Wirtschaftspolitisches Papier Kritik an Lindner aus der Ampel - ein bisschen
FDP-Chef Lindner hätte sein Wirtschaftspapier wohl lieber erst intern diskutiert - es sei ungewollt veröffentlicht worden, sagt er. Manche Ampel-Kritik ist erwartbar scharf, doch entscheidende Politiker halten sich zurück.
Politiker von SPD und Grünen haben das wirtschaftspolitische Grundsatzpapier von Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner kritisiert. Darin distanziert er sich von Teilen der bisherigen Ampel-Politik. Die Partei- und Fraktionsspitzen der Koalitionspartner äußerten sich aber zurückhaltend.
Lindner fordert eine "Wirtschaftswende" und eine "teilweise grundlegende Revision politischer Leitentscheidungen". Eine Sofortmaßnahme müsse die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Vielverdiener sein, alle neuen Regulierungen müssten gestoppt werden, und es müsse einen Kurswechsel in der Klimapolitik geben. Die "Neuausrichtung" der Wirtschaftspolitik solle grundsätzlich sein.
SPD-Politiker kritisiert "neoliberale Phrasendrescherei"
Der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Martin Rosemann, sagte dem Tagesspiegel: "Wir brauchen jetzt keine Papiere, sondern gemeinsames Handeln, um der Industrie schnell zu helfen und Sicherheit zu geben. Vor allem brauchen wir keine Opposition in der Regierung." Der SPD-Abgeordnete Nils Schmid sprach von "neoliberaler Phrasendrescherei": Die FDP bleibe Antworten auf die drängenden Fragen schuldig, etwa wie Industriearbeitsplätze bewahrt und der Industriestrompreis gesenkt werden könnten.
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch bewertete das Papier nicht inhaltlich. Er sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: "Wichtig ist jetzt, dass der Prozess konstruktiv und lösungsorientiert von allen Beteiligten begleitet wird." Grünen-Chef Omid Nouripour äußerte sich ebenfalls zurückhaltend: "Wir Grüne sind jederzeit bereit, ernst gemeinte Vorschläge der Koalitionspartner zum Wohle unseres Landes zu diskutieren", sagte er dem Nachrichtenportal t-online und den Funke-Zeitungen. "Zum Ergebnis kommt man am Ende dann, wenn die Vorschläge der Ernsthaftigkeit der Lage gerecht werden."
Deutlicher wurde der Vize-Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Andreas Audretsch: "Das Papier ist eine Nebelkerze. Wichtiger wäre es, dass sich der Finanzminister um den Haushalt kümmert." Zum Haushalt für 2025 ist Mitte November eine entscheidende Sitzung des Haushaltsausschusses des Bundestags. Es müssen Milliardenlücken geschlossen werden.
Lindner beklagt Indiskretion
Lindner selbst beklagte, dass das Papier über eine Indiskretion öffentlich geworden sei. Es hätte zunächst nur im engsten Kreis der Bundesregierung beraten werden sollen, schrieb er in einer E-Mail an Parteifreunde, die der Nachrichtenagentur dpa vorliegt. Zuvor hatte Bild-Zeitung darüber berichtet.
Ampel uneins über Weg aus der Wirtschaftskrise
Hintergrund des Papiers ist die Krise, in der die deutsche Wirtschaft derzeit steckt. Alle drei Ampel-Partner sind sich einig, dass hier Handlungsbedarf besteht. In der Frage, wie gehandelt werden soll, gehen die Meinungen aber weit auseinander.
Der Streit darüber wurde in den vergangenen Wochen immer offensichtlicher. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zu einem Industriegipfel geladen, zu dem aber weder Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) noch Finanzminister Lindner eingeladen waren. Die FDP-Fraktion richtete eine Art Gegengipfel mit Verbänden aus. Habeck wiederum hatte erneut einen milliardenschweren, schuldenfinanzierten Staatsfonds vorgeschlagen, um Investitionen von Firmen zu fördern.
Darauf nahm auch Lindner in seiner E-Mail an Parteifreunde Bezug: "Mit meinem Konzept schlage ich eine alternative Richtungsentscheidung für unser Land vor. Wir werden es im Gesamtkontext nun in Regierung und Koalition beraten."
"Ultimative Scheidungsurkunde"
Unionspolitiker sehen die Ampel hingegen am Ende. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Union im Bundestag, Thorsten Frei, sagte der Rheinischen Post: "Es wird Zeit, dass die Regierung endlich den Weg frei macht zu Neuwahlen. Es wäre der letzte Dienst, den sie unserem Land erweisen könnte." Der CDU-Politiker nannte Lindners Papier eine "ultimative Scheidungsurkunde". Scholz könne wohl kaum zur Tagesordnung übergehen.
Ähnlich äußerte sich CSU-Chef Markus Söder. "Das Einzige, was jetzt zählt, sind Neuwahlen - sofort", sagte der bayerische Ministerpräsident der Bild-Zeitung. "Eine Regierung, die gegeneinander Papiere verschickt, ist handlungsunfähig und eine Blamage für unser Land." Das "unwürdige Schauspiel" müsse beendet werden.
Auch AfD-Chefin Alice Weidel forderte die Ampel-Parteien auf, den Weg für Neuwahlen freizumachen. "Sie muss abtreten - je eher desto besser", schrieb sie auf X.