Sondervermögen für Bundeswehr Wenn 100 Milliarden dahinschmelzen
Kommende Woche dürfte der Bundestag das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr beschließen. Doch durch die hohe Inflation verteuern sich Rüstungsprojekte oder stehen ganz in Frage. Wie sehr zehrt dies das Sondervermögen auf?
Wohl selten zuvor waren der Anspruch und die Anforderungen an die Bundeswehr so hoch wie jetzt. Dafür gesorgt hat - Stichwort "Zeitenwende" - die gewachsene Bedrohung durch Russland. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht fasste das bei der Vereidigung von Rekruten in Berlin erst vor wenigen Tagen in diese Worte: "Zeitenwende heißt Kampfbereitschaft, heißt schnelle Verfügbarkeit, heißt Durchhaltevermögen."
Zeitenwende heißt aber auch, hätte sie noch anfügen können, dass die Truppe zeitgemäß ausgestattet sein muss, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Heeresinspekteur Alfons Mais warnt aber bereits, dass es bis zu einer spürbaren Veränderung Jahre dauern wird.
Und der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Christian Mölling, kommt zu der ernüchternden Erkenntnis: "Es war schon klar, dass das Sondervermögen nicht ausreichen würde, um die Bundeswehr zur stärksten Armee Europas zu machen. Was das erklärte Ziel des Kanzlers und des Finanzministers ist."
Von 100 Milliarden bleiben nur 87
Warum aber dürfte das wohl kaum gelingen? Die vor allem durch den russischen Angriffskrieg verursachten Preissteigerungen und Lieferengpässe gehen auch an der Bundeswehr nicht spurlos vorüber - schon gar nicht, wenn man sich auf große Shoppingtour begibt.
Die DGAP hat versucht, das durchzurechnen: "Von den ursprünglich 100 Milliarden würden 2027 nur noch 85 Milliarden da sein, ohne dass etwas anderes passiert ist, als die Inflation", erläutert Mölling im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Heißt im Klartext: Das zunächst so komfortabel erscheinende 100-Milliarden-Kissen wird automatisch dünner, ohne dass dafür auch nur eine einzige Patrone zusätzlich beschafft worden wäre.
Was aber bedeutet das konkret für die Truppe? Von "Streichlisten" war zuletzt immer wieder die Rede. Der Begriff "In-der-Luft-Hänge-Listen" trifft es aber vermutlich eher, weil das Schicksal vieler ursprünglich geplanter Projekte einfach unklar bleibt.
Besonders betroffen ist die Marine: Von der Fregatte 126 zum Beispiel sind vier Schiffe bestellt. Es gab eine Option auf zwei weitere, die wird aber vorerst nicht gezogen. Dies ist nur ein Beispiel, die Liste ließe sich fortsetzen.
Einige Prestigeprojekte gelten als gesetzt
Eben weil es aber noch so viele Fragezeichen gibt, wehrt man sich im Verteidigungsministerium gegen den Begriff "Streichliste". Die konkreten Auswirkungen der Inflation "lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht belastbar beziffern", erklärt eine Sprecherin auf Nachfrage. Sie weist darauf hin, dass geplant sei, die in Frage stehenden Projekte über den "normalen" Verteidigungshaushalt eben doch zu finanzieren. Dafür werde eine Steigerung des Verteidigungshaushalts "zwingend erforderlich" sein.
Klar ist, dass einige Prestigeprojekte des Sondervermögens als gesetzt gelten: Der "Tornado"-Nachfolger F35, also der US-Tarnkappen-Kampfjet, wird ohne Zweifel beschafft. Die ersten Gelder für den Schützenpanzer "Puma" oder den schweren Transporthubschrauber CH-47 sind vom Haushaltsausschuss des Bundestags bewilligt. Doch auch Prestige schützt vor Problemen nicht. Beispiel: Transporthubschrauber.
Ein Chinook-Hubschrauber der US-Armee. Für die Bundeswehr sollen Sonderwünsche erfüllt werden, was den Kauf verteuert.
Kritiker bemängeln Sonderwunsch
60 "Chinook"-Helikopter, jener mit den typischen zwei Rotoren, sollen beim Hersteller Boeing beschafft werden - für insgesamt sechs Milliarden Euro. Jenseits der Frage, ob das preislich alles noch wie geplant funktionieren wird, will die Bundeswehr den Hubschrauber mit der Möglichkeit, diesen in der Luft zu betanken. Dafür müsste der "Chinook" von Boeing entsprechend nachgerüstet werden und anschließend in Deutschland nachträglich zertifiziert, also mit dieser Zusatzausrüstung zugelassen werden - was in der Regel ein bis zwei Jahre dauert.
Natürlich würden Gespräche mit der US-Seite geführt, heißt es dazu aus dem Verteidigungsministerium. Es lägen aber "keine Informationen vor, dass es zeitliche Anpassungen gibt". Skeptiker geben aber schon jetzt zu bedenken: Da habe man endlich mal etwas "von der Stange" kaufen wollen, was längst erprobt sei. Aber wegen des deutschen Ausstattungssonderwunschs gefährde man nun doch wieder Zeit- und Kostenplan.
Steigende Personal- und Betriebskosten
Apropos Zeit- und Kostenpläne: Was 2023 angeht, so kann die Bundeswehr zunächst 8,4 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen ausgeben. Parallel dazu wird der normale Verteidigungshaushalt 50,1 Milliarden betragen, er wird also im Vergleich zu diesem Jahr leicht sinken. All dies soll in der kommenden Haushaltswoche im Bundestag verabschiedet werden.
Wenn nun aber das zunächst so prall scheinende Sondervermögen-Portemonnaie durch die Inflation leerer wird, also der "normale" Haushalt einspringen muss, verpufft laut Rüstungsexperte Mölling der Sondervermögeneffekt, der ja gerade langfristige Projekte absichern und planbar machen sollte: "Es ist fast schon sonnenklar, dass der Verteidigungshaushalt insgesamt angehoben werden müsste. Wenn man ihn aber so lässt, wie er ist, dann werden 2026 keine Rüstungsprojekte mehr aus dem normalem Haushalt bezahlbar sein." Was wiederum an den steigenden Personal- und Betriebskosten liege, die das auffressen, was man eigentlich in Beschaffung stecken wollte.
Diese Diskussion aber über steigende Rüstungsetats parallel zum Sondervermögen und bei einer gesetzten Schuldenbremse wird äußerst schwierig werden. Was also zunächst bleibt, ist die Erkenntnis: Das 100-Milliarden-Polster ist keines, auf dem sich die Bundeswehr entspannt wird ausruhen können.