Markus Söder, Friedrich Merz, Saskia Esken und Lars Klingbeil
analyse

Schwarz-rote Verhandlungen Sondieren unter Extrembedingungen

Stand: 05.03.2025 18:25 Uhr

Noch ist nicht zu Ende sondiert, da räumt Verhandlungsführer Merz eine zentrale Position aus dem Wahlkampf und wird zum Schuldenmacher. Was heißt das für mögliche Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD?

Eine Analyse von Corinna Emundts, tagesschau.de

Eine solche Gleichzeitigkeit hat es nach einer Bundestagswahl noch nicht gegeben: Einerseits haben zwei potenzielle Koalitionspartner noch nicht mal die erste Hürde vor Aufnahme der Koalitionsverhandlungen genommen - den erfolgreichen Abschluss ihrer Sondierungen. Andererseits haben sie nun unter Zeitdruck gemeinsam weitreichende finanzielle Entscheidungen getroffen.

Union und SPD wollen mittels neuer Staatsschulden zwei umfangreiche Finanzpakete für Verteidigung und Infrastruktur auf den Weg bringen. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse soll für Verteidigungsausgaben verändert werden.

Um die Vorhaben bald auf den Weg zu bringen, plant Wahlsieger Friedrich Merz mit seinem potenziellen Koalitionspartner SPD, wegen der komplizierten neuen Mehrheitsverhältnisse noch die Zweidrittelmehrheit des alten Bundestags zu nutzen. Diese besteht nur noch im März.

Verkehrte Welt, könnte man sagen: Eine Noch-Nicht-Regierung einigt sich nahezu über Nacht, um eine alte Zweidrittelmehrheit im Bundestag zu nutzen. Geschuldet sei das der neuen Weltlage, sagte Merz: "Angesichts der Bedrohungen unserer Freiheit und des Friedens auf unserem Kontinent muss jetzt auch für unsere Verteidigung gelten: Whatever it takes." Das sei aber nur zu verkraften, wenn die Wirtschaft binnen kürzester Zeit wieder auf einen stabilen Wachstumskurs zurückkomme. Dafür müsse die Infrastruktur verbessert werden.

Es ist davon auszugehen, dass Union und SPD sich so beeilt haben, auch um ein Signal vor der Rede des US-Präsidenten Donald Trump zu setzen - und um dem amtierenden Kanzler Olaf Scholz am morgigen Donnerstag beim EU-Gipfel etwas an die Hand zu geben. Auch die Europäische Kommission sieht dringenden Handlungsbedarf als Reaktion auf Trumps jüngste Politik.

Verhandeln in zwei Richtungen

Damit der Plan aufgeht, muss Merz neben Sondierungsgesprächen mit der SPD nun auch noch gleichzeitig Verhandlungsgespräche mit den Grünen führen. Denn ohne sie hätte Schwarz-Rot für die Sondervermögen nicht die nötige Zweidrittelmehrheit - weder im Bundestag noch im Bundesrat.

Die gerade aus der Regierung gewählten Grünen sitzen somit wieder mit am Verhandlungstisch, wenn auch nur für kurze Zeit. Doch hier könnten sie politische Akzente, etwa für mehr Klimaschutz bei der Nutzung des Sondervermögens, setzen.

Merz handelt sich neue Probleme ein

So handelt sich Merz ein paar neue Probleme ein, bevor er überhaupt daran denken kann, ins Kanzleramt einzuziehen: Er muss mit den Grünen schon vor Beginn einer möglichen Kanzlerschaft verhandeln, ohne mit ihnen zu regieren. Zudem muss er noch auf alte Mehrheiten zurückgreifen - obwohl die Bundestagswahl gelaufen ist. Zugleich setzt er sich damit der Kritik von Grünen und SPD aus, die Entscheidung sei nach dem Scheitern der Ampelkoalition und der Wiederwahl von Trump im Herbst vor der Bundestagswahl auch schon möglich gewesen.

