Wahlkampf in Thüringen Zwei gegen die AfD
Bei der Landtagswahl in Thüringen könnte die AfD so stark werden wie noch nie. Der linke Ministerpräsident Ramelow und CDU-Herausforderer Voigt versuchen eigene Strategien dagegen - und die Abgrenzung voneinander.
"Boah", sagt Bodo Ramelow. Thüringens Ministerpräsident ist auf Ortsbesuch in Bad Salzungen. In einer Senke blickt er in einen tiefen Riss im Boden. 56 Meter darunter liegt Steinsalz. Und das laugt aus. Der Bahndamm ist zuletzt einen halben Meter abgesackt. Ohne eine Brücke dürfte hier wohl bald kein Zug mehr fahren.
Der Riss ist nicht der einzige, der Ramelow gerade begegnet. Im Land von Deutschlands einzigem linken Regierungschef und einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung steht die AfD bei 30 Prozent und mehr in Umfragen. Montagsproteste treffen auf Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. Erst zwei Tage vorher gab es einen mutmaßlichen Brandanschlag auf das Haus eines Demoorganisators.
Ramelow sagt dazu, die Gesellschaft drifte gerade "in einer unvorstellbaren Dynamik auseinander". Bis zur Landtagswahl im September lasse sich der Riss nicht mehr kitten. Er bemühe sich aber eben, "Brücken zu bauen".
Dreikampf soll Zweikampf werden
In Thüringen gibt es die seltene Situation, dass gleich drei Männer Chancen haben, nach der Landtagswahl Anfang September Ministerpräsident zu sein. Neben Ramelow sind das Björn Höcke und Mario Voigt, die Fraktions- und Landeschefs von AfD und CDU.
Höcke ist der maßgebliche Kopf für die Radikalisierung der AfD. Der Verfassungsschutz überwacht ihn seit 2020 als Rechtsextremisten. Laut Höcke brauche es "wohltemperierte Grausamkeit", damit Millionen aus AfD-Sicht nicht integrierte Menschen Deutschland verlassen. Höcke ist ein Grund, warum in Thüringen gerade Tausende auf die Straßen gehen.
Darum, wer Höcke an vorderster Stelle entgegentritt, wird noch gerungen. 2019 rief die Linkspartei mit "Bodo oder Barbarei" die Landtagswahl zum Zweikampf mit der Höcke-AfD aus. Heute ist es Voigt, der der Zeitung "Welt" sagte, 2024 ginge es "maßgeblich" um "CDU oder AfD". Ramelow sei demnach außen vor.
Ramelow hält solchen Überlegungen seine Beliebtsheitswerte als Ministerpräsident entgegen. Die liegen deutlich über denen von Höcke und Voigt, waren aber auch schon besser. Gleiches gilt für die Umfragewerte seiner Partei: Die Linke rangiert in Thüringen mittlerweile hinter der CDU.
Voigt will für Ordnung sorgen
Apolda, eine Woche vor Ramelows Tour durch Bad Salzungen. In der Stadtbrauerei veranstaltet die CDU ihren politischen Aschermittwoch. Parteichef Friedrich Merz ist gekommen - und Mario Voigt. Apolda, das sei "woke-freie Zone", ruft Voigt vom Rednerpult. Hier stimme "das Deutschland-Gefühl" noch.
Voigt hat eine Professur für Digitale Transformation und Politik an einer Berliner Hochschule. Er war lange ein gefragter Wahlkampfstratege. Wie er seine CDU bei dieser Wahl positionieren will, hat er sich lange im Voraus überlegt.
Als Frontmann aber muss sich Voigt noch beweisen. Er brüllt fast, während er sich an Roten und Grünen abarbeitet. Diese würden die Bürger bevormunden und mit Bürokratie überziehen, stünden für unkontrollierte Zuwanderung. "Die machen uns kaputt", so Voigt. Das Versprechen der CDU? "Wir schaffen wieder Ordnung."
Erst gegen Ende kommt Voigt zur AfD. "Höcke ist das größte Risiko für Thüringen." Und was qualifiziere den überhaupt für das Amt des Ministerpräsidenten? "Dass er gut Goebbels zitieren kann?", fragt Voigt rhetorisch.
Duell mit Höcke geplant
Dennoch will Voigt den vermeintlichen Goebbels-Imitator in einem offenen Duell stellen. Vor TV-Kameras sollen Voigt und Höcke demnächst über Europa diskutieren. Dazu haben sie sich auf X verabredet.
