr reden. Der ehemalige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz und Ex-Washington-Botschafter, Wolfgang Ischinger, forderte in der ARD "Kriegswirtschaft" ein, um dem Beschaffungswesen hierzulande Beine zu machen: "Deswegen habe ich auch diesen etwas provozierenden Begriff Kriegswirtschaft benutzt", sagte er und meinte, die Regierung müsse die Beschaffung des notwendigen Materials mit Priorität behandeln.
"Kriegsfähig", "Kriegswirtschaft": Der SPD-Linke Ralf Stegner hat den Eindruck, das Politik sprachlich Richtung Krieg abgleitet: "Wenn ich neuerdings Forderungen höre, Deutschland müsse kriegsfähig werden oder eine Kriegswirtschaft vorbereiten, habe ich dafür überhaupt kein Verständnis." Dass es eine bessere Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit brauche, habe der Kanzler doch klar benannt.
"Deutschland ist nicht Kriegspartei"
Aber sie reden vom Krieg. Auch wenn der Verteidigungsminister, der vor drei Tagen Deutschland noch indirekt am Krieg beteiligt sah, in seiner ersten Rede im Amt am Donnerstag seine Rhetorik des Krieges nachbesserte. Es sind keine normalen Zeiten, so Pistorius. Es sei Krieg in Europa, um anzufügen: "Deutschland ist nicht Kriegspartei. Trotzdem sind wir von diesem Krieg betroffen."
Wann aber wird aus Kriegsbetroffenheit indirekte Beteiligung? Bei der Konferenz in Ramstein einigt man sich vielleicht auf "Leopard"-Panzer für Kiew. Und morgen dann Kampfflugzeuge? Und danach Kampftruppen, fragte der Sozialdemokrat Stegner nicht ganz unberechtigt.
"Tornados" für die Ukraine?
Ukraines Vize-Außenminister Melnyk forderte gerade via Twitter ausrangierte "Tornado"-Kampfbomber aus Deutschland. Und ein sonst eher besonnener Unionsverteidigungspolitiker wie Roderich Kiesewetter twitterte als Antwort nächtens begeistert: "Ja. Genau wir sollten Tornados liefern. Alles, was für den Sieg der Ukraine hilft. Selbst so werden wir nicht zur Kriegspartei."
Wann wird aus Waffen für den Krieg eine Beteiligung am Krieg? Stegner meinte wohl auch kriegerische Tweets wie jenen, als er im Bundestag warnte, das Bedürfnis mancher, alle zehn Minuten neue, offensivere Waffengattungen per Tweet ins Spiel zu bringen, werde dem Ernst der Lage nicht gerecht.
Rote Linien
Wie ernst aber ist die Lage? Es ist Krieg in Europa. Europa ist aber nicht im Krieg. Der Grat wird schmaler. Noch spottet Marie Agnes Strack-Zimmermann von der FDP, dass linke Arbeitskreise jedenfalls nicht helfen werden. Man werde an der Seite der Ukraine stehen, sagt sie. Und das geht nicht mit linken Arbeitskreisen. "Das geht mit einer klaren Botschaft an Putin: Wer unser System hier zerstören will, wird es mit allen Demokraten zu tun bekommen."
Von roten Linien jedenfalls haben sich Regierung und auch Sozialdemokraten verbal verabschiedet. Von präziser Semantik in Zeiten des Krieges immerhin noch nicht.