SPD in Brandenburg Wie Woidke auf Abstand zur Ampel geht
Paradoxes Brandenburg: Obwohl es der Wirtschaft besser geht als anderswo, droht Ministerpräsident Woidke und der SPD eine Klatsche bei der Landtagswahl im Herbst. Woidke setzt nun auch auf Distanz zu Berlin.
"Na, was ist los?" Dietmar Woidke, Ministerpräsident von Brandenburg, baut sich mit seinen 1,96 Meter vor einer Gruppe Landwirte auf. Rund 30 sind mit ihren Traktoren gekommen. Sie demonstrieren vor einer Bürgersprechstunde der SPD-Landtagsfraktion in Forst.
"Wir wollten noch mal an unsere Probleme erinnern", sagt der Wortführer. "Da haben wir schon was gemacht", antwortet Woidke. Er hat sich früh an die Seite der Bauern gestellt und dabei nicht nur auf Berlin gezeigt: Am Vormittag hat sein Kabinett beschlossen, das sogenannte Blühstreifenprogramm und Ausgleichszahlungen für benachteiligte Böden zu verlängern. Es geht um etwas mehr als 20 Millionen Euro aus der Landeskasse.
Das Geld würde erst ab 2026 respektive 2027 fließen. Bis dahin laufen beide Hilfen noch. Die Bauern aber bedanken sich vor laufender Kamera. Jetzt müsse nur noch die Kürzung beim Agrardiesel zurückgenommen und Bürokratie abgebaut werden. Woidke verspricht, beide Forderungen weiter zu unterstützen, und geht dann sichtbar gut gelaunt zur Bürgersprechstunde.
Heimspiel in Forst
Die SPD-Fraktion hat zu einer "Bilanz-Tour" geladen. Der Auftakt findet im Bildungs- und Kulturzentrum von Forst in der Lausitz statt.
Geht es nach den aktuellen Umfragen, kann die Bilanz kaum rosig ausfallen: Im September sind Landtagswahlen. Die SPD liegt aktuell bei etwa 20 Prozent - sechs Prozentpunkte weniger als bei der Wahl 2019 und mindestens zehn hinter der AfD. Die CDU sitzt ihr im Nacken.
Zumindest der Saal in Forst ist voll. Die mehr als hundert Zuhörer, darunter Kommunalpolitiker und Bauern, müssen teilweise stehen. Fraktionschef Daniel Keller, 37, gibt vor, worum es der SPD geht. Man brauche einen "handlungsfähigen Staat". Das Credo lautet: "Stabilität und Sicherheit."
Wer den verkörpert, macht ein Imagefilm klar. Mehr als ein Dutzend mal ist Woidke darin zu sehen, Keller taucht ein paar Mal auf, die restlichen Abgeordneten nur zweimal.
Woidke ist im elften Amtsjahr als Ministerpräsident. Damals hatte er eine rot-rote Koalition übernommen, seit 2019 regiert die SPD mit CDU und Grünen.
In Forst kommt Woidke nach Hause. Hier wurde er 1961 geboren, hier lebt er heute wieder. Ehefrau Susanne sitzt im Publikum. Er spricht den Saal mit "Ihr" an und wird die meiste Zeit reden. Die 18 Fraktionstermine bewegen sich nicht nur quer durch Brandenburg, sondern auch an der Grenze zum Wahlkampf.
Weltoffenheit für Fachkräfteeinwanderung
Woidke hat gute Nachrichten für die Lausitz im Gepäck. In Cottbus soll eine Universitätsmedizin entstehen. Der Plan der Landesregierung dafür schreite ebenso voran wie der Strukturwandel in der Kohleregion.
Gerade wurde ein neues Werk der Deutschen Bahn ebenfalls in Cottbus eröffnet. Beim Kohlekonzern LEAG gehe der Ausbau von Windkraft- und Solaranlagen massiv voran. Mit der Batterieindustrie wachse ein neuer Wirtschaftszweig. "Die Brandenburger bekommen weiter gut bezahlte Industriearbeitsplätze", so Woidke.
Damit der Strukturwandel gelinge, müssen aber Fachkräfte her. Die fehlen an vielen Ecken. Woidke sagt: "Es wird nicht ohne Menschen aus dem Ausland gehen." Und deshalb brauche Brandenburg "Weltoffenheit und Toleranz". Woidke trägt das auch nach außen. In den vergangenen Wochen hat er an Demonstrationen gegen Rechtsextremismus teilgenommen.