In der CDU wissen sie, dass Voigt mit dem Feuer spielt. Höcke ist ein versierter Populist. Es ist auch für Journalisten nur schwer zu stellen. 2020 hat Höcke die CDU vorgeführt, als seine Abgeordneten statt für den eigenen Kandidaten für Thomas Kemmerich als Ministerpräsidenten stimmten - und CDU und FDP so blamierten. Dennoch gibt es sowohl intern als auch öffentlich, etwa von Merz, Rückendeckung für Voigts Manöver.
Für beide Seiten hat es den Vorteil, dass sie den Wahlkampf weiter zu einem Duell zuspitzen können. Wenn es im Landtag um den Haushalt oder die Migrationspolitik geht, dann adressieren sich Voigt und Höcke schon jetzt vor allem gegenseitig.
Linke setzt auf Ramelow
Bodo Ramelow hält nichts von dem Duell. Er verstehe Mario Voigt nicht, sagt er am Rande seiner Tour durch Bad Salzungen. Höcke stehe für das, was Deutschland ins Verderben geführt hat. "Da möchte ich ihm nicht die Chance geben, sich in ein normales Licht zu setzen", so Ramelow.
Aber auch für ihn gelte: "Wir setzen uns mit der Herausforderung einer faschistischen Partei auseinander und werden davor nicht in die Knie gehen." Die Linke könnte den Namen Ramelow im Wahlkampf mit Stabilität, vielleicht sogar mit Sicherheit verbinden. Immerhin hat er Thüringen selbst mit einer Minderheitsregierung vier Jahre irgendwie am Laufen gehalten - auch im Zusammenspiel mit Voigt.
Aber Ramelow und Sicherheit? In Bad Salzungen springt er an einer verstopften Hochwasser-Auslauffläche auf den letzten Erdhaufen am Ufer, während selbst Anwohner mit Abstand herabschauen.
Bei der anschließenden Bürgersprechstunde beendet Ramelow Ausführungen über die AfD und Höcke damit, dass, wer sich mit Korintherbriefen nicht auskenne, zur angeblichen Verteidigung des christlichen Abendlandes "die Fresse halten" solle. Zehn Minuten später sagt er: "Ich ärgere mich jetzt schon, dass ich eben 'Fresse' gesagt habe."
Er sei, wie er eben ist. So lautet die Botschaft des Energiebündels Ramelow an die Menschen im Saal. Und in Thüringen werde mehr als anderswo getan, für den ländlichen Raum etwa. Wenn jetzt noch alle wüssten, dass hier der größte Pizzaofen Europas steht und der NASA-Rover mit Sensoren aus Jena über den Mars fährt, würde es allen besser gehen. So einfach kann es sein - oder so einfach kann man es sich machen.
Demokratie-Protest beflügelt Parteien
Bis zur Wahl am 1. September wird es auch darauf ankommen, wie sich jene Menschen entscheiden, die nun gegen die AfD auf die Straße gehen. Selbst in kleineren Städten demonstrierten zuletzt Hunderte. Erstmals positionieren sich verstärkt Unternehmen öffentlich. Mit "Weltoffenes Thüringen" gibt es ein breites Bündnis für Demokratie.
Das beflügelt Ramelow, der Demos und Initiative begrüßt. Das beflügelt aber auch die CDU und Mario Voigt, wenngleich dessen Verhältnis ambivalent bleibt. Einerseits nahm er selbst an einer Demo teil und hat wiederholt deutlich gemacht, wie sehr er die AfD und Höcke ablehnt. Andererseits hat er mit AfD-Stimmen Gesetze im Landtag beschlossen.
Bodo Ramelow sagt, er sehe sich selbst als "Teil der Zivilgesellschaft" - nicht als ihr Kandidat. Und er mische sich auch nicht unter "Weltoffenes Thüringen", "um abends in der ARD mein Gesicht zu sehen". Eine Spitze gegen Mario Voigt, der am presseöffentlichen Start des Bündnisses teilgenommen hatte.
Doch egal, wie die Landtagswahl ausgeht: Voigt und Ramelow dürften danach weiter aufeinander angewiesen sein. Dass es für Koalitionen wie Rot-Rot-Grün oder CDU-SPD-FDP nochmal reichen könnte, scheint derzeit ausgeschlossen. Das Heft hätte derjenige in der Hand, dessen Partei am Ende vorne liegt.