Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck
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Ampel-Verluste in den Ländern Wo sind die Bruchlinien der Koalition?

Stand: 03.09.2024 15:34 Uhr

Für die Berliner Ampelkoalition waren die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen ein erneuter Tiefschlag. Eine Folge: Die Fliehkräfte innerhalb der Regierung werden größer. Kommt es zum Bruch?

Eine Analyse von Hans-Joachim Vieweger, ARD-Hauptstadtstudio

Selfie-Harmonie, Fortschrittskoalition, Aufbruchstimmung - alles, was die Ampel-Koalition nach den Wahlen 2021 vermitteln wollte, wirkt wie aus einer fernen Zeit. Im ARD-Sommerinterview Mitte August rutschte Grünen-Chef Omid Nouripour das Wort von der "Übergangsregierung" heraus.

Eine große Zukunft wollte der offensichtlich frustrierte Nouripour dem Modell Ampel nicht bescheinigen. Man könne zwar nichts ausschließen, "aber es ist ja offensichtlich, dass das Vertrauen an Grenzen gestoßen ist".

Die FDP hadert am stärksten

Noch stärker hadern die Liberalen mit der Koalition. Längst sind es nicht mehr nur bekannte Ampel-Kritiker wie Wolfgang Kubicki oder Frank Schäffler, die vom "Fremdeln mit der Ampel" und der Ampel als "Mühlstein" für die FDP sprechen.

Mit der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Gyde Jensen hat sich nun auch eine junge Liberale zu Wort gemeldet, die bislang als Ampel-freundlich galt. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte sie: "Wir müssen in den nächsten Tagen eine klare Antwort auf die Frage finden, ob unserem Land mit der Ampelkoalition wirklich noch geholfen ist - oder ob sie am Ende dem Land und unserer Demokratie sogar eher schadet."

An der FDP-Basis brodelt es bereits seit Langem. Eine Mitgliederbefragung zum Ausstieg aus der Ampel scheiterte um die Jahreswende nur knapp. Jetzt macht eine neue Initiative mit dem Titel "Weckruf" von sich reden. Sie fordert: "Raus aus der Ampel oder Rücktritt" - und damit ist niemand Geringerer als Christian Lindner gemeint. Erstmals wird damit Lindners Autorität als Parteichef öffentlich in Frage gestellt.

Zwar stimmt auch Lindner selbst in den Reigen der Kritiker ein und macht die Beteiligung an der Ampel verantwortlich für die katastrophalen Ergebnisse in Sachsen und Thüringen, wo die FDP jeweils nur auf rund ein Prozent der Stimmen kam. Seine Partei befinde sich "in der Defensive als Teil einer Koalition, die bei den Bürgerinnen und Bürgern äußerst unbeliebt ist". Doch einen Austritt aus der Ampel lehnt er weiter ab. Zur Begründung verweist er auf die von der Koalition vereinbarten Maßnahmen zur Stärkung der Wirtschaft.

Die entsprechenden Beschlüsse macht Lindner aber quasi zur Bedingung für das Verbleiben in der Koalition: Man werde insbesondere nicht zulassen, "dass es zu Verzögerungen und Verwässerungen kommt bei den notwendigen Steuerentlastungen", auf die sich die Bundesregierung verständigt habe.

Auch Kühnert stellt Bedingungen

Doch nicht nur der FDP-Vorsitzende schlägt Pflöcke ein, auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert stellt Bedingungen für das weitere Miteinander in der Regierung. Seine Partei werde es sich "nicht bieten lassen, dass zentrale vereinbarte Projekte einfach ausgesessen werden."

Dabei nimmt Kühnert Bezug auf das Rentenpaket der Regierung, das in Teilen der FDP-Fraktion weiter auf große Vorbehalte stößt. In Richtung der Liberalen legt Kühnert noch eins drauf: Von Parteien, die krachend am Einzug in Landtage gescheitert seien, lasse man sich nicht "auf der Nase herumtanzen".

Dass die Ampel-Partner verantwortlich für die eigenen Ergebnisse bei Wahlen gemacht werden, eint SPD und FDP. Bereits nach der Niederlage bei der Europawahl hatte Kühnert in Richtung der Koalitionspartner ausgeholt und von "Kontaktschande" gesprochen: Die Unbeliebtheit von FDP und Grünen färbe negativ auf die SPD ab.

