Aktivisten der Gruppierung "Letzte Generation" kleben ihre Hände auf eine Straße
FAQ

"Letzte Generation" Was wollen die eigentlich?

Stand: 19.04.2023 19:46 Uhr

Mit so vielen Blockaden wie möglich wollen Klimaaktivisten der "Letzten Generation" den Verkehr in Berlin lahmlegen. Was sind ihre Ziele - und wie stehen die Grünen oder "Fridays for future" zu dem Protest? Ein Überblick.

Die Ausgangslage

Laut aktuellem ARD-DeutschlandTrend wollen 44 Prozent mehr Tempo beim Klimaschutz. Der Klimawandel gilt als größtes Problem. Beste Zeiten also für die Grünen, sollte man meinen. Doch die Partei verliert bei ihrem Kernthema der Umfrage zufolge an Vertrauen. Auch sobald es um konkrete Maßnahmen wie Heizungstausch oder Verbrenner-Aus geht, sind die Deutschen weniger veränderungsfreudig.

Die selbstgesteckten Klimaziele Deutschlands sind in Gefahr. Bis 2030 will Deutschland seinen Ausstoß von Treibhausgasen um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 verringern. Doch 2022 wurde das Etappenziel nur erreicht, weil die Industrie wegen des Angriffskrieges in der Ukraine, der Energiekrise und Problemen mit den Lieferketten weniger Emissionen produzierte. Der Klimaschutz profitierte also von den Krisen, weniger aufgrund politischer Maßnahmen. Vor allem die Bereiche Verkehr und Gebäude verfehlten ihr jährliches Klimaziel.

Jüngst verwässerte die Ampelregierung das Klimaschutzgesetz, und nun sehen die Grünen mit wachsendem Unmut, wie sich das FDP-geführte Bundesverkehrsministerium von Volker Wissing aus der Verantwortung stiehlt.

Auch mit der Klimabewegung außerhalb der Parlamente tut sich die FDP schwer. Zuletzt warf Wissing der "Letzten Generation" Unwillen zum Dialog vor. "Diese Gruppierung hat nie mit mir einen Dialog gesucht", sagte er dem Nachrichtenportal "The Pioneer". "Aber wir sollten uns respektvoll begegnen und überlegen, dass auch die andere Seite Recht haben könnte."

Wer ist die "Letzte Generation"?

Die "Letzte Generation" hatte sich 2021 nach einem Hungerstreik gegründet und blockiert seit Anfang 2022 bundesweit immer wieder den Verkehr, vor allem in den Metropolen wie Berlin, Hamburg und München, bei einem Aktionstag kürzlich aber auch in kleineren Städten wie Magdeburg, Jena, Passau oder Reutlingen. Meist kleben sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf Fahrbahnen fest. Aufmerksamkeit ist ihnen auch sicher, wenn sie in Museen Kunstwerke mit Farbe beschmieren oder Parteizentralen beschmieren, wie zuletzt das Gebäude der FDP in Berlin.

Die Klimabewegung ist nicht homogen. Neben den Aktivisten der "Letzten Generation" gibt es noch die (größere) Bewegung "Fridays for Future" und natürlich die Grünen, die ihre Wurzeln in der Klimabewegung sehen - und nun mit in der Regierung sitzen.

Zudem gibt es noch die Klimaaktivisten von "Extinction Rebellion". Das ist eine organisatorisch getrennte Gruppe, die aber ebenfalls Protestformen des zivilen Ungehorsams nutzt und ähnliche Ziele verfolgt wie die "Letzte Generation", etwa einen per Los bestimmten Klima- oder Gesellschaftsrat. Ihr Sprecher Florian Zander sagte der dpa: "Ziviler Ungehorsam soll Aufmerksamkeit auf ein Thema lenken. Und es ist viel Aufmerksamkeit erregt worden." Das "störende Element" solle zum Nachdenken anregen.

Die Klimaschutzgruppe "Letzte Generation" blockiert am frühen Morgen eine Zufahrt zur Tiefgarage des Bundestages.

Im Dezember blockierte die Klimaschutzgruppe "Letzte Generation" eine Zufahrt zur Tiefgarage des Bundestages.

Was planen die Aktivisten der "Letzten Generation" konkret in Berlin?