Deutschlands Boom-Land
Letztere sollen verhindern, dass die AfD in Deutschland an Macht gewinnt. Woidke hat sich gegen ein Verbotsverfahren ausgesprochen. Er will die Partei inhaltlich schlagen. Sein stärkstes Argument soll die wirtschaftliche Entwicklung sein.
Unter Woidke war die Wirtschaft lange schwächer gewachsen als der deutsche Durchschnitt. Doch seit 2019 ist Brandenburg Überperformer. Im ersten Halbjahr 2023 legten die Unternehmen im BIP um sechs Prozent zu - so stark wie in keinem anderen Bundesland. Als Motor der Entwicklung gilt das Tesla-Werk in Grünheide und seine Zulieferer.
Nur auf die Umfragewerte in Brandenburg hat das bislang keinen messbaren Einfluss. Von AfD-Landeschefin Birgit Bessin heißt es Richtung Woidke, er könne "jetzt schon einmal Umzugswagen" für den Auszug aus der Staatskanzlei reservieren.
Auf Distanz zur Ampel
Als Grund für die Stimmung hat Woidke die Performance der Ampel in Berlin ausgemacht. Er nannte den Bundestrend zuletzt "einen Hurricane gegen uns", den Dauerstreit der Ampel "demokratiezersetzend" und das Heizungsgesetz ein "kommunikatives Desaster".
Die Agrardiesel-Debatte ist auch nicht die erste, in der er auf Distanz zum Bund geht. Woidke bewertet die jüngste Erhöhung des Bürgergelds rückblickend als zu hoch. Er hat in der Asyldebatte so lange Kontrollen an der Grenze zu Polen gefordert, bis seine Parteifreundin, Bundesinnenministerin Nancy Faeser, nachgab.
Beim Kohleausstieg hält Woidke am Kohlekompromiss, dem Ausstieg 2038, fest. Ein Vorziehen auf 2030 oder früher, wie es die Grünen in Land und Bund favorisieren, und wie es auch der Ampel-Koalitionsvertrag anstrebt, lehnt er ab. "Das ist alles sehr naiv, wie das da diskutiert wird", sagt Woidke in Forst.
Weiter südlich, im CDU-regierten Sachsen, freut man sich, mit Woidke einen Gleichgesinnten in vielen Streitfragen zu haben. Die Brandenburger CDU will hingegen genau darin Woidkes Schwachstelle ausgemacht haben.
"Das Springen zwischen Ampeltreue und Ampelschelte sorgt nicht gerade für Sicherheit und Stabilität", erklärte Generalsekretär Gordon Hoffmann. So ließe sich kein Vertrauen zurückgewinnen. Sprich: Wenn die AfD die Landtagswahl gewinnen sollte, dann läge das aus CDU-Sicht auch an Woidkes Agieren.
Schwächen der Konkurrenz
Vor fünf Jahren hatten SPD und AfD in Umfragen lange gleichauf gelegen. Am Ende zog Woidkes Amtsinhaberbonus - und mit ihm seine Partei - an der Konkurrenz vorbei. Dass Woidke auch 2024 den Unterschied machen könnte, liegt auch an den anderen Bewerbern.
Die AfD ist so zerstritten, dass kürzlich sogar die Listenaufstellung für die Landtagswahl um zwei Monate verschoben wurde. CDU-Kandidat Jan Redmann hat im Vergleich zu seinem Thüringer Pendant Mario Voigt bislang kaum an Bekanntheit gewonnen.
Die in Brandenburg einst starke Linkspartei steht in Umfragen einstellig da. Das Bündnis Sahra Wagenknecht hat anders als in Sachsen und Thüringen noch keine bekannten Gesichter präsentieren können.
Zieht der Amtsinhaberbonus nochmal?
Woidke selbst will jedenfalls verhindern, dass die Berliner Ampel wahlentscheidend wird und setzt auf die eigene Person. Auf Nachfrage von tagesschau.de sagt er: "Wir werden deutlich machen, dass es hier um Brandenburg geht." Politische Stabilität sei schließlich Grundlage für wirtschaftliche und soziale Stabilität. Das Land solle "in guten Händen bleiben".
Dass die Brandenburger erst am 22. September, drei Wochen nach den Sachsen und Thüringen, ihren Landtag wählen, könnte Woidke dabei in die Karten spielen: Je komplizierter die Mehrheiten dann dort sind, desto mehr könnten Wählerinnen und Wähler auf Sicherheit setzen. So hoffen zumindest manche in der SPD.