Für die SPD steht in Brandenburg viel auf dem Spiel

Dass es innerhalb der Ampelkoalition noch einmal harmonisch zugehen dürfte, scheint damit ausgeschlossen. Wobei für die SPD die echte Herausforderung mit den Landtagswahlen in Brandenburg am 22. September noch bevorsteht: Hier stellt sich mit Dietmar Woidke ein sozialdemokratischer Ministerpräsident zur Wiederwahl.

Sollte Woidke wegen der Anti-Ampel-Stimmung im Land scheitern, könnten innerhalb der SPD auch die Zweifel am eigenen Bundeskanzler und einer weiteren Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz wachsen. Bislang wird die parteiinterne Kritik auf die Kritik an der Kommunikation der Regierung beschränkt. Parteichefin Saskia Esken spricht davon, dass die Regierung durchaus etwas zur Verbesserung der "Haltungsnoten" tun müsse.

Reicht besseres Erklären?

Doch reicht es, die eigene Politik nur besser zu erklären, um wieder Vertrauen in die Politik zu gewinnen? Während Äußerungen führender Sozialdemokraten diesen Eindruck erwecken, sind hier sind sowohl Spitzenpolitiker der Liberalen als auch der Grünen skeptisch.

Ricarda Lang, Co-Vorsitzende der Grünen, sagt selbstkritisch: "Wir müssen schon anerkennen, dass diese Regierung es bisher nicht geschafft hat, dem Land die Stabilität zu geben, die es verdient." Ohne Veränderungen der Politik werde es nicht gehen, so Lang.

FDP-Chef Lindner wird noch drastischer: Er könne es nicht mehr hören, wenn gesagt werde, man müsse den Bürgern die eigene Politik nur besser erklären - das laufe "auf eine Form von Bevormundung hinaus". Aufgabe sei es jetzt zu handeln, was Lindner vor allem auf das Thema Migration bezieht. Hier dürfe es keine Denkverbote geben: "Wenn die Parteien des demokratischen Zentrums nicht in der Lage sind zu liefern, werden sich die Bürgerinnen und Bürger im wahrsten Sinn des Wortes eine Alternative suchen." Die FDP sei offen, über Änderungen der europäischen Asylpolitik und des Grundgesetzes zu reden.

Streit zwischen Scholz und Lindner

So weit wollen SPD und Grüne bisher jedoch nicht gehen, trotz der erkennbaren Wende in der Migrationspolitik. Weitere inhaltliche Konflikte innerhalb der Koalition könnten im Rahmen der parlamentarischen Beratungen zum Bundeshaushalt 2025 aufkommen, auf den sich die Ampel-Regierung nur mit Hängen und Würgen einigen konnte.

Dabei wurde erstmals in der fast dreijährigen Ampel-Geschichte ein massiver Streit zwischen SPD-Kanzler Scholz und Vizekanzler Lindner öffentlich. Zuvor hatte Scholz seinem Finanzminister oft den Rücken gestärkt; das scheint nun zu Ende zu sein.

Ist damit auch die Ampel am Ende? Gegen einen vorzeitigen Bruch sprechen die schlechten Umfrageergebnisse aller drei Koalitionspartner. Der FDP könnte wie nach der schwarz-gelben Koalition 2013 erneut das Ausscheiden aus dem Bundestag drohen. Das FDP-Urgestein Gerhart Baum warnte seine Partei im Bayerischen Rundfunk denn auch, "Selbstmord aus Angst vor dem Tode" zu begehen.

Zugleich verweisen Spitzenpolitiker der Koalition auf die Unsicherheiten in der Weltpolitik: Frankreich hat nach wie vor keine stabile Regierung, in den USA stehen die Präsidentschaftswahlen an, der Krieg in der Ukraine geht mit unverminderter Härte weiter.

Neubewertung nach Brandenburg-Wahl?

Doch es ist eben nicht ausgeschlossen, dass am Ende die innenpolitischen Querelen das weitere Miteinander unmöglich machen. In einem internen Schreiben, aus dem der "Focus" zitiert, hat FDP-Chef Lindner nach den Wahlergebnissen vom Sonntag davor gewarnt, den laufenden Wahlkampf in Brandenburg durch zu viel Unruhe in den eigenen Reihen zu belasten.

Nach dem 22. September könnte es aber zu einer Neubewertung kommen: "Entscheidungen zur weiteren Strategie mit Blick auf 2025 stehen erst nach Brandenburg an." Ein möglicher Bruch mit der Ampel bleibt damit auf der Agenda.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 03. September 2024 um 17:09 Uhr.