Die bei der Bundestagswahl gestärkten Oppositionsparteien AfD und Linkspartei wiederum kritisieren nun seinen Schachzug, noch die alte Mehrheit des Bundestages nutzen zu wollen, als politisch illegitim. "Auch wenn sich die weltpolitische Lage geändert hat, ist die von Union und SPD bemühte Dringlichkeit vorgeschoben", kontert die Linkspartei. Es gehe nur darum, die neu gewählten Verhältnisse im Bundestag zu umgehen. Das missachte den Willen der Wählerinnen und Wähler.

Obwohl Merz aus formaler Sicht keinen Fehler mache, sei die Kritik nicht völlig unbegründet, sagt der Politologe Uwe Jun. Schwarz-Rot setze hier "pragmatische Zukunftsorientierung vor den unmittelbaren Wählerwillen der jüngsten Bundestagswahl".

Davon abgesehen enttäuscht Merz mit den neuen Schuldentöpfen eigene Unterstützer, etwa die Junge Union. Wobei der Unions-Kanzlerkandidat Investitionen über Schulden auch im Wahlkampf nicht kategorisch ausgeschlossen hatte. Wohl aber steht das Festhalten an der Schuldenbremse im Wahlprogramm: "Friedrich Merz steckt in der Begründungspflicht, weshalb er jetzt anders agiert", sagt Politologe Jun.

Gerade das der Infrastruktur gewidmete zweite geplante Sondervermögen ist aber keineswegs nur ein rot-grünes Projekt. Auch führende Ökonomen haben sich dafür diese Woche ausgesprochen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begrüßte den Plan umgehend als "wichtiges Signal".

Koalitionsvertrag auf einem Bierdeckel?

Die Unions- und SPD-Spitzen haben jedenfalls schon gezeigt, dass sie sich schnell einigen können, wenn aus ihrer Sicht Eile geboten ist. Könnte es in dem Tempo bei den Sondierungen und anschließenden Koalitionsverhandlungen so weitergehen, indem man nicht jedes Thema mühsam bis ins Detail ausverhandelt? Der außenpolitische Druck ist spürbar hoch, bald eine neue handlungsfähige Regierung in Deutschland zu haben - mit Blick auf Trump, die Ukraine und die europäische Sicherheit.

Vorschläge in der Art existieren bereits: Die zukünftigen Partner sollten sich nur "auf einige Grundprinzipien und Leitsterne einigen" und somit auf einen detaillierten Koalitionsvertrag verzichten, resümiert etwa Subran Ludovic, der Chefvolkswirt der Allianz, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: Ein "Koalitionsvertrag auf dem Bierdeckel - das wäre mal eine echte Zeitenwende".

Politologe Jun rät davon ab: Das wäre nur eine "Verlagerung der Verhandlungen über Unterschiede" und würde nicht nur ausufernde Koalitionsausschüsse bedeuten. Das Nachsehen hätte in der Regel der kleinere Koalitionspartner, der sich dann schlechter durchsetzen könne. "Koalitionsverträge dienen der Machtabsicherung der kleineren Partner", sagt Jun. Bei der schwarz-gelben Regierung unter CDU-Kanzlerin Angela Merkel 2009 habe es diesen Versuch eines schlanken Koalitionsvertrags gegeben. Die FDP habe es danach bitter bereut.

Dieses Schicksal wird die SPD im Blick haben, zumal sie den Koalitionsvertrag auch noch ihren Mitgliedern zur Entscheidung vorlegen will. Es werden allein aufgrund der programmatischen Unterschiede wohl keine reibungslosen Koalitionsverhandlungen werden. Trotzdem sind Union und SPD nach ihrem jüngsten Vorstoß einmal mehr auf das Gelingen ihrer Gespräche angewiesen. Es gibt keine andere politisch gewollte Mehrheit.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 05. März 2025 um 18:34 Uhr.