Die Klimaaktivistinnen und -aktivisten der "Letzten Generation" wollen in den kommenden Tagen und Wochen mit möglichst vielen Blockaden den Verkehr in Berlin lahmlegen. Sie haben "so viele Straßenblockaden wie möglich" angekündigt. Der Gruppe zufolge kündigten bereits mehr als 800 Menschen ihre Teilnahme an den verschiedenen Aktionen an.

Zunächst seien Störungen und Blockaden im Regierungsviertel geplant, ab Montag dann in der ganzen Hauptstadt, erklärte die Gruppe. "Wir werden die Stadt friedlich zum Innehalten bringen", sagte Sprecherin Carla Hinrichs.

Tom Garus, RBB, über die angekündigten Proteste der "Letzten Generation"

tagesschau24 18:00 Uhr

Wie bereitet sich die Polizei vor?

Eine Sprecherin der Berliner Polizei sagte auf Anfrage, man richte sich auf die Blockaden ein, könne aber keine Details zur Einsatzplanung oder zu den erwarteten Orten nennen. Die Polizei hatte in den vergangenen Monaten Mühe, der Blockaden Herr zu werden. Möglich sind in Berlin bis zu 48 Stunden Präventivgewahrsam. Meist werden Ermittlungsverfahren eingeleitet und an die Justiz übergeben.

Meist kleben sich die Aktivisten mit Sekundenkleber auf der Straße fest. Um den zu lösen, hat die Polizei in verschiedenen Städten inzwischen Erfahrungen gesammelt. Etwa das "Glue-on-Team" des Münchner Polizeipräsidiums: Die Beamten schwören nach vielen Selbstversuchen auf eine Mischung aus Speiseöl und Seifenlauge. Aceton setzen sie wegen der Gesundheitsgefahren nur im Notfall ein.

Zweikomponentenkleber wiederum ist im Gegensatz zu Sekundenkleber derart hartnäckig, dass die Fahrt ins Krankenhaus nötig wird - mit dem herausgemeißelten Bodenbelag an der Hand. Weswegen sich nahezu alle Aktivisten auf Sekundenkleber beschränken.

Ein Aktivist von "Letzte Generation" klebt sich auf Asphalt fest (Mottobild).

Mit Sekundenkleber kleben sich Klimaaktivisten auf Deutschlands Straßen fest. Doch wie kommen sie da wieder weg? Und wie schauen ihre Hände danach aus?

Was sind die Ziele der Klimaaktivisten?

Sie fordern unter anderem Tempo 100 auf Autobahnen und ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket für Bus und Bahn. Zudem wollen sie einen Gesellschaftsrat mit 160 gelosten Mitgliedern, der das Ende der Nutzung von fossilen Brennstoffen wie Öl, Kohle oder Gas in Deutschland bis 2030 planen soll.

Wissenschaftler und Politiker sind skeptisch, ob dies so schnell möglich ist. Nötig wäre zum Beispiel das Aus aller Autos mit Verbrenner, aller Gas- und Ölheizungen und aller Gas- und Kohlekraftwerke binnen sieben Jahren.

Wie stehen "Fridays for Future" und die Grünen zur "Letzten Generation"?

Zunehmend kritisch. "Fridays for Future" ging zuletzt deutlich auf Distanz: "Die Klimakrise braucht gesamtgesellschaftliche Lösungen, und die finden und erstreiten wir nur gemeinsam und nicht, indem wir Menschen im Alltag gegeneinander aufbringen", sagte Sprecherin Annika Rittmann der Nachrichtenagentur dpa.

"Fridays for Future" ist inspiriert vom "Schulstreik" der Schwedin Greta Thunberg und organisiert immer wieder große Demonstrationen. Die Gruppe "Letzte Generation" ist viel kleiner, erzielt aber viel Aufmerksamkeit.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kritisiert die Aktivisten der "Letzten Generation" scharf: "Dieser Protest macht Klimaschutz nicht mehrheitsfähig, sondern verärgert Leute, spaltet die Gesellschaft und insofern ist es kein hilfreicher Beitrag zum Klimaschutz", sagte Habeck dem Sender RTL/ntv. Er fände die Aktion falsch, betonte Habeck. Es gehe darum, "die Gesellschaft zusammenführen".

Proteste gehen "normalen Menschen auf die Nerven"

Auch von den Grünen im Bundestag kam deutliche Kritik. "Mit ihrem elitären und selbstgerechten Protest bewirkt die 'Letzte Generation' das Gegenteil dessen, was wir in der aktuellen Lage bräuchten, nämlich eine breite Bewegung in der Gesellschaft, für konsequente Klimaschutzpolitik", sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin Irene Mihalic. Man solle Menschen "nicht verprellen durch Aktionen, die den ohnehin harten Alltag noch zusätzlich erschweren".

Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge kritisierte die Aktionen ebenfalls. Im Gegensatz zu "Fridays for Future", die etwa in Lützerath gegen den Braunkohletagebau protestiert hätten, richte die "Letzte Generation" ihre Proteste nicht gegen die Verursacher der Klimakrise. Vielmehr gingen die Proteste den "normalen Menschen in ihrem Alltag auf die Nerven", das habe mit Ursache und Wirkung nicht viel zu tun. "Das verstehen die Leute auch nicht, und das ist aus meiner Sicht am Ende kontraproduktiv", so Dröge.

Bundestagsvizepräsidentin und Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt befürchtet durch die Verkehrsblockaden eine abnehmende Akzeptanz für den Klimaschutz. Sie sei überzeugt, "dass wir Mehrheiten für den Klimaschutz gewinnen müssen - in Stadt und Land, in Ost und West". "Das ist die eigentliche Aufgabe für die Bundesregierung und die Abgeordneten", so Göring-Eckardt.

Schadet der radikale Protest der Klimasache?

Ob Störaktionen und Blockaden der Klimasache wirklich schaden, ist aus Sicht des Berliner Protestforschers Dieter Rucht schwer zu beurteilen. Die Demonstrationen von "Fridays for Future" seien zwar häufig wohlwollend zur Kenntnis genommen worden. "Aber sie haben keinen wirklichen Druck aufgebaut", sagte Rucht der Nachrichtenagentur dpa. Wenn es konkret werde und an den Geldbeutel gehe, wie jetzt beim Tausch von Heizungen, würden Menschen zögerlich.

"Auf kurze Sicht verhärtet sie den Diskurs eher", schätzt Rucht die Wirkung der "Letzten Generation" ein. Langfristig schärfe die Gruppe aber die Positionen und zwinge dazu, sich zu bekennen. "Ich vermute, dass dies zusammen mit den absehbaren Auswirkungen der Klimaproblematik die Stimmung eher zugunsten schärferer Klimamaßnahmen beeinflusst", so Rucht.

Was droht den "Klimaklebern" juristisch?

Bundesweit laufen Hunderte Gerichtsverfahren wegen Nötigung und anderer Delikte. Zuletzt verurteilte das Amtsgericht Heilbronn zwei Männer und eine Frau wegen Nötigung zu Freiheitsstrafen von fünf, vier und drei Monaten ohne Bewährung. Das Urteil ist laut Staatsanwaltschaft und Aktivisten das bislang härteste, das in Deutschland gegen Mitglieder der "Letzten Generation" verhängt wurde.

Bundesweit für Schlagzeilen sorgte ein Fall in Berlin. Eine Radfahrerin wurde überfahren, ein Klimaprotest behinderte ein Bergungsfahrzeug. Die Frau starb. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hätte der Tod der Radfahrerin aber nicht verhindert werden können, wenn das Fahrzeug früher am Unfallort eingetroffen wäre. Die Behörde ließ den Vorwurf der fahrlässigen Tötung gegen die beiden Klimaschützer der Gruppe "Letzte Generation" fallen.

Nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei (GdP) gab es bundesweit bisher knapp 3000 Ermittlungsverfahren und 800 Verdächtige. Sie warf den Demonstranten "Guerilla-Aktionen" und "extremistisches Gedankengut" vor. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach auch mal von einer "Klima-RAF". CDU-Generalsekretär Mario Czaja bezeichnete die Protestierenden der "Letzten Generation" als "Extremisten", "Gewalttäter" und "Straftäter". Die Gruppe könnte sich weiter derart radikalisieren, dass "eine extremistische Organisation" entstehe.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht keinen Beleg für Extremismus bei der "Letzten Generation". Die Aktivisten begingen Straftaten, die geahndet werden müssten, sagte Präsident Thomas Haldenwang Ende März. Die Grundhaltung der Gruppe sei jedoch, auf aktive Gewalt zu verzichten.

Es kommt auch immer wieder vor, dass Autofahrer selbst Gewalt anwenden, wenn Aktivisten der "Letzten Generation" die Straßen blockieren. Ob sie sich dabei auf Notwehr berufen können, ist nicht immer eindeutig.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 18. April 2023 um 18:00 Uhr.